Dokumentarfilm „Der atmende Gott - Eine Reise zum Ursprung des modernen Yoga“
Am 5. Januar 2012 startete mit „Der atmende Gott“ (Deutschland 2011) in deutschen Kinos ein Dokumentarfilm „für die weltweite Yoga-Gemeinde und alle philosophisch Interessierten“ von Jan Schmidt-Garre, der sich bisher vor allem mit den Sujets Theater, Oper und Tanz befasst hat. Der Regisseur macht sich mit diesem Film aus persönlicher Neugier – er hatte seine Frau zur Yogastunde begleitet, war darüber selbst zum Yoga Übenden geworden und wollte nun etwas über die Hintergründe erfahren – in einer fünfjährigen Drehzeit auf die Suche nach den Ursprüngen des modernen Yoga. Ist Yoga Religion, Gymnastik, alter Ritus? Wie entstand es? Woher kommen die vielen „Asanas“ (Körperhaltungen)?
Im Gegensatz zu der üblichen Betonung der Jahrtausende alten Tradition des indischen Yoga, der auf die Bhagavadgita und Patanjali zurückgeht, zeigt Schmidt-Garre gerade jene Traditionslinie, die im 20. Jahrhundert den Hatha-Yoga in adaptierter Gestalt im Westen so erfolgreich machte – nach Angaben des Berufsverbandes der Yogalehrenden in Deutschland (BDY) gab es in Deutschland 2006 drei Millionen Yogapraktizierende. Dabei stößt er auf Tirumalai Krishnamacharya (1890-1989), Gründer der ersten modernen Yogaschule in Mysore und seine beiden Meisterschüler Pattabhi Jois, der während der Dreharbeiten starb, und B.K.S. Iyengar, den der amerikanische Geiger Yehudi Menuhin 1952 aus Poona in den Westen brachte, womit er eine erste große Welle westlicher Yogabegeisterung auslöste. Auf die Tradition Iyengars berufen sich derzeit in Deutschland und Österreich etwa 280 Yogalehrer und fünf Ausbildungszentren. Angesichts von über 10 000 Yogalehrern in Deutschland geht es hier also um eine eher kleine Tradition.
Für das Auge des heutigen Zeitgenossen ist der Film infolge seiner langsamen Erzählweise zunächst gewöhnungsbedürftig, besticht aber durch das ausführliche Zu-Wort-Kommen der Schüler und Kinder Krishnamacharyas, die zum Teil bis heute, an die 90 Jahre alt, als Yogalehrer arbeiten. Dabei zeichnet Schmidt-Garre, obgleich selbst ein überzeugter Anhänger, mit seiner geduldig zusehenden und -hörenden Kamera ein nüchternes, auch unbekannte, gewöhnungsbedürftige Aspekte nicht aussparendes Bild des Yoga. Gezeigt werden zum Beispiel zeitgenössische Filmaufnahmen der damals üblichen öffentlichen Bühnenvorführungen von Yoga. Bei diesen präsentiert Krishnamacharya seine Schüler mit unglaublichen akrobatischen Körperübungen vor dem Maharadscha in Mysore – in einem Ambiente, das eher an einen Privatzirkus als an Meditation erinnert und sich damals auch geringer öffentlicher Wertschätzung erfreute: „Nur für Bescheuerte und Verklemmte,“ wie sich einer der Protagonisten bitter erinnert.
Bei der Gelegenheit wird auch nicht verschwiegen, dass der Maharadscha deswegen eine Yogaschule für Kirshnamacharya baute und ihren Betrieb finanzierte, weil er sich von dem physisch extrem anspruchsvollen Übungsprogramm gute Soldaten erwartete. Und aus dem Munde eines Schülers erfahren wir, dass nicht nur die Yogaübungen selbst schmerzhaft waren, sondern bisweilen auch die Maulschellen „wie aus Gusseisen“, die Krishnamacharya austeilte und von denen sich erwachsene Schüler drei Tage lang erholen mussten. So kommen auch Seiten zur Sprache, die sich eher sperrig zum Bild des Yoga verhalten dürften, das unter westlichen Übenden vorherrscht.
Der Film kann zwar am Ende seine eigene Frage nach dem Ursprung der Asanas, die den roten Faden bildet, nicht beantworten, schließt aber mit der Einsicht: „Die Asanas sind Dehnübungen. Erst durch Atmung und Konzentration werden sie zu Yoga.“ Dabei wird auf den durch und durch religiösen Hintergrund des originalen Yoga hingewiesen, doch äußert der Regisseur im Interview die Ansicht, dass Yoga auch mit dem rechten Atem und der rechten Konzentration (samadhi, ein Bewusstseinszustand der Versenkung oder Verschmelzung) keine religiöse Praxis sei.
Kai Funkschmidt