Ein Besuch der Ausstellung "Verschwörungstheorien - früher und heute" im Kloster Dalheim
Am Schluss der Ausstellung soll man Murmeln werfen: „Glauben Sie, dass eine Elitegruppe das Weltgeschehen lenkt?“ „Gibt es eine Zeitmaschine im Vatikan?“ In dem Behältnis für die Meinung, dass es sich um eine Verschwörungstheorie handelt, sind deutlich mehr Murmeln als in dem für „echte Verschwörung“. Aber dennoch: Anscheinend glauben auch nach dem Besuch der Ausstellung „Verschwörungstheorien – früher und heute“ noch Menschen daran, dass sie von geheimen Mächten gelenkt werden.
Vorher hat man sich in abgedunkelten Räumen, verworrenen Gängen und einer leicht düsteren Atmosphäre durch die neue Sonderausstellung im Kloster Dalheim (LWL-Landesmuseum für Klosterkultur [Landschaftsverband Westfalen-Lippe]) in der Nähe von Paderborn bewegt. Sie nimmt die Besucher mit auf eine Reise durch die Welt des Verschwörungsglaubens und spannt dabei einen Bogen von 900 Jahren Geschichte bis zur Gegenwart. Den Anfang macht dabei der französische König Philipp IV., der dem 1118 gegründeten christlichen Templerorden „Ketzerei und Sodomie, sexuelle Handlungen mithin“ unterstellte und die Mitglieder damit als „Agenten des Teufels“ abstempelte. Schon hier werden Mechanismen von Verschwörungstheorien deutlich, die sich in der Folge wiederholen. Unsicherheiten und Ängste in der Bevölkerung aufgrund von Kriegen oder Krisen werden aufgenommen und Sündenböcke benannt: von den Hexen im Mittelalter über geheime Gesellschaften im Umfeld der Französischen Revolution, den Mythos der jüdischen Weltverschwörung aufgrund der „Protokolle der Weisen von Zion“ bis hin in die Zeit des Nationalsozialismus und des Kalten Krieges. Mit über 200 Originaldokumenten oder Leihgaben aus dem Reich der Verschwörungstheorien bietet die Ausstellung einen kurzweiligen und interessanten Durchgang durch die Geschichte. Die Exponate veranschaulichen dabei die kurz und prägnant erklärten Hintergründe: So kann man eine Liste der Anklagepunkte gegen die Templer aus dem Jahr 1308 ebenso bestaunen wie den Originalorden der Minervalklasse des Illuminatenordens nach 1776 oder die deutsche Ausgabe der „Protokolle der Weisen von Zion“ aus dem Jahr 1920.
Der historische Überblick offenbart die sich durchziehenden Strukturen der Verschwörungstheorien und lässt sehr deutlich werden, dass der Aufbau von Feindbildern aufgrund vereinfachter Erklärungsmuster teils zu drastischen Folgen für die Gesellschaft führte. Das immer wiederkehrende Motiv des Judenhasses ist hier ein Beispiel.
Der geschichtliche Durchgang mündet in einen großen Raum, der die verschiedenen Verschwörungstheorien der Gegenwart aufnimmt. Vor allem interessant und gelungen ist hier der Aufbau der jeweils vorgestellten Kontexte. Er folgt einem Vierschritt: Frage – Exponate – Erläuterung bzw. Rezeption und schließlich Gegenargumentation. Besonders mit dem letzten Schritt begibt sich die Ausstellung über den rein darstellenden Bereich hinaus auf das Gebiet der politisch-gesellschaftlichen Bildung. Ein Beispiel: Als Eyecatcher dient im Kontext der Chemtrail-Behauptung die Frage: „Gift am Himmel?“ Nach einer kurzen Erklärung und Darstellung des Inhalts der Verschwörungstheorie betrachtet man diverse Originalplakate á la „Chemtrails existieren DOCH!“ und beworbene „Gegenmittel“ wie einen „Orgonit-Chembuster“ oder „Urteilchen-Transmitter“. Die Infobox endet mit einem kurzen Statement – in diesem Fall des Umweltbundesamtes – unter der Überschrift „Chemtrails – bloße Fiktion“. Die Schau endet mit der Aufforderung zur Murmelabstimmung.
Die Ausstellung wird durch diverse kurze Videoclips an Mediensäulen flankiert, die aus meiner Sicht besondere Aufmerksamkeit verdienen, denn sie bringen kurz, prägnant und gut aufgemacht diverse Themen zur Sprache – und das auch für ein jüngeres Publikum nachvollziehbar. So wird hier zum Beispiel der Frage nachgegangen, was eine Verschwörungstheorie ausmacht oder wer an sie glaubt. Die Verantwortlichen haben noch keine weiteren Verwendungspläne für diese Videos für die Zeit nach der Ausstellung. Es wäre zu wünschen, dass sie einer pädagogischen Zielgruppe zugänglich gemacht werden, denn in Unterrichtszusammenhängen ließen sich die Erklärvideos sehr gut verwenden.
Über den Ausstellungsbesuch hinaus kann man in einer Kleingruppe zur Zeit der Sonderausstellung im Kloster auch richtig Spaß haben: Aus dem thematisch passenden Escape-Room im Gewölbekeller mit dem Titel „Der Heilige Gral – auf der Suche nach dem Schatz der Tempelritter“ muss man innerhalb von 60 Minuten herausfinden. Ob mit oder ohne Schatz der Tempelritter wird an dieser Stelle nicht verraten.
Die Beschäftigung mit Verschwörungstheorien, Fake News und sogenannten „alternativen Wahrheiten“ ist aufgrund diverser Studien zunehmend wichtig (siehe etwa die kürzlich erschienene „Mitte Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach der über 45 Prozent der Deutschen daran glauben, dass geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben). Daher kommt die Ausstellung gerade zur richtigen Zeit und wurde sicher auch deswegen von Bundespräsident Steinmeier am 17. Mai 2019 persönlich eröffnet. Er hat auch die Schirmherrschaft übernommen.
Es lohnt sich neben einem Besuch der Kauf des Katalogs, der Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats zu Wort kommen lässt und mit seinem ausführlichen Exponatteil wertvolle und bleibende Einblicke in die Welt der Verschwörungstheorien liefert. Die Ausstellung läuft noch bis 22. März 2020.
Oliver Koch, Frankfurt a. M.