Johannische Kirche

Ein Gottesdienst der Johannischen Kirche in Berlin

(Letzter Bericht: 3/2008, 10ff) Die Johannische Kirche zählt mit rund 3000 Mitgliedern zu den kleineren christlichen Sondergemeinschaften. Oberhaupt ist Josephine Müller, die Enkelin des Gründers Joseph Weißenberg. In Berlin und Brandenburg gibt es zwei große Zentren: die Friedensstadt in Glau bei Trebbin und das St.-Michaels-Heim im Grunewald in der ehemaligen Mendelssohn-Villa. Deren Kauf und Umbau wurde nach der Enteignung der Friedensstadt durch die Nationalsozialisten notwendig. Erst 1994 erfolgte die Rückgabe der Friedensstadt an die Johannische Kirche. Ein weiteres Zentrum liegt in der Fränkischen Schweiz.

An einem Sonntag im Februar 2011 bot sich einer Gruppe aus Mitarbeitern und Praktikanten der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) die Möglichkeit, das St.-Michaels-Heim zu besichtigen und an einem Gottesdienst teilzunehmen. Das zentrale Gebäude bildet die alte Mendelssohn-Villa, von der man aber nur noch den Eingangsbereich im Originalzustand belassen hat. In ihr befinden sich ein Gästehaus, ein Restaurant und Café, Verwaltungsräume und die ausgedehnten Gemeinderäume. Zu diesen gehören die Kirche, ein Theater und Kino, ein Gemeindesaal mit Bar, ein Jugendraum und ein Musikzimmer. In den Nebengebäuden befinden sich u. a. Arztpraxen, eine Einrichtung, die nach dem Prinzip der SOS-Kinderdörfer arbeitet, eine Kindertagesstätte, eine Sporthalle und ein Verkaufsladen für Produkte, die in der Fränkischen Schweiz produziert werden. Das St.-Michaels-Heim ist zu einer „Stadt in der Stadt“ geworden. Der große Kirchenraum mit Empore ist – wie ein Großteil der restlichen Mendelssohn-Villa – seit einer Renovierung zwischen 1957 und 1967 im Stil der 1960er Jahre mit viel Holz gestaltet. Hinter dem Altar befindet sich eine weite Fensterfront, die den Blick auf den Garten ermöglicht. Der Altar prägt den Raum. Er besteht aus drei unterschiedlich großen Holzebenen, wobei auf jeder Ebene ein Name steht. Von unten nach oben sind dies: Moses, Jesus Christus und Joseph Weißenberg. Dessen Bild findet sich auch an der rechten Seitenwand. Auf beiden Seiten neben dem Altar befinden sich violette Fahnen mit dem Wappen der Johannischen Kirche aus unterschiedlichen Zeiten.

Der Sonntagsgottesdienst begann um 11 Uhr. Bereits zehn Minuten vorher hatten die etwa 100 Gemeindemitglieder aus allen Altersgruppen ihre Plätze eingenommen, und es wurde nur noch vereinzelt gesprochen. Der Gottesdienst begann mit Orgelmusik, währenddessen zogen die Ältesten der Gemeinde gemeinsam mit dem Prediger ein. Nach einer kurzen Begrüßung und dem Eingangsvotum folgte das Vaterunser. Es wurde die Formulierung aus dem Kleinen Katechismus verwendet mit kleinen Änderungen. Am auffälligsten war dabei die letzte Zeile, in der die Johannische Kirche „Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ durch „Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Jesus Christus“ ersetzt hat. An das Vaterunser, das im Stehen gesprochen wurde, schloss sich ein Gemeindelied an. Danach sang der Chor. Der Prediger betrat anschließend den Altarbereich, mit einem Prädikantentalar bekleidet und mit dem Brustschild der Johannischen Kirche (Kreuz und Taube) behängt, um zunächst die Lesungen vorzunehmen. Es gab drei Lesungen, die sich der Prediger selbst ausgesucht hatte. An diesem Sonntag waren das eine alttestamentliche Lesung, eine neutestamentliche und eine aus einer sogenannten „Geistfreundrede“. Solche Reden sind Äußerungen von Geistern, die sich über ausgewählte Menschen (Medien) an die Gemeinde wenden. Aus ihnen soll ein „Drittes Testament“ entstehen, das als Ergänzung zur Bibel betrachtet wird.Die sich an die Lesungen anschließende Predigt wurde frei und nach Aussagen eines Gemeindemitglieds „inspiriert“ gehalten. Inhaltlich beschränkte sich die Predigt an diesem Sonntag auf Erbauung und Ermahnung, wobei viel Wert auf eschatologische Aussagen gelegt wurde. Auffallend war die Anrede „ihr Lieben“, die während der etwas über zehn Minuten dauernden Predigt oft verwendet wurde. Die Predigtqualität differiert wahrscheinlich von Sonntag zu Sonntag, je nachdem, wie viel Talent die jeweiligen Laienprediger und -predigerinnen mitbringen. Eine Ausbildung gibt es nach eigenen Aussagen nicht, nur Treffen der Prediger zur gegenseitigen Inspiration. Nach der Predigt sang der Chor ein weiteres Mal, dann die Gemeinde. Die anschließenden Abkündigungen mündeten in ein kurzes Fürbittgebet, woran sich nochmals ein Vaterunser anschloss. Der Aaronitische Segen durch den Prediger beschloss den Gottesdienst. Bei Orgelmusik verließen die Ältesten mit dem Prediger die Kirche. Der gesamte Gottesdienst dauerte nur etwa eine halbe Stunde.

Verwundert hat das doppelte Vaterunser mit den Textänderungen, dessen liturgische Funktion sich uns Besuchern nicht erschloss. Der Personenkult um Joseph Weißenberg fiel besonders an der prominenten Stelle am Altar auf sowie im Text eines Liedes des Chors. Befremdlich wirkten die Verlesung einer „Geistfreundrede“ in einer Reihe mit den biblischen Lesungen und zum Teil auch die Predigt, die sich auf die Geistfreundrede und auf beide Bibeltexte bezog. Hier zeigte sich ganz deutlich die Sonderlehre: Neben der Bibel existieren weitere Offenbarungen, die durch spiritualistische Medien empfangen werden. Die anderen Teile des Gottesdienstes waren ähnlich wie in einem evangelischen Gottesdienst. Die von der Gemeinde gesungenen Lieder finden sich zum Teil auch im Evangelischen Gesangbuch.Wir Besucher wurden sehr freundlich empfangen und unsere Fragen ausführlich beantwortet, sodass der Besuch im St.-Michaels-Heim im Grunewald auf zwischenmenschlicher Ebene eine positive Begegnung mit der Johannischen Kirche war. Jedoch war der Charakter einer Sondergemeinschaft im Gottesdienst an einigen Stellen erkennbar.


Nicole Oesterreich, Leipzig