Esoterik

Ein Vergebungsritual in esoterischem Gewand

In den Räumlichkeiten des „Kabbalah Centre“ in Berlin-Schöneberg (http://berlin.kabbalah.com) fand am 13.9.2017 ein „Erlebnisabend“ mit der amerikanischen spirituellen Lehrerin Brandon Bays statt. Das Zentrum ist eines von weltweit 40 Kabbalah-Zentren, die durch Philip Berg (gest. 2013) und seine Frau Karen Berg begründet wurden. Vertreten wird eine alternative kabbalistische Lehre, nach der durch universelle Grundprinzipien wahre Erfüllung in das Leben des Einzelnen kommen soll. Das Zentrum in Berlin bietet einladend wirkende Räume, in denen neben eigenen Ausbildungskursen auch andere Veranstaltungen stattfinden. Ein besonderes Flair gewinnen die Räume durch die Vermischung von alten und neuen Stilelementen. So sind beispielsweise mit Decke und Fenstern historische Elemente erhalten, während ein Kronleuchter und ein großer Spiegel den Raum modern wirken lassen. Alles ist in Weiß gehalten, sogar der Fußboden. Die Wände verlaufen zum Teil geschwungen, wodurch eine dynamische Wirkung entsteht.

Da der Erlebnisabend auf Englisch ablief, wurden Kopfhörer zur Übersetzung angeboten. Auffallend war der überaus freundliche Empfang durch die Mitwirkenden der Veranstaltung. Eröffnet wurde diese durch die Kabbalah-Leiterin Mali Mizrahi, die die Hauptperson, Brandon Bays, mit lobenden Worten einführte. Bays ist hauptsächlich durch ihr Buch „The Journey – Der Highway zur Seele“ und das gleichnamige Selbstheilungsprogramm bekannt.

Mit strahlendem Gesicht betrat dann die 64-jährige, aus den USA stammende Bays die Bühne, bedankte sich mit einer Umarmung bei Mizrahi für die Vorstellung und erzählte anschließend in enthusiastischem Ton aus ihrem Leben. Sie sprach frei und hielt stets den Blickkontakt zum Publikum. Dieses bestand aus ca. 65 Personen, die vorwiegend zwischen 40 und 60 Jahren alt waren. Bays mitreißender Ton und ihre häufige direkte Ansprache des Publikums („Wollt ihr heute Abend nur ein Lehrprogramm oder wollt ihr etwas erleben und richtig eintauchen?“) verfehlten ihre Wirkung nicht.

Nach ersten Erzählungen aus ihrem Leben konnte Bays das Publikum dann für einen praktischen Teil gewinnen: eine Massagekette, bei der unter Anleitung den Sitznachbarn der Rücken massiert wurde.

Anschließend ging es um eine persönlich erfahrene Spontanheilung: Sie habe an einem basketballgroßem Gebärmuttertumor gelitten, der nach sechseinhalb Wochen ohne äußere Eingriffe verschwunden sei, berichtete Bays. Sie schilderte, wie Meditation, Konfrontation mit den eigenen Emotionen, Auseinandersetzung mit der eigenen Seele und Vergebung zu diesem Heilungsprozess geführt hätten, und erzählte von Lichterscheinungen, die sie dabei gehabt habe. Die erfahrene Spontanheilung diente als Legitimation für ihre daraus entwickelte Methode zur Selbstheilung. Mit ihrer persönlichen Erfahrung habe sie sozusagen bewiesen, dass Verzeihen und die Auseinandersetzung mit inneren Wunden zur Selbstheilung führen können.

In einem weiteren praktischen Teil folgte eine Meditation, bei der Bays die Teilnehmenden teilweise im Flüsterton zu sich selbst, in den eigenen Körper führen und ihnen die Weite und Unendlichkeit der inneren Welt, des eigenen Bewusstseins vor Augen führen wollte. In Gedanken und mit geschlossenen Augen reiste man v. a. zu den verspannten Körperregionen, die „bearbeitet“ wurden, indem Liebe und Annahme tief eingeatmet und dann gezielt auf die unguten Punkte im Körper geflutet wurden. So sollten Blockaden gelöst und innerliche wie äußere Heilung erreicht werden.

An späterer Stelle des Abends vertraute Bays sich dem Publikum mit einer sehr intimen Geschichte an. Das Wesentliche daran war der Punkt, an dem sie durch die Kraft der Vergebung zu einem Frieden mit sich selbst gelangt sei. Im Anschluss folgte eine dritte praktische Übung, die darin bestand, sich zu zweit zusammenzusetzen und einander jene Inhalte anzuvertrauen – zu beichten –, bei denen man Vergebung brauche. Spätestens ab diesem Punkt des Abends war eine starke persönliche Öffnung gefragt – gegenüber sich selbst, aber auch gegenüber einer (fremden) Person (natürlich auf freiwilliger Basis).

Beschlossen wurde der Abend mit einer Verlosung, bei der jemand aus dem Publikum ein Ticket für ein im November bei München stattfindendes Intensiv-Wochenende mit Brandon Bays gewinnen konnte. Nach der Verabschiedung warteten am Ausgang bereits Mitarbeiterinnen mit Anmeldebögen zu diesem Wochenende.

Inhaltlich gründet Brandon Bays‘ „Journey“-Programm (http://journeyseminare.de) auf der Annahme einer positiven Essenz des Menschen. Vorausgesetzt wird ein Naturzustand, der perfekt ist. Mit fortschreitendem Leben wird das Gute im Menschen jedoch mehr und mehr überlagert. Ziel der „Journey“-Methode ist es, zum wahren Wesen des Menschen zurückzukommen und so das in ihm liegende Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Oft wird das Bild des Kindes herangezogen, das ganz ungehemmt mit seinen Emotionen und Bedürfnissen umgeht und im Gegensatz zu „erwachsenen“ Personen diese nicht wegerklärt oder ignoriert, sondern sie auslebt. Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen bei Bays im Mittelpunkt – implizierend, dass er selbst die Verwirklichung seiner Wünsche und Anliegen veranlassen kann. Hierbei ist erwähnenswert, dass der körperliche und seelische Zustand in direktem Zusammenhang stehen. Demzufolge kann durch seelische Heilung auch körperliche Genesung erreicht werden. Durch positive Gedanken soll das Zellgedächtnis verändert werden können. Die Macht der Gedanken und der Einstellung gegenüber dem Leben und sich selbst spielen dabei eine Schlüsselrolle. Allerdings grenzt sich Bays klar von der Methode des „Positiven Denkens“ ab. Sie spricht von einer in die Tiefe gehenden Arbeit mit sich selbst, mit seinem Inneren, schlussendlich mit den in den Körperzellen gespeicherten Erinnerungen. Diese können geändert und damit kann ein Zustand der Krankheit überwunden werden. Kritisch ist hierbei zu fragen, ob nicht die seelische und die körperliche Ebene unzulässigerweise miteinander vermischt werden. Selbstverständlich besteht ein Zusammenhang von Seele und Körper, so z. B. bei psychosomatischen Erkrankungen. Jedoch ist diese Beziehung nicht kausal, wie es Bays darstellt.

In ihrer Selbstheilungsmethode hat die Vergebung eine besondere Bedeutung. In der christlichen Tradition wird die Beichte praktiziert. Bei der Beichte geht es schwerpunktmäßig um die Vergebung als Befreiung des ichzentrierten und vor Gott schuldigen Menschen durch Gottes Güte. In der Vergebung wird Gottes Ja zum Menschen und sein Angebot der Hilfe und Zusage deutlich. Auch aus psychologischer Sicht wohnt dem Akt der Beichte und der Vergebung eine besondere Kraft inne.

Es ist interessant, dass in Brandon Bays‘ „Journey“-Programm der Vergebung eine so wichtige Rolle zukommt. Vergebung wird als Chance dargestellt, sich von dem zu befreien, was die persönliche Entfaltung behindert. Bays nimmt aus eigener Erfahrung Vergebung als einen wirksamen Schritt wahr, um zur Heilung zu gelangen. „Was vergeben ist oder wirklich losgelassen wurde, ist auch vergessen, befreit und schafft Raum für unser wahres Potenzial“ (www.lebdichganz.de/the-journey/journey-prozesse.html).

Nachdenklich habe ich diesen Abend verlassen. Es hat mich überrascht, in einem esoterischen Heilungszentrum an die befreiende Kraft der Vergebung erinnert zu werden.


Katharina Sigel, Bayreuth