Evangelisations- und Missionswerke

Eine neue Dimension der Evangelisation - zum Tod von Billy Graham

Der bekannte US-amerikanische Evangelist Billy Graham ist im Alter von 99 Jahren gestorben.

1949 katapultierte eine gelungene Zeltevangelisation in Los Angeles den etwas über 30-jährigen US-amerikanischen Evangelisten in die Schlagzeilen. Ursprünglich auf drei Wochen angelegt, dauerte die Evangelisation schließlich acht Wochen. Der aufstrebende Evangelist wurde umgehend gedrängt, auch in die Medien zu gehen. Als am 5. November 1950 die wöchentliche „Hour of Decision“ (1950 – 2016) erstmals ausgestrahlt wurde, hatte es schon fast drei Jahrzehnte christliche Radioarbeit gegeben. Trotzdem war die „Stunde der Entscheidung“ etwas ganz Neues. Neben den weiter aufsehenerregenden Evangelisationen sorgten drei Faktoren dafür, dass gerade Billy Graham zum Inbegriff der Massen- und Medienevangelisation wurde.

Erstens stieß er im Bereich der evangelikal-fundamentalistischen Rundfunkarbeit in die Lücke, die der Tod von Walter Arthur Maier (1893 – 1950) von der „Lutheran Hour“ (erste Sendung 1930) hinterlassen hatte. Die „Hour of Decision“ wurde in den USA sofort „von Küste zu Küste“ ausgestrahlt und hatte bald einen festen Platz bei zahlreichen christlichen und säkularen Radiostationen weltweit. Auch der Evangeliums-Rundfunk hatte nach dem erfolgreichen Ausgreifen Billy Grahams nach Europa (in Deutschland z. B. „Euro 70“ in Dortmund) jahrelang eine Adaption der „Stunde der Entscheidung“ in seinem damals noch auf Mittelwelle über TWR Monte Carlo ausgestrahlten Programm.

Zweitens ließ Billy Graham sich stärker als seine Vorgänger auf die säkulare Öffentlichkeit und ihre Formen ein. Bisher waren in den christlichen Radiosendungen überwiegend die altbekannten kirchlichen Formen wie Gottesdienst, Predigt oder Bibelstunde in den Rundfunk übernommen worden. Im Unterschied zu den traditionellen Programmen benutzte die „Hour of Decision“ mit der Reportage eine echte Funkform. Sie berichtete von Billy Grahams Evangelisationen und ihren Vor- und Nacharbeiten wie von einem anderen nachrichtenträchtigen Ereignis. Und in der Tat gab es etwas aus der Vorbereitung und Durchführung von Massenevangelisationen in aller Welt zu berichten. Die Verkündigung kam in Predigtausschnitten und dem immer enthaltenen „Ruf zur Entscheidung“ für Jesus Christus zu Wort. Damit rückte der Evangelist in eine neue Rolle, denn er „machte“ das Ereignis – durch seine Organisation von Großereignissen und, wenn es zu Bekehrungserfahrungen kam, auch „geistlich“.

Drittens organisierte oder unterstützte die „Billy Graham Evangelistic Association“ weltweit zahlreiche Evangelisten- und Evangelisationskongresse (Amsterdam 2000) und formte so die weltweite evangelikale Bewegung entscheidend mit. Seinen letzten großen Auftritt im deutschsprachigen Europa hatte Billy Graham 1992 als erster Prediger der Massen- und Medienevangelisation „ProChrist“. Diese wird seither alle paar Jahre durchgeführt, so auch 2018.

Neben die Großveranstaltungen und Kongresse trat jahrzehntelang ein breites Spektrum von Medien (Hörfunk, Film, Fernsehen, Zeitschriften), auch in Fremdsprachen. In jüngerer Zeit wurde der Schwerpunkt allerdings ins Internet verlagert. Die derzeitigen Arbeitsbereiche lassen sich am leichtesten in der Internetpräsenz der Billy Graham Evangelistic Association (www.billygraham.org) nachlesen. Die 1950 gegründete Billy Graham Evangelistic Association wird seit 2000 vom Sohn Franklin Graham geleitet. Sie beschäftigt an die 500 Mitarbeitende, vor allem in den USA, es gibt aber auch Zweige in Kanada, Australien, Großbritannien – und in Deutschland.

In den 2000er Jahren zog sich Billy Graham immer weiter aus der Öffentlichkeit zurück. Während er in evangelistisch orientierten Kreisen in der Regel höchstes Ansehen genoss, apostrophierten ihn andere als „Maschinengewehr Gottes“ und nahmen Anstoß an seiner Verkündigung, seiner Theologie und seiner Nähe zu den US-Präsidenten. Aber auch auf fundamentalistischer Seite gab es Verkündiger, die sich am „falschen Evangelium Billy Grahams“ abarbeiteten. Man muss dazu nur „Billy Graham“ und Stichworte wie „false“ oder „deception“ eingeben, um zu entsprechenden Internetseiten zu kommen.


Hansjörg Biener, Nürnberg