Gesellschaft

Einmischung in die Politik erwünscht. Statements des Bundespräsidenten und des Bundestagspräsidenten

In der Veranstaltungsreihe „Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie“ hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich mit Gästen über die Bedeutung von Religionen für die Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Politik diskutiert. Neben dem Christentum wurde vor allem die islamische Religion in den Blick genommen. Steinmeier führte dazu aus, dass „angesichts von Millionen Muslimen, die in unserem Land leben“, die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, längst beantwortet sei. Wichtiger sei die Frage, welcher Islam dazugehöre (https://forum-bellevue.de/index.php?id=12711).

Dieser zweiten Frage haben sich kürzlich zwei Unionspolitiker zugewandt und mit der Herausgabe des Buches „Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland“ (2019) eine Antwort versucht. Carsten Linnemann und Winfried Bausback definieren den politischen Islam darin als eine radikale Ausprägung der Religion, die den westlichen Lebensstil zum Feindbild erhebt und die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung ablehnt und angreift (7). Dass ein solcher Islam nicht zu Deutschland gehört, ist weitgehend unstrittig.

Wolfgang Schäuble wies in seinem Eröffnungsvortrag der Buchvorstellung (21.2.2019) jedoch darauf hin, dass der Titel des Buches provoziere, weil er verschiedene Lesarten ermögliche. Verstehe man den Begriff „politischer Islam“ nicht als radikalen, gewaltbereiten Islamismus, sondern als jegliche Form eines öffentlichen Islam, stehe er in Spannung zur sogenannten hinkenden Trennung von Staat und Religion, wie sie 1919 in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) festgeschrieben und 1949 ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Schäuble machte durch den Verweis auf die WRV darauf aufmerksam, dass Religion zwar nicht Politik sein darf, sie aber durchaus politisch sein kann. Die hinkende Trennung zwischen Staat und Religion hebe das sozialproduktive Potenzial von Religionen hervor und sei von der Überzeugung getragen, dass Religionen wesentlich zu den Voraussetzungen beitragen können, die der freiheitliche Staat selbst nicht schaffen kann. Mit diesem Verweis auf den Staats- und Verwaltungsrechtlicher Ernst-Wolfgang Böckenförde mahnte Schäuble an, dass nicht ein politischer Islam per se als problematisch gelten könne, sondern dass er „im Gegenteil so verstanden durchaus wünschenswert“ sei.

Schäuble weist mit diesem, in unserer heutigen Debattenlage durchaus provakanten Statement darauf hin, dass die Diskussionspole nicht zwischen einem legitimen, privaten Islam auf der einen und einem gewaltbereiten, politischen Islam auf der anderen Seite verlaufen dürfen, sondern dass das Grundgesetz öffentliche Artikulationen und Interventionen von Religion befürwortet, solange sie sich nicht gegen die freiheitliche Grundordnung richten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fasst den Anspruch an die Religionsgemeinschaften enger. Er bezieht sich nicht auf die verfassungsrechtliche Grundlage, sondern formuliert eine gesellschaftliche Erwartung und fordert von jeder Religionsgemeinschaft in einer aufgeklärt-freiheitlichen Gesellschaft, „dass sie sich immer wieder selbst befragt: Ob sie den eigenen Ansprüchen an Friedfertigkeit, Moral und Wahrheitsliebe gerecht wird. Und wie sie ihr Verhältnis zu Gesellschaft, Staat und Rechtsordnung bestimmt“. Nur auf diese Weise sei ein gesellschaftliches Miteinander langfristig möglich.

Positiv an diesen beiden Debattenbeiträgen ist unverkennbar, dass sich sowohl der Bundespräsident als auch der Bundestagspräsident mit der Rolle von Religion in der Gesellschaft und ihrem Verhältnis zur Politik befassen. Das zeigt, dass die politischen Akteure auf höchster Ebene die Notwendigkeit einer aufgeklärten Debattenkultur gerade auch im Zusammenhang mit Religion erkennen und sich dafür engagieren, sie zu etablieren und zu gestalten.


Hanna Fülling