John Michael Greer

Enzyklopädie der Geheimlehren

John Michael Greer, Enzyklopädie der Geheimlehren, aus dem Amerikanischen von Martina Kempff und Ralph Tegtmeier, für den deutschen Sprachraum bearbeitet und ergänzt von Frater V.D., Ansata Verlag, München 2005, 846 Seiten, 55,00 Euro.


Die Einführung nennt gleich zu Beginn, für welche Zielgruppe dieses Buch gedacht ist. Es versteht sich als „Nachschlagewerk für Praktizierende der mannigfaltigen okkulten Traditionen der westlichen Welt“. Darüber hinaus wendet es sich an Interessierte, „die mehr über Magie, Alchemie, Astrologie, heidnische Spiritualität oder über alle anderen Überlieferungen und Praktiken erfahren möchten“. Es ist von einem bekennenden Okkultisten „aus der Sicht des Praktikers“ verfasst worden.

Der US-amerikanische Autor John Michael Greer (Jg. 1962) ist „aktives Mitglied mehrerer esoterischer Gesellschaften“. Wie er schreibt, ist er u.a. „Druide, Freimaurer, Geomant, kabbalistischer Zeremonialmagier und geweihter Priester einer Kirche, die im traditionellen Lousiana-Hoodoo wurzelt“ (10). Worum es sich bei „Hoodoo“ – was jedoch nicht mit Voodoo verwechselt werden dürfe – handelt, geht aus dem einschlägigen „Hoodoo“-Artikel im Buch selbst hervor. Greer versteht darunter die „traditionelle Volksmagie der afro-amerikanischen Kultur“. Recherchen im Internet ergeben, dass der Verfasser seit 1995 aktives Mitglied im „Order of Bards Ovates and Druids (OBOD)“ ist, sich also im modernen neuheidnischen Druidentum engagiert.

Der deutsche Bearbeiter der ursprünglich 2003 erschienenen Ausgabe („The New Encyclopedia of the Occult“), Ralph Tegtmeier alias Frater V. D., ist zumindest in der deutschsprachigen Okkult-Szene kein Unbekannter: Er ist Mitglied der Okkultloge Fraternitas Saturni und hat die zweibändige „Schule der Hohen Magie“ vorgelegt. Nach Mitteilung des Verlages hat er die amerikanische Originalausgabe „um zahlreiche Beiträge erweitert, die für das deutsche Sprachgebiet von Bedeutung sind“. Um welche Artikel es sich dabei handelt, wird allerdings nicht mitgeteilt. Gerade dort, wo man sich genauere Informationen eines die Saturn-Gnosis Praktizierenden gewünscht hätte, so beim Stichwort „Fraternitas Saturni“, sind die Informationen über das gegenwärtige Erscheinungsbild dieser Gruppierung jedoch mehr als dürftig. Lapidar heißt es: „Der Orden ist bis heute aktiv“ (244).

Dass diesem Buch nur ein äußerst begrenzter wissenschaftlicher Wert zukommen kann, lässt sich unschwer aufzeigen: Unter dem Stichwort „Satanismus“ wird z.B. suggeriert, der Satanismus sei in Wahrheit lediglich „das Objekt christlicher Fantasien und paranoider Vorstellungen“ (637). An anderer Stelle äußert sich der Verfasser in abenteuerlicher Weise zu Adolf Hitler, einem „österreichischen (später deutschen) Politiker und Okkultisten“ (!), dem er eine „dämonische Besessenheit“ (335) attestiert. Die ursprünglichen Symbole der okkultistischen Golden-Dawn-Tradition – die Swastika bzw. das Hakenkreuz u.a. – seien „von Hitler gestohlen und zu magischen Zwecken ausgebeutet“ worden (336, Bildunterschrift).

Fraglich bleibt, wie weit man durchaus interessanten Einzelinformationen trauen kann, so etwa dem Eintrag „Wicca-Kult, christlicher“. Demnach sei dieser moderne Zweig des Neuheidentums in den 1990er Jahren in den USA gegründet worden, um eine Verbindung zwischen katholisch geprägtem Christentum und Wicca-Kult herzustellen: In der Praxis stünden typische Wicca-Rituale neben Praktiken, „die auf Verehrung der Dreifaltigkeit, der Jungfrau Maria und der Heiligen ausgerichtet“ seien (792). An die Stelle der Göttin würden in diesem System die „Jungfrau Maria und Maria Magdalena“ treten.

Einschlägige Übersichtsartikel zum Thema Esoterik oder Okkultismus (hier findet sich nur der Eintrag „Fantasy-Okkultismus“) sucht man in dieser „Enzyklopädie des Geheimwissens“ vergeblich. Etliche Beiträge sind substanzarm und nicht präzise (so die Artikel zu „Spiritismus“ und „Spiritualismus“). Gerade hier wird deutlich, dass den „Okkultpraktizierenden“ Greer begriffs- und ideengeschichtliche Herleitungen kaum interessieren. Stellenweise liefert er lediglich rein historisierende Darstellungen. Ein Blick auf die aktuelle Okkult-Szene bleibt dem Leser hingegen verwehrt. Hinzu kommt, dass Greer wiederholt gängige antichristliche bzw. antikirchliche Ressentiments (z.B. beim Satanismus) verbreitet.

Insgesamt ist dieses Buch – entgegen seinem eigenen Anspruch – nur von geringem Gebrauchswert.


Matthias Pöhlmann