Weltanschauungsarbeit

Erfahrungsberichte zum Hören: „In Sekten“

Podcasts als Form der Wissensvermittlung finden derzeit einen enormen Resonanzraum. Es gibt Podcasts zu ziemlich jedem Thema. Unter den diversen wissenschaftlichen Podcasts findet sich inzwischen auch eine Reihe für die Weltanschauungsarbeit interessanter Dienste, die auf das jeweils anvisierte Publikum zugeschnitten sind.

Ein noch ganz junges Mitglied in dieser Familie ist die Eigenproduktion „In Sekten“ der Audio-Plattform FYEO, die zur ProSiebenSat.1 Media-Gruppe gehört (www.fyeo.de/originals/in-sekten). Der Titel „In Sekten“, der an Titelcover in der Hochphase der Sektendiskurse in den 1990er Jahren erinnert (z. B. „Sekten und Sondergemeinschaften in den neuen Bundesländern“, 1992), zeugt von der angelegten doppelbödigen Bedeutung. Vermarktungsstrategische Gründe und die Orientierung auf ein größeres Publikum werden bei der Namensgebung wohl eine Rolle gespielt haben. Die Beiträge sind unterhaltsam, modern aufbereitet, jedoch stellenweise etwas arg salopp.

Der Journalist Berni Mayer führt durch das Format. Die Sendung möchte zeigen, „wie man in Sekten hineingerät und auch wieder heraus“, sie schaut „hinter die Kulissen von Glaubensgemeinschaften“ und wirbt mit „Informationen aus erster Hand“, da hier „Menschen zu Wort kommen, die das Sektenleben am eigenen Leib erfahren – und es überlebt haben“. Im Kern der Beiträge stehen daher Erfahrungsberichte ehemaliger Mitglieder, die von ihren Erlebnissen innerhalb religiöser Gruppen und dem Leben nach dem Verlassen dieser Glaubensgemeinschaften berichten. Der Fokus der Recherche liegt demnach auf einem individualisierten Zugang. Dieser hält freilich Tücken bereit, da hier hauptsächlich, ja ausschließlich, problematisiert wird. Die Beispielauswahl der Gruppen zeigt dies eindrücklich. In den zehn Folgen der ersten Staffel finden sich Shinchonji, Jehovas Zeugen, buddhistische Gruppen (u. a. Neue Kadampa-Tradition [NKT]), Universelles Leben, Anastasia, Scientology, Colonia Dignidad, Lichtoase und Kirschblütengemeinschaft, aber auch aktuelle Entwicklungen im spirituellen Coaching – bis auf wenige Ausnahmen tauchten diese in den letzten drei Jahrzehnten bis heute mit negativen Schlagzeilen in der Öffentlichkeit auf.

Kleine religiöse Gruppen werden damit ausschließlich als gesellschaftliche Problemfälle und Störfaktoren ausgeleuchtet. Dies verstärkt die Tendenz, Religion und Religiosität gemeinhin als problematisch wahrzunehmen und sich auf Defizite zu konzentrieren. Die positiven Aspekte von Glauben und religiöser Gemeinschaft kommen hier nicht zu Sprache.

Die einzelnen Beiträge selbst werden von Statements diverser Expertinnen und Experten der staatlichen, katholischen und evangelischen Beratungsstellen sowie von in der Szene bekannten Journalisten wie Hugo Stamm und Silvio Duwe angereichert, die einordnend und informierend wirken. Eine weiterführende akademische Verortung der jeweiligen Gruppe, die eine weitere Perspektive auf die sogenannten Sekten geworfen hätte, bleibt jedoch allermeist eine Leerstelle – ebenso wie Töne aus den Gruppen selbst. Im Zentrum der Betrachtung steht die Perspektive ehemaliger Mitglieder, die aufgrund von deren Geschichte ein abgrenzendes Moment haben muss. Dennoch ist der Podcast nicht nur als ein eindrückliches Dokument individueller und kenntnisreicher Zeugnisse von Aussteigern und Aussteigerinnen, sondern auch als ein Zeitzeugnis aktueller weltanschaulicher Themen zu würdigen.


Jeannine Kunert, 07.07.2020