Erklärung europäischer Muslime in Köln (DİTİB und Diyanet)
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit fand in Köln eine große Konferenz europäischer Muslime statt, organisiert von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DİTİB, Köln) in Zusammenarbeit mit dem türkischen staatlichen Präsidium für Religionsangelegenheiten (Diyanet, Ankara). Mehr als hundert Teilnehmer aus 17 Ländern, so DİTİB,1 befassten sich in fünf thematischen Einheiten mit der „Zukunft der Muslime in Europa“. Die Veranstaltung, die vom 2. bis 4. Januar 2019 in der DİTİB-Zentrale stattfand, schloss mit einer Erklärung in 18 Punkten, die später als Pressemeldung ohne namentliche Zeichnung auf der Internetseite der DİTİB veröffentlicht wurde.2
Dieses „II. Treffen der europäischen Muslime“ hat zwei praktische Ergebnisse:3 Ein „Koordinierungsrat“ soll gebildet werden, der „die effektive und schnelle Kommunikation zwischen den europäischen Muslimen gewährleistet und Visionen unterbreitet“, das gemeinsame Handeln koordiniert sowie als Ansprechpartner für die Öffentlichkeit fungiert (17). Ebenso wurde die Gründung eines „Sekretariats beim Präsidium für Religionsangelegenheiten“ (Diyanet) beschlossen, das die „Institutionalisierung“ von Treffen dieser Art im zweijährigen Turnus betreiben und die „Umsetzung der Beschlüsse“ kontrollieren soll (18). Die türkische Religionsbehörde ist Erdoğan unterstellt, ihr Präsident Ali Erbaş (Erbas), in Wahrnehmung seiner Funktion zugleich auch Ehrenvorsitzender und Beiratsvorsitzender der DİTİB, hielt den Hauptvortrag in Köln.
Die inhaltlichen Akzente betreffen hauptsächlich drei Felder: Forderung der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe der Muslime in Europa, Abwehr von Intoleranz, Diskriminierung und Islamfeindlichkeit bis hin zur Gewalt gegenüber Muslimen, Betonung des friedlichen und gemeinschaftsdienlichen Charakters des Islam in seiner Universalität. Klar und deutlich wird dabei nicht ein „Islam in, aus und für Deutschland“ befürwortet oder gar als Ziel genannt, wie es etwa Horst Seehofer zu Beginn der Deutschen Islam Konferenz im November 2018 formulierte, sondern im Gegenteil eine solche „Einschränkung des Islams“ explizit abgelehnt und dazu aufgefordert, „gemäß kollektivem Bewusstsein zu handeln“, die Fragen und Probleme der in Europa lebenden Muslime im Rahmen der islamischen Tradition zu lösen und „hierfür ihre eigenen Dynamiken“ einzusetzen. Die „vorbildhaften Dienste“ des Islam seien „Garant für eine multikulturelle, multireligiöse und multinationale europäische Gesellschaft“ (8-11; 2).
Dies soll offenbar auf breiter Basis verwirklicht werden, europaweit, und richtet sich keineswegs nur an Türken oder türkeistämmige Muslime. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter der Muslimbruderschaft bzw. den Netzwerken der Muslimbruderschaft zuzurechnender Institutionen. So sind auf Fotos zumindest Khaled Hanafy (Frankfurt a. M.), Jasser Auda (London/Doha) und Hussein M. Halawa (Dublin) zu sehen. Alle drei sind Mitglieder des in Dublin ansässigen European Council for Fatwa and Research (ECFR), Letzterer dessen Generalsekretär. Hanafy ist zudem Vorsitzender des deutschen ECFR-Zweigs „Fatwa-Ausschuss in Deutschland“ wie auch des Rates der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) sowie Dekan des Europäischen Instituts für Humanwissenschaften (EIHW) in Frankfurt. Auda ist Gründer und Vorstandsmitglied der International Union of Muslim Scholars (IUMS). Sowohl der ECFR (1997) als auch die IUMS (2004) gehen auf die Initiative des „Global Mufti“ Yusuf al-Qaradawi zurück, der diese Zusammenschlüsse muslimischer Gelehrter unterschiedlicher „Konfessionen“ gegründet hat und bis heute leitet bzw. bis vor kurzem leitete.
Die Allianz zwischen Diyanet/DİTİB und Muslimbruderschaft bzw. muslimbruderschaftsnahen Akteuren ist weder neu noch erstaunlich. Erdoğan selbst ist in der türkischen Variante der Muslimbruderschaft, der Milli Görüş-Bewegung, groß geworden. Die Kontakte sind da, auch in die arabische Welt, Annäherungen gab es immer wieder, zumal in den letzten Jahren. Der Duktus der Abschlusserklärung liegt genau auf dieser Linie. Erdoğan versucht nun offenbar, die Anstrengungen zu bündeln und auf diesem Wege den Einfluss der Türkei und seiner Religionsbehörde auf die Muslime in Europa zu verstärken und den Führungsanspruch der Türkei zu unterstreichen – und erteilt Integrationsbemühungen damit (erneut, muss man sagen) eine klare Absage.
Einige Formulierungen der Erklärung lassen aufhorchen und lohnen eine etwas genauere Betrachtung.
1. Ausführlich wird die Bedrohungslage der Muslime in Europa gezeichnet, die die Zuversicht auf das Gute schwinden lasse und den Frieden und das Zusammenleben gefährde. Die Gesellschaft lehne die Muslime ab, schütze sie zu wenig und stachele dadurch die Gewaltspirale an. Die Gülen-Bewegung wird direkt neben dem IS in die Terrororganisationen eingereiht, die sich „stets Muslime zur Zielscheibe nehmen“ und die „lichterne Gestalt des Islams“ zu diskreditieren versuchen (6).
2. Vor diesem (überaus dunklen) Hintergrund ist die Betonung der „eigenen Dynamiken“ aussagekräftig. Es ist eben „der“ Islam in seiner Universalität – nicht „deutsch“, „französisch“ oder auch „europäisch“ –, „der alle Epochen und Orte zugleich erleuchtet“. „Der Islam ist eine Religion des Friedens, [die] überall auf der ganzen Welt dieselben universalen Werte verteidigt“ (8). Die Prinzipien dieses uneingeschränkten Islam, der (nicht transformativ oder integrativ denkt, sondern) Europa „vorbildhafte Dienste“ leistet, bieten „eine Möglichkeit für die Lösung der genannten Probleme“ (5). (Wer dächte hier nicht an den Slogan der Muslimbrüder „Der Islam ist die Lösung“?)
3. Der Universalität entspricht das Konzept der einen, alle Muslime verbindenden Umma. Es ist rechtsschulenübergreifend gedacht und hat von daher durchaus moderierende Aspekte, die Vermittlung und Kompromiss einschließen (16). Doch das „kollektive Bewusstsein“ (der Umma) korreliert mit weiteren Stichwörtern wie „ganzheitlich“, „Harmonie“, „Recht als universaler Wert“ usw. Es wird darauf eingeschworen, die Probleme im Rahmen des reichen Erkenntnis- und Methodenschatzes des Islam zu lösen, und erneut mit dem Konzept des Antagonismus „des Westen“ gegen „den Islam“ geimpft (11).
4. Liberale Muslime werden nicht genannt, in einer Andeutung nur wird jeder Anspruch von „marginale[n] Personen und Gruppierungen“ auf Vertretung der Muslime als im Widerspruch zu den sozialen Realitäten stehend abgetan (9).
Man fragt sich abschließend, von wem und in welcher Richtung hier die scharfe Ab- und Ausgrenzung stattfindet. Und im Blick auf die Dialogakteure in Staat und Kirchen, welche konkreten Folgerungen sie aus der eindeutigen Positionierung der DİTİB und der mit ihr in Köln auftretenden europäischen Muslime zu ziehen gedenken.
Friedmann Eißler
Anmerkungen
1 Andere Angaben: 80 Vertreter aus 18 Ländern (IslamiQ).
2 www.ditib.de/detail1.php?id=660&lang=de.
3 Die Ziffern im Folgenden beziehen sich auf die Paragrafen der Abschlusserklärung.