Ermittlungsverfahren gegen Hartmut Hopp eingeleitet
(Letzter Bericht: 8/2011, 300ff) Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat ein Ermittlungsverfahren gegen den international gesuchten Hartmut Hopp eingeleitet. Der 67-jährige ehemalige Arzt der deutschen Sekte „Colonia Dignidad“ / „Villa Baviera“ in Chile war im Frühjahr dieses Jahres nach Deutschland geflohen, um sich einer drohenden Verhaftung zu entziehen. Hopp war in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Eine Bestätigung des Urteils durch das oberste chilenische Gericht steht zurzeit noch aus. Hopp hatte wohl gehofft, auf diese Weise einer strafrechtlichen Verfolgung entgehen zu können, da das deutsche Grundgesetz nach Art. 16 eine Auslieferung von Deutschen ins Ausland verbietet.Hopp und seine Frau wählten, wie andere ehemalige Sektenmitglieder und Familienangehörige Hopps auch, Krefeld als ihren künftigen Wohnort. Offenbar suchen die Heimkehrer in der dortigen „Freien Volksmission“ um Ewald Frank eine neue geistliche Heimat, nachdem der Prediger nach der 1997 erfolgten Flucht des Sektengründers Paul Schäfer unter den verunsicherten Sektenmitgliedern in Chile missioniert hatte.Hopps Flucht und sein Auftauchen in Krefeld wurden deutschlandweit und von lokalen Medien aufmerksam registriert. Besonders die „Rheinische Post“ berichtete regelmäßig und ausführlich. In der Region Krefeld wuchs die Unruhe unter der Bevölkerung. Die „Wohnstätte Krefeld“, wo das Ehepaar Hopp ab September eine Wohnung gemietet hatte, kündigte den Vertrag vor Bezug der Wohnung. Besorgte Anwohner verkündeten über Facebook, dass Hopp unerwünscht sei. Darüber hinaus meldeten sich in überregionalen Medien Stimmen zu Wort, die mit Sorge fragten, ob Deutschland ein „sicherer Hafen“ für Menschen sein könne, die sich solch schwerwiegender Vergehen schuldig gemacht haben wie die Führungsriege der Sekte Colonia Dignidad um Paul Schäfer.Der Anwalt Wolfgang Kaleck erstattete in seiner Funktion als Generalsekretär der kleinen, von Anwälten in Berlin gegründeten Menschenrechtsorganisation „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR) Strafanzeige gegen Hopp. Vorgeworfen werden dem Arzt in der Anzeige „Beteiligung an schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern in den Jahren 1993 bis 1997 sowie am Verschwindenlassen und Mord von drei Oppositionellen im Jahr 1976 auf dem Areal der Colonia Dignidad“ (www.ecchr.eu). Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft Krefeld am 31. August 2011 ein Ermittlungsverfahren gegen Hopp eröffnet. Im Newsletter des ECCHR heißt es: „Damit besteht für viele Geschädigte die Hoffnung, dass es nach über 25 Jahren halbherziger Ermittlungen in Deutschland durch die Staatsanwaltschaft Bonn nun zu einer ernsthaften Aufklärung und Verfolgung zahlreicher schwerer Verbrechen in der Colonia Dignidad kommt, wobei auch die Rolle deutscher Außenpolitik in diesem Gesamtkomplex zur Sprache kommen muss“ (www.ecchr.eu). In einem Interview mit dem Deutschlandfunk warf Kaleck in diesem Zusammenhang dem Auswärtigen Amt und deutschen Unternehmen vor, in den 1970er Jahren „mit den Militärdiktaturen in Lateinamerika paktiert“ zu haben beziehungsweise „zu wenig unternommen“ zu haben gegen die dortigen Menschenrechtsverletzungen. Immer wieder habe es Kontakte der Colonia Dignidad zu „deutschen Offiziellen“ gegeben. (Bekannt wurde vor allem ein Besuch von Franz Josef Strauß in der „Kolonie der Würde“.) Misstrauisch mache ihn, so Kaleck, dass das Auswärtige Amt „jahrelang“ keine Akteneinsicht im Zusammenhang der Sekte gewährt habe. Auch unabhängig vom Fall Hopp sieht er den Bedarf zur rechtlichen Aufarbeitung dessen, was in der Colonia Dignidad geschah. Im Interview erzählt Kaleck, dass schon seit längerem Kontakte mit den Opfern der Sekte bestehen und das ECCHR ohnehin tätig werden wollte.Der Anwalt Kai Peters klärt in der „Legal Tribune online“ über die Rechtslage und eine mögliche Strafverfolgung Hopps in Deutschland auf (vgl. www.lto.de). Eine Auslieferung deutscher Staatsbürger sei demnach nur innerhalb der Europäischen Union und an den Internationalen Strafgerichtshof möglich. „Soll Hartmut Hopp für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zur Rechenschaft gezogen werden, ist dies folglich nur von Deutschland aus möglich.“ Für die deutsche Justiz sieht Peters die Möglichkeit, entweder die Vollstreckung des chilenischen Strafurteils zu übernehmen oder eigene Ermittlungen gegen den Sektenarzt einzuleiten, was inzwischen geschehen ist. Einer Vollstreckung des chilenischen Urteils in Deutschland stehe im Weg, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei und noch kein entsprechendes Ersuchen nach Rechtshilfe der chilenischen Behörde vorliege. Außerdem müsste der Betroffene seine Zustimmung zur Übernahme der Strafvollstreckung geben, was unwahrscheinlich ist.Im Blick auf die Einleitung eines eigenen Ermittlungsverfahrens in Deutschland schreibt Peters, dass das deutsche Strafrecht auch auf Auslandstaten angewendet werde, wenn der Täter zur Tatzeit Deutscher war und die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Dabei seien die Strafverfolgungsämter auf Informationen der chilenischen Behörden mit konkreten Hinweisen auf den Verdacht einer Straftat angewiesen. Nach Medienberichten liegt der Krefelder Staatsanwaltschaft neben Hintergrundinformationen der chilenischen Polizei bereits das 500-seitige Urteil gegen Hopp des chilenischen Richters Jorge Zepeda vor. Ein Übersetzungsbüro habe zugesagt, die spanischsprachigen Dokumente bis Anfang Oktober zu übersetzen. Das Argument der Verjährung bei sexuellem Missbrauch, das Peters erwähnt, lässt der Anwalt Kaleck, der Anzeige gegen Hopp erstattet hat, nicht gelten. Bei Sexualdelikten gegen Minderjährige beginne die Frist von zehn Jahren erst mit deren Volljährigkeit zu laufen, so erläutert auch der Newsletter des ECCHR. Bei gemeinschaftlichem sexuellem Missbrauch verjähre die Tat erst nach 20 Jahren. Hinzu komme bei Hopp der Vorwurf, in mindestens drei Fällen am erzwungenen Verschwindenlassen von chilenischen Oppositionellen während des Pinochet-Regimes beteiligt gewesen zu sein. Dabei sei aufgrund historischer Erkenntnisse von Mord auszugehen, der nicht verjähre.Hartmut Hopp war am 11. Januar 2011 in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in den Jahren 1993 bis 1997 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Das ECCHR berichtete außerdem von einer 90-tägigen Strafe wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, die Hopp bereits verbüßt habe. Angeklagt sei er zudem im Fall des Verschwindenlassens dreier Personen auf dem Gelände der Colonia Dignidad sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.Das „Portal amerika 21“ berichtete, dass der chilenische Chefermittler Jorge Zepeda inzwischen ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit prüfe. Dazu müsste Hopp eben eine Mitschuld wegen des Mordes an drei Widerstandskämpfern nachgewiesen werden. Der Sprecher der Siedlung „Villa Baviera“ habe die Bereitschaft der Siedlung erklärt, der Justiz bei den laufenden Ermittlungen zu helfen (www.amerika21.de).„Spiegel online“ meldete, Hopp habe sich mit einem Schreiben an das Nachrichtenportal gewandt. Er sehe sich als Opfer einer parteiischen chilenischen Justiz, die „nicht das Recht sucht, sondern ein oder mehrere Opfer“, heißt es in einem Bericht. Von den Opfern in der Colonia Dignidad will er nichts gewusst haben. Wörtlich schreibt er: „Wozu Schäfer und seine damaligen Mitarbeiter, von denen einige noch leben, ihre Zustimmung oder Hilfestellung gegeben haben, weiß ich nicht und konnte es trotz meiner ernsthaften Bemühungen um Klarheit in den letzten Jahren auch nicht ermitteln.“Diese Aussagen erscheinen angesichts der Umstände wenig glaubwürdig. Der 1944 in Hinterpommern geborene Hopp war 1961 als 17-jähriger mit weiteren 200 Anhängern Paul Schäfers nach Chile ausgewandert. Hopp soll selbst als Jugendlicher von Schäfer missbraucht worden sein. Später leitete er als Arzt das Krankenhaus der Sekte, in dem Sektenmitglieder mit Elektroschocks und Psychopharmaka misshandelt worden sein sollen. Dies habe Hopps Kollegin Gisela Seewald 2005 gegenüber der chilenischen Justiz bestätigt, schreibt der Autor Friedrich Paul Heller in seinem Buch „Lederhosen, Dutt und Giftgas. Die Hintergründe der Colonia Dignidad“. Hopp gilt als ein Führungsmitglied der Sekte unter Paul Schäfer. Bereits 1985 war er von einem Untersuchungsausschuss für Menschenrechte in Bonn vernommen worden. Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelte gegen die Sekte, musste aber das Verfahren aus Mangel an belastbarem Material einstellen.Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Chile arbeitet die Verbrechen unter der Pinochet-Diktatur zwischen 1973 und 1990 auf. Auch in der Colonia Dignidad begangene Unrechtstaten werden untersucht. Der 2010 verstorbene Paul Schäfer sowie weitere Sektenmitglieder wurden bereits verurteilt. In Deutschland haben das Bundeskriminalamt (BKA) und Interpol Angaben im Fall Hopp von den chilenischen Behörden erfragt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld muss die ihr vorliegenden Dokumente auswerten und Vorwürfe herausfiltern, die tatsächlich in Deutschland geahndet werden können. Staatsanwalt Klaus Schreiber glaubt laut Rheinischer Post allerdings, dass noch Jahre vergehen können, bis es zum Prozess kommt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der brisante Fall von der deutschen Öffentlichkeit mit Interesse verfolgt werden wird.
Claudia Knepper