Alternative Medizin

Expertengruppe schlägt Reform des Heilpraktikerberufs vor

(Letzter Bericht: 12/20116, 466f) Nach mehreren Todesfällen bei Patienten eines alternativen Krebszentrums am Niederrhein erklärte die Bundesregierung vor gut einem Jahr, die Zulassungsregeln für Heilpraktiker überprüfen zu wollen. Im Mai 2017 sprach sich der Deutsche Ärztetag dafür aus, dass Heilpraktiker keine invasiven Maßnahmen vornehmen dürfen und keine Krebserkrankungen behandeln sollen.

Jetzt hat eine interdisziplinäre und unabhängige Expertengruppe um die Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert zwei Vorschläge erarbeitet, wie eine Neuregelung des Heilpraktikerwesens in Deutschland aussehen könnte (http://daebl.de/BB36). Darin heißt es, Heilpraktiker seien tätig trotz fehlender wissenschaftlicher Beweise für die Wirksamkeit ihrer Methoden. Sie böten Verfahren an, „die in den meisten Fällen wissenschaftlich unhaltbar sind“. Zum Vergleich wird angeführt, es sei undenkbar, „Brückenbau auf der Grundlage spiritueller Statik zuzulassen oder jemandem die Steuerung eines Flugzeugs anzuvertrauen, dessen ganze Kompetenz in einem erfolgreich absolvierten Workshop über die Sage des Ikarus besteht“. Es fehle eine staatlich regulierte Ausbildung sowie die Verpflichtung zu Fortbildungen (entsprechend der Regelung bei Ärzten, deren Weiterbildung von den Landesärztekammern kontrolliert wird).

Die Expertengruppe empfiehlt, den Beruf des Heilpraktikers entweder ganz abzuschaffen oder grundlegend zu reformieren, etwa durch die Einführung der Zusatzqualifikation „Fach-Heilpraktiker“ bei bestehenden Gesundheitsberufen. Dann könnte nur Heilpraktiker werden, wer bereits einen Heilberuf erlernt hat – also beispielsweise Ergotherapeuten, Krankenpfleger oder Logopäden.

Eine Reform des Heilpraktikerwesens ist nötig. Ob allerdings Heilbehandlungen so einfach zu unterscheiden sind, wie es der Münsteraner Kreis skizziert, darf bezweifelt werden. Die Kommission stellt eine wissenschaftsorientierte Medizin mit den beiden Merkmalen wissenschaftliche Begründbarkeit und klinische Evidenz der Gruppe „Komplementär-Alternative Medizin“ (KAM) gegenüber. Diesem Sammelbecken werden alle diejenigen Verfahren zugeordnet, die der streng naturalistischen Messlatte der Kommission nicht entsprechen. Als Beispiele für KAM werden angeführt: Akupunktur, Homöopathie, Bachblüten und chiropraktische Gelenkmanipulation. Diese sehr unterschiedlichen Heilverfahren über einen Kamm zu scheren, birgt aber die Gefahr, undifferenziert zu verallgemeinern. Übersehen wird dabei, dass KAM-Verfahren in der subjektiven Erfahrung vieler Menschen hochwirksam sind, auch wenn sie wissenschaftlich (noch) nicht erforscht sind. Es ist bemerkenswert, dass in den USA jährlich 120 Millionen US-Dollar zur Erforschung der KAM-Verfahren bereitgestellt werden. Ganz anders sieht es in Europa aus. Während 10 Prozent der britischen Bevölkerung regelmäßig KAM-Verfahren anwenden, werden nur 0,0085 Prozent des dortigen medizinischen Forschungsbudgets für Wirksamkeitsuntersuchungen von KAM-Verfahren aufgewendet. In Deutschland fallen die Unterschiede noch gravierender aus (Forschende Komplementärmedizin 21/2014, (www.karger.com/Article/FullText/358105).

Wir brauchen also nicht nur eine Reform des Heilpraktikerwesens, sondern auch innovative Forschungsprojekte jenseits naturalistischer Scheuklappen, um den Wundern von Heilungen auf die Spur zu kommen.


Michael Utsch