Faszination Buddhismus
Der folgende Beitrag stellt eine erweiterte Fassung des Vortrags dar, den Susanne Matsudo-Kiliani, Beauftrage der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) für den interreligiösen Dialog bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Religion als Projektion“ am 6. Juni 2015 im Rahmen des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Stuttgart gehalten hat. Voraus ging der Vortrag von Volker Zotz, siehe in diesem Heft S. 363-371.
Rezeption des Buddhismus in Deutschland
Grundlegend stellt sich die Frage, was uns Menschen im Westen eigentlich an einer Religion fasziniert, die aus einem für uns doch fremden kulturellen Raum stammt. Konkret gefragt: Was projizieren Deutsche bei der Rezeption des Buddhismus in diesen hinein, was möglicherweise in dem jeweiligen Ursprungsland einer buddhistischen Tradition gar keine Rolle spielt? Denn nur die wenigsten Deutschen sind ja mit dem Buddhismus aufgewachsen oder haben ihn in der Kindheit kennengelernt. Man ist in Deutschland ja nicht – wie in Japan beispielsweise – bereits seit Geburt Mitglied eines buddhistischen Tempels, auf dessen Friedhof dann die gesamte Familie begraben wird.
Wenn Deutsche hierzulande Buddhismus praktizieren, dann übernehmen sie auch zuerst einmal fremdkulturelle Elemente einer ihnen eigentlich fremden Religion. Dabei kommt es zu sogenannten Adaptionsprozessen bzw. Akkulturationsprozessen. Denn bei der Übernahme von fremdkulturellen Sachverhalten werden diese natürlich vor dem eigenen kulturellen Hintergrund bzw. der eigenen kulturellen Prägung interpretiert, und es kommt zu dem Phänomen von unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen. Dabei bleiben Tatsachen und Fakten meist gleich, doch sie bekommen eine neue Bedeutung. So wird in Asien beispielsweise das Konzept des Karma zumindest auf der Ebene der Volksreligion oftmals nahezu fatalistisch gelebt und verstanden, während gerade das Konzept der „Veränderbarkeit“ des Karma bei der Rezeption des Buddhismus in Deutschland als einer der zentralen Punkte einer favorisierten Selbstverantwortungsethik verstanden wird.
Als Grundlage für meine Analyse über die Projektion deutscher kultureller Muster auf den Buddhismus berufe ich mich auf die aktuelle Studie zum Thema „Faszination Buddhismus – Beweggründe für die Hinwendung der Deutschen zum Buddhismus“ (Norderstedt 2015), die mein Mann Yukio Matsudo im Sommer 2014 innerhalb der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) durchgeführt und veröffentlicht hat.
Doch zuerst einmal muss unterstrichen werden, dass es den Buddhismus eigentlich gar nicht gibt. Es wird natürlich immer über den Buddhismus gesprochen, doch ist dieser so unterschiedlich und vielfältig wie die Kulturen dieser Welt. Das zeigt sich ganz besonders deutlich in der DBU, in der viele unterschiedliche Richtungen und Traditionslinien aus den unterschiedlichsten Ländern und mit unterschiedlichster Ausrichtung vertreten sind.
Die DBU als Trägerin der ökumenischen Bewegung der deutschen Buddhisten
Der Dachverband der Buddhisten und buddhistischen Gemeinschaften in Deutschland hat in der Mitgliederversammlung von 2004 eine überarbeitete Version des gemeinsamen „Buddhistischen Bekenntnisses“ verabschiedet. Seine besondere Bedeutung ist der DBU bewusst: „Erstmals in der historischen Entwicklung des Buddhismus sind alle Haupttraditionen in einem Land organisatorisch vertreten. Um die Einigkeit und Geschlossenheit der deutschen Buddhisten sichtbar zu machen, wurde im Jahr 1984 im Westen Einzigartiges geleistet: Es wurde ein gemeinsames Bekenntnis verabschiedet, das von allen Schulen anerkannt wird. Dieses Bekenntnis ist Leitlinie und Grundlage aller Aktivitäten der DBU.“1
In der DBU sind heute 63 Gemeinschaften aus den unterschiedlichsten Traditionslinien und etwa 2600 Einzelmitglieder vertreten. Vor diesem Hintergrund hat das buddhistische Bekenntnis die Mindestanforderungen für ein gemeinsames Bekenntnis zum Ausdruck gebracht, die sich weitgehend an der frühbuddhistischen Form orientieren: die Zufluchtnahme zum „Buddha“ (Gründer des Buddhismus), „Dharma“ (Lehren Buddhas) und „Sangha“ (Glaubensgemeinschaft der Buddhisten) sowie die „Vier Edlen Wahrheiten“, die die älteste Erkenntnis über die Entstehung und Aufhebung des Leidens formulieren. Dazu kommen noch die „Drei Schulungen“ in „ethischem Verhalten“, „Sammlung (Meditation)“ und „Weisheit“ sowie der respektvolle Umgang unter den Buddhisten: „Ich bekenne mich zur Einheit aller Buddhisten und begegne allen Mitgliedern dieser Gemeinschaft mit Achtung und Offenheit.“2
Mit diesem „Bekenntnis für die Einheit aller Buddhisten“ hat die DBU einen bahnbrechenden Schritt vollzogen – indem sich die deutschen Buddhisten in der DBU zum „Buddhismus“ als einer einzigen, einheitlichen „Konfession“ bekennen, akzeptieren sie damit ihre jeweiligen schulischen „Traditionslinien“ als eine von vielen verschiedenen Formen des Buddhismus. Diese geistige Haltung einer Quasi-Doppelzugehörigkeit innerhalb des Buddhismus ist für die deutschen Buddhisten in der DBU bezeichnend, da sie für sich selbst keinen Absolutheitsanspruch erheben und alle anderen Traditionslinien als ebenbürtig ansehen. Das heißt auch umgekehrt: Wer sich für die Mitgliedschaft in der DBU bewirbt, der akzeptiert zwangsläufig deren Buddhistisches Bekenntnis, verpflichtet sich zur Einheit der Buddhisten und verzichtet auf seinen eigenen alleinigen Wahrheitsanspruch. Dadurch beginnt sich immer deutlicher und tiefer eine gesamtbuddhistische Identität herauszubilden.
Auf der anderen Seite fällt es jedoch auch auf, dass in der DBU eine hohe Zahl von Einzelmitgliedern vertreten ist, die sich in der Regel nicht fest an eine bestimmte Gemeinschaft oder Traditionslinie binden, sich selbst jedoch durchaus als Buddhist bzw. Buddhistin betrachten. Dieser Aspekt zeigt einen starken „individualistischen“ Trend der Rezeption des Buddhismus in Deutschland – wohl im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in Asien, wo Buddhismus immer in einer festen, tradierten Gemeinschaft praktiziert wird. Hinzu kommen noch mehrere Tausend „Gelegenheitsbuddhisten“, die ab und zu diverse buddhistische Zentren besuchen, wenn sie Zeit und Lust haben. Diese befassen sich zwar mit dem Buddhismus, wollen sich ihm jedoch keineswegs verpflichten. Für diese Menschen stellt der Buddhismus keine konfessionell verbindliche Religion dar, sondern ganz einfach einen spirituellen Weg unter vielen anderen.
Es gibt generell den Trend, eine Spiritualität zu suchen, die die Grenzen institutionalisierter Religiosität und Dogmen (die Grenzen etablierter religiöser Institutionen) auflöst.
Das Erstinteresse am Buddhismus
Die oben genannte Umfrage enthält zwölf Fragenkomplexe, u. a. wird gefragt, was zum ersten Mal das Interesse am Buddhismus geweckt hat. Aus den Antworten geht hervor, dass es äußerst verschiedene Anlässe gibt, mit dem Buddhismus in Berührung zu kommen, z. B. durch eine Asienreise oder die Lektüre von Büchern wie „Siddhartha“ von Hermann Hesse, teilweise auch über Seminare und Vorträge. Dabei können bekannte Buddhisten wie der Dalai Lama oder Thich Nhat Hanh eine wichtige Rolle spielen, doch auch Laienbuddhisten im eigenen Bekanntenkreis.
Das Ergebnis der Studie zeigt jedoch auf, dass nicht unbedingt diese äußeren Anlässe der entscheidende Anstoß für das Interesse am Buddhismus darstellen, sondern eher die eigene Lebenssituation, die hier unter dem Stichpunkt „Konfrontation mit der Sinnsuche oder einer Lebenskrise“ zusammengefasst wurde. 51 % der Befragten suchten im Buddhismus hauptsächlich eine Lebenshilfe – man sucht keine Religion, keinen Glauben, sondern etwas, was man angesichts einer Lebenskrise tun kann. Die jeweilige Lebenskrise selbst wurde durch die allgemeine Frage nach dem Sinn des Lebens (40 %) ausgelöst, aber auch konkret durch die Konfrontation mit Beziehungsproblemen (19 %), mit Krankheit (18 %) und Tod (21 %) sowie mit Unfall und Versagensängsten. Ich selbst war mit dem relativ frühen Tod meiner Eltern konfrontiert, den ich mit einem allmächtigen Gott nicht in Einklang bringen konnte, und fühlte mich damals der Situation ohnmächtig ausgeliefert. Aus diesem Gefühl heraus suchte ich seelischen Frieden in der Meditation des Tibetischen Buddhismus. Später habe ich den japanischen Nichiren-Buddhismus kennengelernt, der mir dann einen Weg der positiven Lebensgestaltung aufzeigte. So ähnlich scheint es vielen Befragten gegangen zu sein, die angaben, mit diversen lebenskritischen Situationen konfrontiert gewesen zu sein und im Buddhismus praktische Lösungsansätze für die Bewältigung dieser Lebenskrise gefunden zu haben.
In Asien hingegen wird Buddhismus unter der breiten Bevölkerung eher auf der Ebene der Volksreligion praktiziert, wobei das Erlangen von weltlichen Wohltaten und die Zeremonien für die Verstorbenen im Vordergrund stehen. Charakteristisch für die Ebene der Volksreligion ist auch eine große Sonderstellung der Ordinierten, und es besteht dort eine große Distanz zwischen Laien und Ordinierten – man bittet die Ordinierten, dass sie für die Verstorbenen Sutren lesen, aber die Laien selbst sind nicht so stark in die buddhistische Praxis selbst eingebunden, wie das im Westen der Fall ist. Im Westen ist man konkret an den buddhistischen Lehrinhalten und der buddhistischen Praxis interessiert, und die Laienbuddhisten spielen eine viel größere Rolle, als das in den asiatischen Kulturen der Fall ist. Als konkrete Lebenshilfe dienen in Japan beispielsweise eher viele sogenannte neue Religionen, die oft eine Verbesserung der gesundheitlichen, familiären, finanziellen und emotionalen Lebenssituation zum Ziel haben.
Konkrete Erfahrungen mit dem Buddhismus
Viele haben auf die Frage nach den konkreten Erfahrungen mit dem Buddhismus geantwortet, dass sie keine drastischen, sondern schrittweise positive Erfahrungen mit der Ausübung des Buddhismus gemacht haben. Allgemein betrachtet belegen die Antworten, dass die meisten Befragten mit der buddhistischen Praxis gute Erfahrungen machen konnten. Insgesamt haben 99 % der befragten Buddhisten mit der von ihnen ausgeübten Lehre und Praxis positive Erfahrungen gemacht. Dabei wurden die positiven Auswirkungen der Praxis in drei Kategorien eingeteilt, wobei sich in der jeweiligen Kategorie folgender Aspekt als der wichtigste herauskristallisiert hat: die Einstellung zum eigenen Leben (39 %) sowie eine verbesserte Grundstimmung (35 %), die durch das Merkmal „gelassener“ charakterisiert wird. Danach wurde als wichtiger Punkt die Überwindung von negativen Emotionen (25 %) angegeben, wobei es in diesem Fall hauptsächlich um die Emotionen von Angst und Wut ging. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es im Buddhismus nicht um den „Glauben“ an einen transzendenten Gott geht, sondern eher um die praktischen Erfahrungen durch konkrete meditative Übungen, was sich auch als ein wichtiger Aspekt für die Faszination Buddhismus darstellt.
Präferenz der Selbstverantwortungsethik
Bei der Frage, welche Aspekte dafür ausschlaggebend waren, sich dauerhaft mit der buddhistischen Ausübung zu beschäftigen, zeigen die an der Umfrage beteiligten deutschen Buddhisten, dass sie keine Religion mögen, die „einen monotheistischen, dogmatischen Charakter mit Absolutheitsanspruch“ aufweist. So haben sie im Buddhismus eine Lehre und Praxis gefunden, die keine „dogmatische“ Lehre mit der Vorstellung eines transzendenten Gottes favorisiert, der das Leben des Einzelnen und die Abläufe der Welt bestimmt. Eine Religion darf nach Meinung der Befragten dabei auch keinen „Absolutheitsanspruch“ erheben, der eine unheilsame Polarisierung von „guten Gläubigen“ und „bösen Ungläubigen“ bis hin zu einem Feindbild der Andersdenkenden mit sich führt.
Dementsprechend bevorzugen die an der Umfrage Beteiligten u. a. die beiden Aspekte der „Selbstverantwortungsethik“ und der „positiven Lebensorientierung“. Dabei ist der Aspekt der Selbstverantwortungsethik sowohl in den ethischen Grundrichtlinien wie z. B. dem „Nicht-Töten“ und dem „Nicht-Stehlen“, in vielen Geistesschulungen wie z. B. der „rechten Rede“ und dem Meditieren sowie vor allem auch in der Lehre des Karma begründet, dass jeder für sein Leben selbst verantwortlich ist. In einigen Traditionslinien ist darüber hinaus nicht nur von der „Befreiung von Karma“ die Rede, sondern auch von der „Veränderung des Karma“, wobei der Fokus darauf gerichtet ist, bestimmte negativ ausgeprägte Muster im Denken, Sprechen, Fühlen, Wollen und Handeln in positive Muster zu transformieren. Damit steht ebenfalls der Aspekt der positiven Lebensorientierung im Vordergrund, der zusätzlich durch die Übung der Achtsamkeit nicht nur allein während der Sitzmeditation, sondern auch bei allen Aktivitäten des Alltags unterstützt wird. Ziel ist dabei, dass man sich nicht als der jeweiligen Emotion und Situation ausgeliefert erlebt, sondern diese bewusst wahrnimmt und ins Positive transformiert.
An dieser Stelle wird eine für deutsche Laienbuddhisten typische Art und Weise der Rezeption des Buddhismus deutlich. Im Gegensatz dazu stellt der Theravada-Buddhismus eigentlich – so wie diese frühbuddhistische Form in Südasien praktiziert wird – eine Religion für Mönche und Nonnen dar und tendiert zu einer Weltentsagung, wobei das Leben und die Welt weitgehend als vergänglich und leidvoll wahrgenommen werden. Die Hauptaufgabe der Laienbuddhisten besteht dann in der finanziellen und materiellen Unterstützung der religiösen Experten. Im Gegensatz zu diesem gängigen Bild scheint die Form des Theravada-Buddhismus, wie ihn die an der Umfrage Beteiligten in Deutschland rezipieren und praktizieren, eine bemerkenswerte Verschiebung erfahren zu haben: Die spirituelle Orientierung führt nicht mehr zum Streben nach dem Nirvana im Sinne einer Befreiung vom leidvollen Samsara, sondern vielmehr zur Überwindung von Leiden im Alltagsleben, das durch unheilsame Emotionen und Gedanken entsteht. Durch diese Fokussierung auf die Achtsamkeit im Alltagsleben hat hier eine Bedeutungsverschiebung stattgefunden, von einer weltentsagenden Ausrichtung hin zu einer positiven Lebensorientierung. Eine sehr ähnliche Tendenz zeigt auch das Institut „Intersein“ für die Achtsamkeitsmeditation, das vom vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh geleitet wird.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob es in diesem Zusammenhang einen „Filter“ bzw. eine kulturelle Dimension oder einen kulturellen Standard gibt, der erklärt, warum der Aspekt „Selbstverantwortungsethik und positive Lebensorientierung“ für die meisten Befragten eine so große Rolle spielt. Hilfreich für die Darstellung eines solchen kulturellen Filters sind meines Erachtens die kulturellen Dimensionen des Kulturwissenschaftlers Geert Hofstede, wie sie im Bereich der interkulturellen Kommunikation, aber auch im internationalen Management angewandt werden. Ganz besonders geeignet erscheinen mir in diesem Fall die Dimensionen „Individualismus“ und „Machtdistanz“. Diese kulturellen Dimensionen können gerade im Vergleich zu den asiatischen Kulturen in hohem Maße auf die deutsche Kultur angewandt werden. Dabei stellt die Dimension „Individualismus“ eine der großen Unterschiede zwischen der deutschen und der asiatischen Kultur im Allgemeinen dar.
Individualismus und Machtdistanz
Bei der Auswertung der Ergebnisse der Studie stellte sich die Frage: Woher kommt diese starke Ausrichtung auf eine Selbstverantwortungsethik und eine positive Lebensorientierung? So scheint auch die große Anzahl von Einzelmitgliedern in der DBU ein Indikator für den kulturellen Filter des Individualismus und der Machtdistanz zu sein, durch den man die buddhistische Ausübung rezipiert, da die Einzelmitglieder an keine feste hierarchische Struktur einer buddhistischen Organisation gebunden sind.
Die Kategorie der Machtdistanz erfasst einen der oftmals größten Konfliktpunkte zwischen Deutschen und Asiaten. Es geht dabei darum, wie man mit ungleichen Machtverhältnissen in Gesellschaften umgeht, d. h. inwieweit gesellschaftliche Positionen und hierarchische Strukturen respektiert werden und welche Erwartungen und Verhaltensweisen mit solchen Positionen verbunden sind. In Asien herrscht generell eine „hohe“ Machtdistanz, d. h. Positionen und Ämter werden als Status angesehen, der vorbehaltlos und mit größtem Respekt ungefragt akzeptiert wird. Im Rahmen priesterlich ausgeprägter Hierarchiestrukturen kommt es dabei z. B. in Japan in extremen Fällen zu nahezu sklavenhaften Unterwerfungsgebaren von Novizen. Generell wird die Autorität eines Priesters nicht infrage gestellt. Die Meister-Schüler Beziehung wird dabei oft wie ein feudalistisches Herr-Knecht-Verhältnis ausgelebt. Im Gegensatz dazu tendieren Deutsche mit ihrer „niedrigen“ Machtdistanz dazu, bei vermeintlich Gleichgestellten, wie das beispielsweise in buddhistischen Laienorganisationen der Fall ist, Ämter und Aufgaben äußerst kritisch zu beleuchten, da für Deutsche eine Position erst durch die persönliche Leistung des Positionsinhabers legitimiert werden muss. Diese niedrige Machtdistanz verliert sich bei Deutschen jedoch erstaunlicherweise oftmals innerhalb von asiatischen buddhistischen Hierarchiesystemen. So bringen sie ordinierten Respektspersonen wie Mönchen, Nonnen, Priestern und Lamas manchmal einen extremen, nahezu obrigkeitshörigen Respekt entgegen. Dabei kann man beobachten, dass entweder asiatische kulturelle Muster im Umgang mit autoritären Hierarchieformen vollständig übernommen werden oder die deutsche Konflikt-und Kritikbereitschaft teilweise exzessiv ausgelebt wird.
Auch die Art und Weise, wie wir selbstbestimmt sind, kann zwischen deutschen und asiatischen Kulturen zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen führen. Dieser Unterschied wird mit der kulturellen Dimension des Individualismus beschrieben. „Individualismus“ beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen eher locker sind: Man erwartet sogar von jedem, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Dabei stellen Selbstverwirklichung, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung die höchsten Ziele dar. Man erwartet von jedem eine eigene Meinung. Die deutsche Kultur besitzt gerade im Vergleich zu den asiatischen Kulturen einen sehr hohen Grad an individualistischer Ausrichtung. Daher ist es nur verständlich, dass der Faktor der Selbstbestimmungsethik bei der Rezeption des Buddhismus in Deutschland eine große Rolle spielt, was aus der Mehrheit der Antworten der befragten Buddhisten hervorging. Im Gegensatz zur deutschen individualistischen Ausrichtung stehen in Asien die Sonderstellung der Ordinierten und das Eingebettetsein in eine Tradition bzw. konkrete religiöse Institution im Vordergrund. Denn die asiatischen Kulturen sind vorwiegend von einer sehr kollektivistischen Ausrichtung geprägt.
„Kollektivismus“ beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene „Wir-Gruppen“ integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür Loyalität verlangen. Harmonie und Konsens stellen die höchsten Ziele dar. Das Privatleben wird von der Gruppe dominiert, und Meinungen werden durch die Gruppenzugehörigkeit bestimmt. Das Eingebettetsein in eine Tradition bzw. religiöse Institution ist daher extrem wichtig. Auch die Laienorganisationen sind klar strukturiert, und es gibt nicht wie im individualistischen Deutschland eine hohe Anzahl von „Einzelmitgliedern“.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass viele der Befragten keine dogmatische Religion mit Gottesvorstellung und Absolutheitsanspruch mögen, sondern eine spirituelle Lehre und Praxis bevorzugen. Für viele stellt der Buddhismus keine Konfession oder Religion dar, sondern einen spirituellen Weg. Im Fokus steht die Erfahrbarkeit, kein dogmatisches Glaubenssystem, keine Philosophie, man möchte die Lehre empirisch nachvollziehen können – während in Asien die Buddhisten tief in die Kultur und Sitten des Landes eingebettet sind. Dort stellen die einzelnen Traditionen konkrete religiöse Institutionen unter bestimmten soziopolitischen Rahmenbedingungen dar.
Susanne Matsudo-Kiliani, Heidelberg
Anmerkungen