FBI sucht Sektenführer
Das FBI hat den Anführer der Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter-day Saints (FLDS) Anfang Mai auf die Liste der zehn meist gesuchten Personen Amerikas gesetzt und ein auf ihn ausgesetztes Kopfgeld auf 100.000 Dollar erhöht. Warren Jeffs wird wegen Verführung einer Minderjährigen und Beihilfe zur Vergewaltigung gesucht. Ferner wird ihm zur Last gelegt, Heiraten zwischen minderjährigen Mädchen und älteren Männern arrangiert zu haben.
Die Gemeinschaft ist eine Abspaltung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (HLT bzw. engl. LDS) und sollte nicht mit dieser verwechselt werden. Die Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter-day Saints haben sich vom Hauptstrom der LDS getrennt, nachdem diese im Jahre 1890 offiziell die Mehrehe für unzulässig erklärt hatten. Aus Sicht der fundamentalistischen Mormonen haben die LDS damit das Erbe von Joseph Smith verraten, der selbst in Polygamie gelebt hatte.
Die Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter-day Saints ist in den USA die größte Religionsgemeinschaft, die offensiv Polygamie betreibt. Die etwa 10.000 Anhänger leben überwiegend an der Grenze der US-Bundesstaaten Utah und Arizona in den Orten Hildale und Colorado City. Hier hat man sich von der Außenwelt abgeschottet. Warren Jeffs trat nach dem Tod seines Vaters Rulon 2002 dessen Nachfolge an und wurde neues Oberhaupt und „Prophet“ der Sekte. In dieser Funktion besitzt er weitreichende Rechte, das Leben der Mitglieder seiner Gemeinschaft zu bestimmen. So darf er als einziger Vermählungen vornehmen und ist befugt, Männern bestimmte Ehefrauen zuzusprechen bzw. sie zu bestrafen, indem er deren Frauen und Kinder anderen Männern zuordnet. Letzteres soll bereits mehrfach geschehen sein. Warren Jeffs habe mittlerweile ein autoritäres Regime aufgebaut und führe die Gemeinschaft mit harter Hand, erfährt man im Internet. Nach einem Bericht der Zürcher „Weltwoche“ „tyrannisierte er die Gemeinde mit einer Willkür, für die jenen, die ihr unterworfen waren, immer nur der Vergleich mit der Gestapo oder den Taliban einfällt. Der schmächtige Mann mit der melodiösen Stimme verbot Zeitungen, Musik, Fernsehen, Filme, Bücher, private Telefonanschlüsse, Schwimmen, jede Art von Wettkampfsport und schliesslich auch das Lachen. Er liess alle Bücher verbrennen und Hunde erschiessen und schickte seine ‚Gottesschwadron’ genannte Hilfstruppe junger Männer immer häufiger unangemeldet in die Häuser der Gläubigen, um zu überprüfen, ob seine Gebote auch eingehalten wurden.“ (Archiv, Ausgabe 20/2006 unter http://www.weltwoche.ch) Es ist von Kindesmissbrauch und Versklavung die Rede. Die Behörden befürchten eine ähnliche Tragödie wie in Waco, wenn es nicht gelingt, Jeffs zu fassen. Vor einigen Jahren gründeten Betroffene die Hilfsorganisation Tapestry Against Polygamie. Man versucht, jungen Mädchen zu helfen und sie vor einer arrangierten, polygamen Ehe zu schützen. Das erweist sich als schwierig, da jeder Kontakt zur Außenwelt verhindert wird.
Inzwischen hat das Oberste Gericht von Utah am 16. Mai 2006 das Verbot der Vielweiberei bestätigt. Geklagt hatte ein Mitglied der Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter-day Saints. Der Kläger hatte nach der Eheschließung mit seiner ersten Frau deren jüngere, minderjährige Schwester geheiratet und war wegen Bigamie und sexuellen Handlungen mit einer Minderjährigen verurteilt worden. Das Gericht gelangte zu der Auffassung, dass weder das Gleichheitsgebot der Bundesverfassung noch das Recht zur freien Religionsausübung polygame Beziehungen rechtfertigen.
Ein Verzeichnis der größeren, polygam lebenden Gemeinschaften in den USA findet man unter http://www.polygamyinfo.com/sects.htm.
Andreas Fincke