Frauenfeindliche Literatur in Moscheen - ein bekanntes Problem
Mitte Januar 2010 hat die Polizei in einer bundesweiten Razzia in Moscheen, Verlagen und Privatwohnungen im Umfeld des Islampredigers Pierre Vogel verbotene Bücher beschlagnahmt. Thema: Gewalt gegen Frauen. Genannt wurde insbesondere das saudische Schriftstück „Frauen im Schutz des Islam“ von A. Al-Sheha, das neuerdings verbreitet werde. Es rechtfertige das Schlagen von Frauen als Züchtigung, sofern Verletzungen vermieden würden. Dabei konnte der Eindruck entstehen, es handele sich bei der öffentlichen Verbreitung solcher Publikationen um eine aufsehenerregende neue Entwicklung. Dazu ist zu sagen: Etwas mehr Aufsehen könnte sie durchaus vertragen, neu ist sie hingegen nicht.
Was relativ neu ist und in letzter Zeit deutlich zugenommen hat, ist die umfangreiche Präsenz islamisch-missionarischer Schriften saudischer Herkunft nicht nur in arabischsprachigen Moscheen, sondern breit gestreut auch im Bereich andersethnischer muslimischer Gruppen. Der in Saudi-Arabien publizierende Abdur Rahman ibn Abdul-Karim Al-Sheha ist dabei ein prominenter Autor, meist übersetzt von einem Dr. Ghembaza Moulay Mohamed. Daneben fallen weitere Namen auf, etwa Muhammad Nasiruddin al-Albani oder Muhammad Salih al-Munajjid. Die Schriften zu Themen wie das Leben Muhammads, Tradition und Sunna, Umgangsformen für Heirat und Ehe, Scheidung und Erbrecht, islamische Pflichten, Menschenrechte oder Islam ganz allgemein gehören zunächst in das Spektrum des strengen salafitischen Islam (Salafiyya). Vielleicht hängt die Offenheit auch nichtsalafitischer Moscheegemeinden für derartige Literatur damit zusammen, dass sie günstig (kostenlos?) angeboten wird, teilweise hübsch aufgemacht ist und vor allem auf Deutsch erscheint. Zu den Autoren wie zu den Inhalten wäre angesichts der ebenso rigiden wie im Blick auf bestimmte soziale Bereiche konfliktträchtigen Darstellungen manches zu sagen. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die intensivere salafitische Präsenz nur pointiert fortführt, was schon bisher nachhaltigen Niederschlag in unterschiedlichen Formen muslimischer Selbstdarstellung und damit auf den Büchertischen vieler Moscheen gefunden hat und bis heute findet. Einige wenige Beispiele allein zum Thema Frauen mögen genügen, um darauf hinzuweisen (sie ließen sich leicht vermehren und auf andere Themenbereiche ausdehnen).
Schon in den 1970er Jahren hat die bekannte deutsche Konvertitin Fatima Grimm (geb. Heeren), Ehrenmitglied des Zentralrats der Muslime (ZMD), zusammen mit Aisha B. Lemu eine Schrift publiziert, die auf Deutsch als „Frau und Familienleben im Islam“ in der Schriftenreihe des Islamischen Zentrums München erschienen ist. Dort ist der Gehorsam der Frau gegenüber dem Mann ebenso festgehalten wie ihre Verantwortung für das Glück des Mannes und die Charakterbildung der Kinder. Die Bekleidungsvorschriften, die Verteidigung der Polygamie als menschen-(männer-)freundliches und rechtmäßiges Prinzip gegenüber westlich-dekadenter Promiskuität werden mit den üblichen Begründungen vorgetragen. Apropos Charakterbildung: Im Kern geht Fatima Grimms Teil auf einen Vortrag zum Thema „Die Erziehung unserer Kinder“ von 1976 zurück, in dem die Erziehung zum Dschihad ab etwa 15 Jahren als elementare islamische Pflicht erörtert wird. Der „Kampf für die Sache des Islam“ sei „vor allem mit dem Schwert; wo dies jedoch nicht möglich oder notwendig ist, auch mit der Feder, dem Spaten, dem Skalpell oder meinetwegen sogar mit der Nähnadel oder dem Kochlöffel“ zu führen. Dieser Seitenblick erscheint nicht unerheblich, da von den höchst umstrittenen und schon mehrfach indizierten Äußerungen auf direkte Nachfrage behauptet wurde, das sei ja ein alter Text, die Autorin habe sich längst davon distanziert. Gleichwohl werden bis heute sowohl der Originaltext als auch die umformulierte Variante weiter verbreitet; sie sind jedenfalls problemlos erhältlich – und dies bei weitem nicht nur in „extremistischen“ Kreisen.
Zurück zu den Pflichten der Frau (häufig auch als Rechte deklariert, allerdings regelmäßig unter dem Stichwort „Gleichwertigkeit“, nicht „Gleichberechtigung“): Sozusagen ein Klassiker für die Gestaltung frommer muslimischer Lebenspraxis ist Yusuf al-Qaradawis „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“ („al-halal wa l-haram fi l-islam“), das seit nunmehr 50 Jahren unverändert neu aufgelegt wird. Hier wird betont, die „gegenseitigen Rechte“ seien gleich, „mit Ausnahme dessen, was den Männern aufgrund ihrer natürlichen Stellung eigen ist“, nämlich Unterhaltsleistender und Oberhaupt der Familie zu sein (Ausg. München 1994, 173). „Die Frau ins Gesicht zu schlagen ist ebenfalls verboten“, und „wo ein Muslim gezwungen ist, bei offener Auflehnung seine Frau zu disziplinieren, darf er sie, wenn alle Mittel versagen, dennoch nicht so schlagen, dass es Schmerzen oder eine Verletzung hervorruft“. Der Schutz der Frau bezieht sich aber auch auf ganz andere Bereiche: „Keiner Frau, die an Allah glaubt, ist erlaubt, jemanden im Haus ihres Gatten [zu] haben, wenn er es nicht mag. Sie darf nicht ausgehen, wenn er es nicht mag, und sie darf niemandem sonst gehorchen. Sie darf sich ihm nicht verweigern. Sie darf ihn nicht schlagen“.
Ein Ehemann sollte anerkennen, dass er es mit „einem menschlichen Wesen mit natürlicher Unvollkommenheit zu tun hat“, was ihn zu einer gewissen Milde anleiten sollte (174). „Wegen seiner natürlichen Fähigkeit und seiner Verantwortung“ hat er zugleich „Anspruch auf Gehorsam und Zusammenarbeit seitens der Frau, und sie darf sich nicht gegen seine Autorität auflehnen und derart Auseinandersetzungen verursachen“. Tut sie das doch, sollte der Mann sich um Ausgleich bemühen. „Wenn auch das fehlschlägt, darf er sie leicht mit den Händen schlagen, wobei er das Gesicht und andere empfindliche Stellen zu meiden hat.“ „Um genau zu sein darf man nur schlagen, um islamisches Verhalten zu bewahren und wenn der Ehemann Ungehorsam in etwas sieht, was sie tun muss, oder wo sie ihm gehorchen muss“ (175). Die einschlägige Koranstelle ist Sure 4,34. Der islamrechtliche Terminus für die „Zurechtweisungsbefugnis“ des Mannes heißt wilayat at-ta’dib.
In unterschiedlicher Akzentuierung wird Vergleichbares auch in Ahmadiyya-Schriften (Verlag „Der Islam“) dargelegt, u. a. von Hadayatullah Hübsch oder Muhammad Zafrullah Khan vor über 20 Jahren. Letzterer bestätigt die mindere Stellung der Frau aufgrund körperlicher Schwäche (sie sei „verletzbar und braucht die Kraft des Mannes als Unterstützung und Schutz“). Wenn die Ehegattin widerspenstig sei, bedürfe sie der Ermahnung durch den Mann. Diese könne gesteigert werden bis zu einer „leichten Züchtigung“. Der Mann hat bei Meinungsverschiedenheit das letzte Wort. Polygamie wird übrigens als „nützliches, moralisches und kulturelles Sicherheitsventil“ bezeichnet.
Ebenfalls schon lange auf dem Markt sind die Bücher – inzwischen rund 100 Titel – des Kölner Autors Muhammad Ibn Rassoul (Islamische Bibliothek), darunter das „Handbuch der muslimischen Frau“. Darüber hinaus sind inzwischen leicht Hunderte von Internetseiten mit den gleichen Inhalten zu finden, natürlich immer unter dem Vorzeichen, dass diese als gottgefällig, wahrhaft menschlich und deshalb die Rechte von Frauen wahrend und befördernd zu gelten hätten.
Fazit: Methode und Darstellung sind in den Schriften unterschiedlich, und nicht alle Autoren sind so extrem und unverblümt wie al-Albani, der mit vielen Belegen aus Koran und Sunna schreibt, die Frau sei „vor allem verpflichtet, ihrem Ehemann im Rahmen ihrer Fähigkeit gehorsam zu sein“, und: „Dies ist richtig – dass es ihre Pflicht ist, ihn zu bedienen, denn ihr Ehemann wird in Allahs Buch namentlich als ihr Herr bezeichnet und sie ist eine Gefangene bei ihm, wie die Sunna des Propheten zeigt ...“ Dennoch bleibt festzuhalten, dass wesentliche Inhalte in vielen Schriften seit Jahrzehnten unverändert transportiert werden, und dies nicht erst seit Sommer 2009 und nicht nur bei Pierre Vogel. Seit vielen Jahren wird von Fachleuten auf die problematischen Seiten der einschlägigen Literatur hingewiesen, interessiert hat es bisher wenig.
Friedmann Eißler