Freimaurer

Freimaurerritual in Hamburger Hauptkirche

(Letzter Bericht: 9/2010, 348f) Öffentlichkeitswirksam nutzten im Sommer und Herbst 2012 die deutschen Freimaurer ihr deutsches Gründungsjubiläum. Vor 275 Jahren wurde in Hamburg die erste deutsche Freimaurerloge eingerichtet, die heute den freimaurertypisch poetisch-fantasievollen Namen „Absalom zu den drei Nesseln“ trägt. Von den weltweit ca. vier bis fünf Millionen Freimaurern leben in Deutschland nur etwa 14000, die sich in 470 Logen organisieren. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland noch über 80000 Freimaurer.

Zufrieden konstatierte nach den Jubiläumsfeierlichkeiten Rüdiger Templin, wiedergewählter Großmeister der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD): „Wir haben einen beherzten Schritt in die Öffentlichkeit getan. Wir haben uns aufgeschlossen gegenüber den interessierten Nachfragen präsentiert.“ Seit Jahren wird intern diskutiert, ob man Überalterung und Mitgliederschwund durch eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit begegnen solle. Die aufwendigen Jubiläumsfeierlichkeiten weisen darauf hin, dass man diese Frage nun bejaht hat, wohl auch um verbreiteten Vorurteilen entgegenzuwirken. Denn obwohl Freimaurer keine „Geheimgesellschaft“ sind – Logenhäuser sind offen im Straßenbild erkennbar und stehen im Telefonbuch – gibt es in der Öffentlichkeit viele Vorbehalte, die nicht über Verschwörungstheorien und den Wissensstand von Dan-Brown-Romanen hinauskommen.

Behilflich war bei dieser freimaurerischen Charmeoffensive die Hamburger Gemeinde St. Michaelis, Hauptkirche der Stadt mit ihrem als „Michel“ bekannten Wahrzeichen. Sie öffnete am 29. September 2012 die Tore zu einer „Festarbeit zum Konvent der Vereinigten Großloge von Deutschland“ für 1500 freimaurerische Gäste aus aller Welt. Mit „(Tempel-)Arbeit“ werden die Rituale bezeichnet, zu deren Gestalt zwar heutzutage im Internet leicht Informationen zu finden sind, die aber für Freimaurer der Geheimhaltung unterliegen. Es war, soweit bekannt, das erste Mal, dass ein Freimaurerritual in einer deutschen Kirche stattfand.

Das Verhältnis zwischen Freimaurerei und christlicher Kirche ist komplex. Freimaurerei ist eine der wenigen Weltanschauungsfragen, bei der sich katholische und evangelische Kirche in Deutschland in der Einschätzung fundamental unterscheiden. Die EKD stellte nach Gesprächen mit der VGLvD 1973 in der „Tutzinger Erklärung“ keine prinzipielle Unvereinbarkeit zwischen evangelischem Bekenntnis und Freimaurerei fest. Sie ist damit allerdings ökumenisch eher isoliert. Protestantische Kirchen vor allem im angelsächsischen Raum und die Kirche von England sehen die Freimaurerei in unterschiedlichem Maße kritisch oder lehnen sie ganz ab. Orthodoxie und römisch-katholische Kirche halten die Mitgliedschaft in Freimaurerlogen und Kirche für unvereinbar.

Freimaurer sehen sich selbst als religiös neutral und ihre Anliegen als religionsübergreifend. Weltanschaulich vertreten sie einen deistischen Transzendenzminimalismus: Es gibt ein „höheres Wesen“, den „Großen Baumeister aller Welten“, ansonsten habe man „keine Dogmen“. Wie und ob sich der Mensch zu diesem „Großen Baumeister“ verhält, den man Gott nennen mag oder auch nicht, ist seine Sache. Der Freimaurer soll aber zwecks sittlicher Vervollkommnung an sich selbst arbeiten und nach edler Lebensführung streben. Gemäß freimaurerischem Anspruch ist man daher in vielerlei Weise gesellschaftlich karitativ engagiert. Soziologisch ähnelt das Freimaurertum anderen Männerbünden wie dem Rotary- und dem Lions-Club, fügt diesen aber noch das Moment eines mystischen Ritualerlebens hinzu. Viele Freimaurer sind auch Christen und kirchlich aktiv.

Die Michaelisgemeinde selbst sieht kein Problem darin, dass in ihrer Kirche unbekannte Rituale unter Ausschluss von Öffentlichkeit und gastgebender Gemeinde stattfinden. „Auf einer Anwesenheit unsererseits zu bestehen, wäre uns als unhöfliches und unangebrachtes Misstrauen gegenüber unseren Gästen erschienen“, so die Öffentlichkeitsreferentin der Gemeinde, die zudem darauf verweist, dass beim Bau des Michel ein freimaurerischer Architekt beteiligt gewesen sei. Auch habe sich das Freimaurerjubiläum beim Hamburger Senat hoher Akzeptanz erfreut: Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten, deren Schirmherr Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Ole von Beust war, gehörte auch eine Ausstellung zur Freimaurergeschichte im Rathaus.

Im Michel ist die Nutzung der Kirche für säkulare Zwecke Programm. Man will sich der Welt öffnen. Für Wirbel sorgte 2011 die Kirchenvermietung an ein exklusives Unternehmerforum, dessen Eintrittskarten über 1500 Euro kosteten. Die Freimaurer zahlten keine Miete, stiften aber einen wertvollen Brunnen für die Eingangshalle. Die Überlassung der Kirche vergleicht Hauptpastor Alexander Röder mit weltlichen Nutzungen von Kirchen in früheren Zeiten, z. B. für Märkte und als Pilgerherbergen. Zu fragen ist, ob diese säkularen Nutzungen wirklich vergleichbar sind. Dazu wäre eine konkrete theologische Auseinandersetzung über das Verhältnis von Freimaurern, ihren Ritualen und dem christlichen Bekenntnis sowie die Rolle öffentlicher Wortverkündigung in Kirchen notwendig gewesen, die aber nicht stattgefunden zu haben scheint.

Dass Freimaurer mancherlei Gutes tun, steht außer Frage. Aber dies allein sagt nichts über das Verhältnis zum christlichen Glauben. Sind Freimaurerrituale mit ihren zahlreichen religiös-weltanschaulichen Bezügen wirklich unreligiös? Das diffus deistische Gottesbekenntnis und das erklärte Streben nach menschlicher Selbstvervollkommnung aus eigener Kraft sind sicher zeitgeistkompatibel. Aber sind sie auch kompatibel mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als Wort Gottes und mit der Rechtfertigung sola gratia? Oder wird hier dem Evangelium nicht eher der ärgerliche Stein des Anstoßes genommen, das Bekenntnis verwässert, weil ja letztlich doch „alle an denselben Gott glauben“?

Darüber hinaus wirft die Aussperrung von Gläubigen und touristischen Besuchern grundsätzlich die Frage auf, ob eine Kirche, die zur öffentlichen Verkündigung des Evangeliums errichtet wurde, weltanschaulichen Gruppen für geheime und geschlossene Ritualhandlungen überlassen werden kann. Oder ist ein solches Handeln eher ein weiteres Signal an die nichtchristliche Mehrheit der Hamburger, dass ja sogar die evangelische Kirche selbst ihr eigenes Bekenntnis und sich selbst kaum noch ernst nimmt?


Kai Funkschmidt