Scientology

Für Scientologen ist Weihnachten im März

(Letzter Bericht: 12/2009, 465f) Am 13. März 2011 jährt sich der Tag von L. Ron Hubbards Geburt zum 100. Mal. Wie jedes Jahr an seinem Geburtstag werden Scientologen aus aller Welt das Ereignis feiern. Neben hagiografischen Ausschnitten aus Hubbards Leben wird es die obligatorischen Rückblicke auf die in den vergangenen zwölf Monaten realisierten sozialen Projekte und auf die Ergebnisse der „weltweiten Expansionsarbeiten“ geben. Außerhalb Amerikas feiern die Scientologen den Geburtstag ihres Meisters erst eine Woche nach dem 13. März, damit die Aufnahmen der Original-Feierlichkeiten in die jeweiligen Sprachen übersetzt werden können.In Deutschland jedoch besteht eigentlich kein Anlass zum Feiern. Die Missionserfolge sind bescheiden, das ambitionierte Projekt eines „Clear Germany!“ stockt schon seit geraumer Zeit, und von dem angekündigten „explosiven Wachstum“ ist nichts zu bemerken. Doch die Scientologen lassen nicht locker. Erst kürzlich ist ein hochprofessionell gemachter Videokanal mit über 400 Clips freigeschaltet worden (www.scientology.de). Die Tarnorganisation „Jugend für Menschenrechte“ hat ebenfalls professionelle Kurzfilme erstellt (www.jugend-fuer-menschenrechte.de), die sogar von einigen regionalen Fernsehsendern abgespielt wurden. Doch bundesdeutsche Politiker bleiben zu Recht wachsam. Im Februar 2011 hat sich Bayerns Innenminister erneut für ein Verbot der umstrittenen Organisation ausgesprochen. Nach wie vor wird Scientology von den meisten Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Auch kritische Veröffentlichungen haben in Deutschland dazu beigetragen, dass skeptisch mit den wundersamen Versprechungen von Scientology umgegangen wird. Damit sind nicht nur die einschlägigen Monografien gemeint (z. B. Frank Nordhausen / Liane von Billerbeck, Scientology – Wie der Sekten-Konzern die Welt erobern will, Berlin 2008; Wilfried Handl, Das wahre Gesicht von Scientology, München 2010) – zuletzt die kluge Recherche zur Genese des scientologischen Ideengebäudes des Gießener Theologen Linus Hauser (Scientology – Geburt eines Imperiums, Paderborn 2010, vgl. MD 1/2011, 38f). Auch Experten anderer Disziplinen können dem kruden Gedankengeflecht Hubbards wenig abgewinnen. Drei Beispiele aus Psychologie, Philosophie und Religionswissenschaft mögen dies ohne weitere Kommentierungen belegen:

•„Hubbard gelingt es, die banalste Aktivität noch als Geniestreich darzustellen ... Was von den Wundermitteln der Scientologen gegen Geisteskrankheit und Drogensucht verraten wird, ist höchst banal an der veröffentlichten Oberfläche und wird offenbar in der Tiefe keineswegs besser, nur teurer ... Wer aber verängstigt und in seinem Selbstgefühl verunsichert ist, dem verspricht diese neue, unbekannte, sich technisch gebärdende Sekte eine Hilfe, die ihm weder der Psychotherapeut noch der traditionelle Priester geben können“ (Wolfgang Schmidbauer, Warum der Mensch sich Gott erschuf, Stuttgart 2007, 174f).
• „Hubbards scientologische Lehre, mehr aber noch die lehrreichen Implikationen seiner Organisationskunst, hängen mit der beispiellosen Ungeniertheit seines Eklektizismus zusammen. In diesem Punkt stellt Hubbard selbst den weiß Gott nicht schüchternen Rudolf Steiner in den Schatten ... Das Hubbard-System versteht von dem, was in der Tradition Geist oder Seele hieß, nur so viel, dass jetzt auch diese Größen Spielfelder von survival sein sollen ... Während seiner letzten Lebensjahre sei er in der von ihm selbst gebauten Falle gesessen, verloren wie ein Gefangener in einer explodierenden Feuerwerksfabrik, von Hypochondrie geplagt, von cholerischen Anfällen überwältigt, erfüllt von Vernichtungswünschen gegen ‚unterdrückerische Personen’, die es wagten, sein Werk zu kritisieren. Er habe sich nie mehr in der Öffentlichkeit gezeigt, um seinen Anhängern nicht vor Augen zu führen, bis wohin man es mit seinen Methoden bringen kann“ (Peter Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern, Frankfurt 2009, 167ff).
• „Für viele sieht Scientology einfach nicht wie eine Religion aus. Sie unterhält keine Kirchengebäude oder Tempel; es gibt keine Gottheit, die im Zentrum ihrer religiösen Praxis stünde, und für die Mehrheit der Scientologen sind die wöchentlichen Andachten bestenfalls nebensächlich. Für Millionen von Menschen kann Scientology, solange diese Dimensionen nicht vorhanden sind, niemals legitimerweise die Bezeichnung ‚Kirche’ für sich beanspruchen ... Argwohn gegenüber Scientologys eigentlichen Interessen wird durch die Überzeugung geschürt, dass Scientology sich ihre religiöse Aufmachung nur deshalb zugelegt hat, um ihre wahren kommerziellen Interessen zu verschleiern ... Scientology behauptet, zu den offensten religiösen Bewegungen der Welt zu gehören, aber die Kirche hat bis heute nicht die Art von systematischer sozialwissenschaftlicher Forschung zugelassen, wie sie unter einer ganzen Reihe von anderen umstrittenen religiösen Gruppierungen durchgeführt wurde“ (Douglas Cowan / David Bromley, Neureligionen und ihre Kulte, Berlin 2010, 58ff).


Michael Utsch