Gebetsräume in öffentlichen Schulen?
Vor einigen Wochen entschied das Verwaltungsgericht in Berlin in einem Eilverfahren, dass einem muslimischen Schüler in der Schule ein Gebetsraum zur Verfügung gestellt werden muss. Was nach einem unscheinbaren Beschluss klingt, hat in Berlin zu großen Diskussionen geführt. Wer darf in öffentlichen Räumen wann und wie beten, damit zwar die freie Religionsausübung des Einzelnen garantiert, gleichzeitig aber die Neutralitätspflicht des Staates gewahrt wird?
Der 14-jährige Schüler muslimischen Glaubens Yusuf M. hatte in einem Berliner Gymnasium im Stadtteil Wedding in den Schulpausen auf dem Schulflur gebetet. Die Direktorin untersagte ihm dies, da sie das öffentliche Beten zu „aufsehenerregend“ fand und darin eine Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebots sah. Eine weitergehende Version der Geschichte ist, dass der Schüler mit einigen Freunden einen Gebetskreis in der Schule halten wollte und um einen Raum hierfür bat.
Der muslimische Glaube fällt zweifelsfrei unter den grundgesetzlich garantierten Schutz der Religionsfreiheit. Art. 4 II GG gewährleistet die freie Religionsausübung. Ein Freiheitsrecht hat aber immer da seine Grenze, wo es mit geltendem Recht oder den Grundrechten anderer Bürger kollidiert. Art. 4 GG umfasst auch die negative Religionsfreiheit, d. h. das Recht, gar kein religiöses Bekenntnis zu haben. Jeder Bürger hat somit das Recht, nicht von religiösen Symbolen oder Handlungen „belästigt“ zu werden. Daher kann das Recht auf freie Religionsausübung gerade in öffentlichen Räumen, wie Schulen es sind, eingeschränkt werden. Dass dies eine inhaltlich wie emotional aufgeladene Thematik ist, haben die heftig geführten Debatten der letzten Jahre um die Verbeamtung von Lehrerinnen mit Kopftuch und das Kruzifix in Klassenzimmern gezeigt.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die ebenfalls grundrechtlich garantierte Gleichbehandlung. So besagt Art. 3 III GG, dass niemand wegen seines religiösen Bekenntnisses benachteiligt oder bevorzugt werden darf. In Berlin kam es mehrfach vor, dass es christlichen Schülergebetskreisen mit dem Hinweis auf die Neutralitätspflicht des Staates untersagt wurde, sich in Schulräumen zu treffen. Sollten nun muslimischen Schülergruppen für das gemeinsame Beten extra Räume zur Verfügung gestellt werden, könnte man von einer grundgesetzwidrigen „willkürlichen Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem“ sprechen. Manche christlichen Schülerkreise treffen sich inzwischen zum Beten in Gemeinderäumen. Wäre dies nicht auch eine Möglichkeit für Muslime?
Ein zusätzlicher Aspekt der Problematik ist nicht der Inhalt, sondern die Auswirkung des Gerichtsbeschlusses. Fördert er die Integration von Muslimen in Deutschland oder schadet er ihr eher? Interessant ist, dass die Meinung von Politikern, Kirchen und Privatleuten hier relativ einhellig ist. So titelte der Tagesspiegel (13.3.2008): „Wenn Richter rückwärts richten...“ Manche befürchten einen weiteren Schritt hin zur „Parallelgesellschaft“, es ist von „Gift für die Integration“ die Rede. Wenn Schüler auch in der Pause keinen Kontakt mehr pflegen, weil sie in unterschiedlichen Räumen unterschiedlich (oder gar nicht) beten, wie sollen sie dann noch kommunizieren? Ganz abgesehen von den logistischen Problemen, die sich hieraus ergeben können, wenn – an großen Berliner Schulen nicht unwahrscheinlich – sehr viele Muslime beten möchten, „soll man dann die Turnhalle räumen?“ Es ist mit dem Unverständnis vieler Eltern zu rechnen, wenn angesichts der Sparpolitik in Berlin teilweise Cafeterien und Bibliotheken geschlossen werden, Gebetsräume aber finanziert werden sollen. Sogar manche muslimischen Eltern fragen sich, wieso heutige muslimische Schüler extra Gebetsräume benötigen, worauf in den letzten Jahrzehnten niemand gekommen wäre.
Problematisch ist das alles, weil der Eindruck entstehen kann, dass der Islam nun in Berliner Schulen bevorzugt behandelt wird – nicht nur bei Befreiungen vom Schwimm- oder Sexualkundeunterricht, sondern nun auch in der Pause. Dieser Eindruck wird als alles andere als zuträglich für Dialog und Integration eingeschätzt. Zwar sieht der Leiter der Berliner Evangelischen Allianz, Axel Nehlsen, auch eine Chance für den Dialog, wenn über das Gebet ein Austausch unter den Schülern stattfindet. Hierfür müssten dann die Religionen freilich gleich behandelt werden. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hält die Einrichtung von Gebetsräumen, wie sie an konfessionellen Schulen bestehen, an öffentlichen Schulen nicht für nötig.
Bei dem Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts handelte es sich nur um eine Reaktion auf den Eilantrag des Schülers. Das Ergebnis der Hauptverhandlung steht noch aus und darf mit Spannung erwartet werden. Der Berliner Schulsenator Jürgen Zöllner hat jedenfalls angekündigt, er werde für das Hauptverfahren alle Möglichkeiten prüfen, um die Klage des Schülers abzuweisen.
Friederike Haller, Berlin