Gedenken an das Leid der Armenier
Im April 2015 jährt sich der Völkermord an den Armeniern zum 100. Mal. Hunderttausende Armenier wurden während des Ersten Weltkriegs unter der Verantwortung der sogenannten Jungtürken im Osmanischen Reich gezielt und systematisch getötet.1
Die Türkei lehnt bis heute eine offizielle Anerkennung des Genozids an den Armeniern ab. Schätzungsweise kamen zwischen 200000 und 1,5 Millionen Armenier, im Wesentlichen zwischen 1915 und 1916, ums Leben.
Der Deutsche Bundestag debattierte erstmals in der Sitzung vom 25.4.2005 über die historische Verantwortung für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich und die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches. Dieses habe es als „militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches“ unterlassen, den Massakern Einhalt zu gebieten. Der Begriff „Völkermord“ wurde im einstimmig beschlossenen Antrag des Deutschen Bundestages vom 15. Juli 2005 vermieden.2
Laut einer aktuellen Meldung des Pressereferats des Deutschen Bundestages3 prüft die Bundesregierung derzeit die Möglichkeit der Teilnahme an Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag der Massaker an den Armeniern und der Vertreibungen der Armenier im Osmanischen Reich 1915 und 1916. Vertreter des Zentralrats der Armenier in Deutschland, der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, der Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland sowie der armenischen Regierung hätten die Bundesregierung über geplante Veranstaltungen im Gedenkjahr 2015 informiert und den Wunsch nach einer Teilnahme der Bundesregierung geäußert, heißt es in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfolge man jedoch keine Planungen für eine eigene Gedenkveranstaltung. Die Bundesregierung vertritt zudem die Auffassung, dass die Aufarbeitung der Massaker und Vertreibungen in erster Linie eine Angelegenheit der beiden betroffenen Länder Türkei und Armenien sei. Regelmäßig bestärke sie beide Seiten, den Annäherungsprozess fortzusetzen, der die Bildung einer Historikerkommission einschließen sollte. Zur völkerrechtlichen Bewertung, ob es sich bei den Ereignissen um einen Völkermord gehandelt habe, verweist die Bundesregierung auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes4 von 1948, die 1951 in Kraft getreten ist: „Für die Bundesrepublik Deutschland ist sie seit dem 22. Februar 1955 in Kraft. Sie gilt nicht rückwirkend.“5
Die Bundesregierung bedient sich also im Zusammenhang mit der Kleinen Anfrage im Bundestag einer juristischen Argumentation: Sie verweist auf die Konvention, die erst 40 Jahre nach dem Genozid an den Armeniern in Kraft getreten ist, und im gleichen Zusammenhang darauf, dass die Rückwirkung von Gesetzen mit Strafrechtscharakter nach deutschem Recht unzulässig ist. Hierbei handelt es sich um einen Rechtsgrundsatz, der ausdrücklich in Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz geregelt und in § 1 Strafgesetzbuch nochmals aufgegriffen wird.6 Politisches Ziel ist es, den Genozid an den Armeniern nicht expressis verbis Völkermord nennen zu müssen, das historische Ereignis aber auch nicht zu leugnen.
Im Gegensatz dazu hat Frankreich mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Leugnung der Existenz gesetzlich anerkannter Völkermorde („Loi visant à réprimer la contestation de l‘existence des génocides reconnus par la loi“) die öffentliche Verherrlichung, Leugnung oder grobe Banalisierung von (anerkannten) Genoziden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und/oder Kriegsverbrechen 2012 unter Strafe gestellt. Hierunter fällt auch der Völkermord an den Armeniern. Die Türkei protestierte heftig und drohte mit schweren Konsequenzen.7
Ronald Scholz, Berlin
Anmerkungen
1 Vgl. Jörg Berlin/Adrian Klenner, Völkermord oder Umsiedlung. Das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich, Köln 2006, 44ff. Zwei Mitverantwortliche des Genozids, die sich nach Berlin zurückziehen
konnten, wurden 1922 erschossen und sind auf dem Friedhof der Berliner Sehitlik-Moschee begraben.
2 Resolution des Deutschen Bundestages vom 15.6.2005, Drucksache 15/5689.
3 Vgl. www.bundestag.de/presse/hib/2015_01/-/356420 (Abruf: 27.1.2015).
4 Offiziell „Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide“, CPPCG.
5 Siehe Fußnote 3.
6 „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“
7 Vgl. www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-senat-billigt-umstrittenes-genozid-gesetz-1.1265464 (Abruf: 27.1.2015).