Geister, Dämonen - Phantasmen. Eine Kulturgeschichte
Christa Agnes Tuczay, Geister, Dämonen – Phantasmen. Eine Kulturgeschichte, Marixverlag, Wiesbaden 2015, 252 Seiten, 5,00 Euro.
Der Band erschien in der Reihe „marixwissen“, in der zuvor schon Paul Metzgers „Der Teufel“ und Marco Frenschkowskis „Die Hexen“ veröffentlicht worden waren (vgl. MD 9/2013, 355f; 3/2013, 115-118). Diese zwei Bände eröffnen Perspektiven, die insbesondere im Rahmen pastoraler und religionspädagogischer Arbeit von Bedeutung sind. Es stellt sich die Frage, ob die vorliegende Veröffentlichung, deren Titel eine thematische Nähe zu den beiden anderen Bänden nahelegt, auch in dieser Hinsicht und nicht nur hinsichtlich der formalen Gestaltung an seine Vorgänger anknüpfen kann.
Der Buchtitel zeigt schon an, dass Tuczay sich eines Themas annimmt, das sowohl inhaltlich als auch begrifflich schwer abzugrenzen ist. Die Autorin ist sich dieses Problems bewusst (13ff). Sie konzentriert sich in ihrer Darstellung auf „den europäischen Bereich, insbesondere das deutschsprachige Gebiet“ (10). Diese selbstgesetzte Grenze wird aber nicht streng beachtet; so werden beispielsweise auch Schutzgeistvorstellungen nordamerikanischer Indianer vorgestellt (50). Die Autorin bestimmt in klassischer, an die Brüder Grimm angelehnter und westlicher Ontologie verpflichteter Weise – aber aus Insider-Sicht sicherlich nicht immer zutreffend – die von ihr dargestellten Wesen, Geister, Dämonen etc. als „übernatürliche Wesen“ (13). Sie stellt in dem Buch Wesen der Vorstellungswelt dar, die die klassische Volkskunde unter dem Begriff „Niedere Mythologie“ fasst (13).
Die Darstellung gliedert sich in acht Kapitel, die sich jeweils einem Wirkungsort der Geistwesen oder einer ihrer Funktionen widmen. So befasst sich das erste Kapitel mit Geistwesen und Dämonen als Zwischenwesen, die zwischen Göttern und Menschen angesiedelt sind und Mittlerfunktionen einnehmen. Die folgenden Kapitel stellen „Geister in Haus und Hof“, Naturgeister, Krankheitsverursacher, „Totengeister und Wiedergänger“ vor. Das sechste Kapitel stellt vormoderne Formen der Geisterbeschwörung und Bannung dar, während das siebte der Moderne gewidmet ist. Es handelt im ersten Teil vom Spiritismus des 19. Jahrhunderts, im zweiten Teil vom Vorkommen der Thematik in Spielfilmen und Fernsehserien. Während der erste Teil eher knapp gehalten ist und beispielweise die bis ins 21. Jahrhundert hinein wirkmächtige Rede von Geistwesen innerhalb von Rudolf Steiners Anthroposophie nicht zur Sprache kommt, werden im zweiten, den Filmen gewidmeten Teil auch zahlreiche eher Szene-relevante Produkte aus dem als B- oder C-Movies bezeichneten Sektor der Horrorfilmindustrie vorgestellt (224-235). Ihre Besprechung geht wohl kaum mit einem analytischen Mehrwert einher, und kein Leser des Buches wird sich von Titeln wie „Leprechaun“ eine filmische Offenbarung erwarten (234). Umgekehrt werden die durchaus geglückten, in der englischen Originalfassung der Filmkomödie „Ghostbusters“ (1984) stärker hervortretenden satirischen Bezüge auf die realexistierende parapsychologische Forschung seit dem 19. Jahrhundert in ihrer Mehrschichtigkeit von der Autorin letztlich verkannt (228, 208). Eine stärkere Gewichtung des ersten Teils gegenüber dem zweiten Teil dieses Kapitels wäre angebracht gewesen.
Das abschließende Kapitel versucht eine Gesamtinterpretation des Geisterglaubens, wobei sich diese primär auf eine Verknüpfung von Max Webers Ansatz mit George Dumézils Deutung der Mythologie als Spiegel der dreifach gegliederten indoeuropäischen Gesellschaft stützt (237ff). Letztlich spiegelt sich diese Interpretation schon im Titel des Buches wider „Geister, Dämonen – Phantasmen“, der im Horizont der vorgelegten Deutung ausgelegt werden kann, in dem Satz: Aus den ambivalenten Geistern werden die Dämonen bzw. Engel der monotheistischen Religionen, und diese werden in der Aufklärung als Phantasmen dekonstruiert.
Die Autorin thematisiert ein breites Spektrum an Geistvorstellungen. Berücksichtigung finden beispielsweise Dämonen, Engel, Zwerge, Feen, Berggeister, Alpgeister, Außerirdische, Klabautermänner, Frau Holle, Wiedergänger und Vampire. Die Autorin verfolgt ein festes Ordnungsschema, das sich manchmal aber als ein allzu enges Korsett erweist, in das schwer fassbare Vorstellungen gepresst werden. Angesichts des Themas ist es nicht verwunderlich, dass die Autorin öfters theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Bezüge herstellt. Leider erscheinen in diesem Bereich manche Ausführungen nicht der Sache gerecht zu werden. Wenn Tuczay beispielsweise die in den „Geistlichen Übungen“ des Ignatius von Loyola (1491 – 1556) dargelegte Praxis der „Unterscheidung der Geister“ in den Kontext der sich im Hochmittelalter häufenden Geistersichtungen verortet (132), so erscheint dies irreführend hinsichtlich des Anliegens und Kontextes der „Geistlichen Übungen“ und des dort zugrunde liegenden „Geister“-Begriffs.
Das Buch bietet eine Einführung, die spürbar rückgebunden ist an traditionelle, romantische Traditionen der Volkskunde und deren Deutungen. Es präsentiert eine Fülle von Informationen auf knappem Raum. Das Buch mag von besonderem Interesse für Personen sein, die mit popkulturellen und dekontextualisierenden Aneignungen von Geister- und Dämonenvorstellungen konfrontiert werden, wie sie sich in Filmen, Romanen, Kurzgeschichten, Computer- und Rollenspielen finden, und mehr über die kulturgeschichtlichen Hintergründe der verwendeten Versatzstücke erfahren möchten. Die Eröffnung theologischer Dialoghorizonte wie in den eingangs erwähnten Bänden der Reihe bietet dieser Band weniger. Letztlich ist das auch dem Thema geschuldet, das solche Brückenschläge weniger nahelegt.
Harald Grauer, Sankt Augustin