Geistestaufe in der Neuapostolischen Kirche und in der pentekostalen Tradition
Auf den ersten Blick scheint es ungewohnt, Pfingstbewegung bzw. die pentekostale Tradition und Neuapostolische Kirche in ein Verhältnis zu setzen. Im Stil ihrer gottesdienstlichen Versammlungen gibt es grundlegende Unterschiede. Die lehrmäßigen Orientierungen der Gemeinschaften stimmen nicht überein. Die Organisationsformen und die angestrebten kirchlichen Praxisgestalten differieren. Beide gebrauchen jedoch den Begriff Geistestaufe, um die jeweilige Besonderheit ihrer Frömmigkeit damit zu bezeichnen.
Die intensive Verbreitung des neuapostolischen Glaubens ist im Blick auf die deutschsprachige Religionskultur bemerkenswert. Im Vergleich dazu konnten pentekostale Bewegungen in Deutschland nur eine begrenzte Resonanz finden, während ihre wirkungsvolle globale Ausbreitungsgeschichte die Zusammensetzung der Weltchristenheit grundlegend veränderte. Zwar stagniert die Zahl der Mitglieder der Neuapostolischen Kirche (NAK) in Deutschland seit Langem und ist rückläufig – anders sieht dies in internationaler Perspektive aus – gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der NAK nicht um eine Randgruppe handelt. Ihre Mitgliederzahl liegt bei mehr als 350 000. Nach der Orthodoxen Kirche ist sie die viertstärkste christliche Konfession in Deutschland. Viele Mitglieder sind engagiert und praktizieren ihren Glauben in intensiver Weise.
Die größte Pfingstgemeinschaft in Deutschland, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), der seine Mitgliederzahl mit ca. 46 000 angibt – hinzuzuzählen sind hier Kinder und Jugendliche – wurde 2001 Mitglied der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) und ist seit 2011 Gastmitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK).
Seit einigen Jahren ist es erklärter Wille der Leitung der NAK, die über viele Jahrzehnte praktizierte Isolation gegenüber anderen christlichen Gemeinschaften zu überwinden und sich an der Kommunikation ökumenisch verbundener Kirchen zu beteiligen. Evangelische und römisch-katholische Kirchengemeinden, ökumenische Arbeitsgemeinschaften, freikirchliche Zusammenschlüsse stehen heute vor der nicht aufschiebbaren Aufgabe, eine aktuelle theologisch begründete und kirchlich verantwortete Verhältnisbestimmung zu neuapostolischen Gemeinden vorzunehmen und nach Chancen und Grenzen der Verständigung und Zusammenarbeit zu fragen.
Die folgenden Überlegungen gehen auf der methodischen Ebene davon aus, dass komparative Methodologien für theologische Urteilsbildungen hilfreiche Impulse geben. Sie können die Wahrnehmung schärfen und dazu beitragen, die jeweilige Eigenart einer konfessionellen Tradition, ihrer normativen, bekenntnismäßigen Orientierungen, ihrer Ausdrucksformen der Frömmigkeit, ihrer Distanz und Nähe zu ökumenischen Verständigungsprozessen zu beschreiben. Eine grundlegende Frage ist dabei die nach dem Charakter von Differenzen: Sind sie stilistischer oder kanonischer Art? Unterschiedliche Ausprägungen von Konfessionsfamilien lassen sich als Stildifferenzen verstehen und interpretieren. Inwiefern können das Selbstverständnis und die Anliegen einer Gemeinschaft Ausdruck stilistischer Vielfalt auf der Grundlage eines Konsenses in wichtigen Fragen der Glaubenslehre und -praxis sein, bzw. wann gewinnen Differenzen kanonischen Charakter, sodass sie weniger im Kontext von Expressivität, sondern von Normativität zu verstehen sind und der Respekt vor grundlegenden Unterschieden im Verständnis christlichen Glaubens und Lebens die Differenzpflege nahelegt und gebietet?
Geistestaufe in der Pfingstbewegung
Begriff und Sache der Geistestaufe (bzw. Geisttaufe, Baptism in the Holy Spirit) sind vor allem im Zusammenhang der Ausbreitung pentekostaler Bewegungen bedeutsam geworden. Während das Getauftsein alle Christen miteinander verbindet, werden Begriff und Sache des Getauftwerdens mit dem Heiligen Geist als Merkmal einer spezifischen Frömmigkeitstradition angesehen, die das grenzüberschreitende Wirken des Geistes und die Praxis der Charismen – vor allem Heilung, Glossolalie („Zungenrede“) und Prophetie, vgl. Apg 2 und 1. Kor 12-14 – hervorhebt. Das Selbstverständnis pfingstlerischer Frömmigkeit hat seinen Kristallisationspunkt zweifellos in der Erfahrung und dem Verständnis der Geistestaufe.
Bekehrung und Geistestaufe
Für fast alle Ausprägungen pfingstlerischer Identität in der westlichen Welt ist die Annahme grundlegend, dass die Erfüllung mit dem Heiligen Geist (Geistestaufe) eine „eigene, eindeutige und von der Bekehrung unterscheidbare Erfahrung“1 ist. Der Eintritt in die Pfingstbewegung erfolgt durch die pentekostale Initiationserfahrung der Geistestaufe, die die pietistisch-erweckliche Wiedergeburtserfahrung voraussetzt. Dabei kann als Struktur dieser Erfahrung beides beobachtet werden: das langsame Hineinwachsen in die pentekostale Frömmigkeit und die plötzliche, radikale Durchbruchserfahrung. Viele Berichte, die die individuelle pentekostale Erfahrung umschreiben, sprechen von einem Durchströmtwerden des Körpers mit göttlicher Kraft, einem Ergriffenwerden, das sichtbar und überraschend in das christliche Leben eingreift und es verändert. Für den Pfingstler bedeutet die Geistestaufe vor allem die Ausstattung mit Kraft aus der Höhe (Lk 24,49), die dem Bekehrten und Glaubenden in einem zweiten Schritt göttlicher Zuwendung zuteil wird und ihn zu einem Zeugnis befähigt, das von Zeichen und Wundern begleitet ist. Die Wiedergeburt durch den Geist und die Taufe im Heiligen Geist werden innerhalb der pfingstlichen Lehre unterschieden. „Aus dem Geist geboren zu sein verleiht die Macht und das Recht, Kind Gottes zu sein (Johannes 1,12). Im Heiligen Geist getauft zu sein verleiht die Kraft, ein wirksamer Zeuge Christi zu sein (Apostelgeschichte 1,8).“2 In der weiteren Geschichte der Pfingstbewegung konnte sich die Deutung der christlichen Gnadenerfahrung in unterschiedlichen Konzepten ausprägen, in drei Schritten (Bekehrung, Heiligung, Geistestaufe) oder zwei (Bekehrung, Geistestaufe), wobei die Geistestaufe als zweiter bzw. dritter Schritt der christlichen Erfahrung ausdrücklich nicht als heilsnotwendig, wohl aber als Voraussetzung für ein wirkungsvolles Zeugnis („dienstnotwendig“) angesehen wird. Beide Ausprägungen haben ihre Begründung in der unterschiedlichen Aufnahme der Tradition der Heiligungsbewegung.
Das skizzierte Verständnis der Geistestaufe ist ein verbindender Topos und ein wichtiges Charakteristikum der pfingstkirchlichen Bewegungen. Soziologisch betrachtet ist es in seiner Verknüpfung mit der Glossolalie ein gruppenspezifisches Merkmal zur Selbstkennzeichnung. Von der Mehrheit der Pfingstler wird die Geistestaufe als erstrebenswertes „Ziel“ des christlichen Lebens angesehen. Die eigene „Pfingsterfahrung“ schafft dabei die unmittelbare Anknüpfung an biblische Zeiten.
Glossolalie und Geistestaufe
Glossolalie wird praktiziert vor allem als persönliche Gebetssprache, aber auch als Sprachengebet und -gesang im Gottesdienst (vgl. 1. Kor 14,14f). Sie ist unsemantisches, nicht verstehbares Sprechen oder Singen, wobei sich das Sprachgeschehen verselbstständigt und Laute geäußert werden, die der Sprechende als durch seine Sprechorgane unwillkürlich hervorgebracht empfindet. Sie kann spontan auftreten und beginnen, häufig wird sie gelehrt (Kinn und Zunge lockern, Silbenfolgen oder fremdsprachliche Laute artikulieren ...), ersehnt und gelernt. Sie wird im Kontakt zu Gruppen gesucht und gefunden, die sie praktizieren und als besonderes Charisma ansehen. Weil in der Glossolalie melodisch und rhythmisch gestaltete Silbenfolgen artikuliert werden, sind Klang und Sprachfluss des in „anderen Sprachen“ Redenden für Außenstehende von einer Fremdsprache nicht unterscheidbar. Anfang und Ende des Sprachengebets werden von dem, der es praktiziert, in der Regel selbst bestimmt. Der faszinierende Charakter dieser Gabe bezieht sich häufig vor allem auf die mit ekstatischem Ergriffensein verbundene Anfangszeit ihrer Praxis, tritt dann jedoch zurück, sodass die Glossolalie durchaus rituelle und liturgische Züge annehmen kann. Im Erlebnis der Glossolalie empfindet sich der Sprechende oder Singende als Werkzeug des göttlichen Geistes. Er fühlt sich ergriffen und durchströmt von göttlicher Kraft und deutet die Glossolalie als Zeichen der Rückkehr in „neutestamentliche“ Verhältnisse, als eine Erfahrung, die nach der Schrift für die Endzeit verheißen ist. Er sieht darin eine Spracherweiterung im Blick auf den Lobpreis Gottes, eine Vertiefung der Glaubenserfahrung, eine Entfesselung des begrenzten Sprachvermögens, einen Ausdruck der durch Freude geprägten Gottesbeziehung. Die pfingstlerische Frömmigkeit kennt die Unterscheidung zwischen der Glossolalie als erstmaligem Zeichen der Geistestaufe und als Charisma im Sinne von 1. Kor 12 und 14.
Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert wird von zahlreichen Gruppen der Heiligungsbewegung die Geistestaufe als ein Durchbruchserlebnis für eine neue Glaubenshaltung begriffen, als weiterer Schritt oder sogar als höhere Stufe der Heiligung, als ein der Bekehrung folgendes Heiligungserlebnis, das zu neuer Gelassenheit und Glaubensfreiheit führt und vor allem eine neue Bevollmächtigung zum Zeugnis bedeutet. Bereits im Vorfeld der Entstehung der Pfingstbewegung lässt sich die Betonung der engen Verbindung zwischen Geistestaufe und Glossolalie beobachten. In der Pfingstbewegung kommt es nun freilich zu einer signifikanten Neuinterpretation der Glossolalie: Die Erfahrung des Redens in anderen Sprachen wird als wahrnehmbares Erkennungsmerkmal der erfolgten Geistestaufe begriffen. „Grundsätzlich gilt ..., dass in der Regel das Zungenreden das anfängliche Zeichen der Geistestaufe ist. Anfänglich meint: Andere Zeichen im Leben und Dienst müssen folgen.“3 Nicht die Erfahrung der Glossolalie als solche, auch nicht ein bestimmtes Konzept von Geistestaufe, sondern die innere Verknüpfung von beiden und das Verständnis der Glossolalie als „anfängliches Zeichen“ (initial physical sign) der Taufe im Heiligen Geist geben den entscheidenden Anstoß.
Dieser enge Zusammenhang zwischen Geistestaufe und Glossolalie wird heute keineswegs von allen Pfingstgemeinschaften vertreten. Die pentekostale Initiationserfahrung muss im BFP nicht die Glossolalie sein. Gleichwohl bieten zahlreiche pfingstliche Gemeinden „regelmäßig Gottesdienste (oder Freizeiten) an, bei denen um die Taufe im Geist gebetet wird, zumeist unter Handauflegung der Ältesten so wie im Neuen Testament (vgl. Apg. 8,14-17 / Apg. 19,6)“.4 Angesichts der Vielfalt möglicher Ausdrucksformen religiöser Ergriffenheit stellte die Konzentration auf die Glossolalie einen wichtigen Strukturierungsfaktor dar. Da Glossolalie in religionsgeschichtlicher Perspektive als Ausdrucksform religiöser Ekstase anzusehen ist und per se religions- und kulturtranszendierenden Charakter hat, war mit ihr ein wichtiges Element für die interkulturelle Kommunikationsfähigkeit pentekostaler Bewegungen gegeben.
Endzeiterwartung und Geistestaufe
Die Ausgießung des Geistes, wie sie in pentekostalen Bewegungen erlebt wird, kann selbst als Endzeitgeschehen im engeren Sinn begriffen werden. Pfingstler leben in der Erwartung endzeitlicher Massenerweckungen. In ekstatischen Geisterfahrungen werden Zeichen göttlichen Erweckungshandelns erblickt. So wie Geistestaufe und Geisterfüllung keineswegs nur individuelle Glaubenserfahrungen sind, sondern Strategie göttlichen Handelns in endzeitlicher Perspektive, entsprechend begreift und deutet man die rasante Ausbreitung pfingstlicher Frömmigkeit als Hinweis darauf, dass Gott seinen Geist nun über alles Fleisch ausgießen wird (Joel 3,1ff). Die in pentekostalen Bewegungen gegebene Zeitansage geht davon aus, dass die Zeit vor der Wiederkunft Christi durch große Erweckungen und weitreichende Ausgießungen des Heiligen Geistes geprägt sein wird. Prophetische Erweckungszusagen gehören in pfingstlich-charismatisch orientierten Frömmigkeitsformen zu Sprachritualen. Sie sind Ausdruck einer ganz optimistischen und geradezu euphorischen Zukunftsgewissheit, die eingebunden ist in eine komparativische Struktur der Frömmigkeit.
Das Konzept der „Rückkehr ins Urchristentum“
Vor allem durch die lukanische Pneumatologie sehen sich pfingstliche Gemeinschaften in ihrem Selbstverständnis bestätigt, wobei ihre Deutung der Apostelgeschichte mitbestimmt ist durch eine oft zu wenig reflektierte ekklesiale und frömmigkeitsbezogene Kontextualität. Die Apostelgeschichte erläutert das Pfingstereignis als ein Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist, das sich unter anderem im Reden in „anderen Sprachen“ (Apg 2,4) zeigt. Pentekostales Selbstverständnis erkennt in diesem Ereignis die eigene Erfahrung wieder und liest die Pfingstgeschichte als seine Geschichte: Der Geist kommt auf bereits Glaubende herab, äußert sich in der Gabe der Zungenrede und bevollmächtigt zum christlichen Zeugnis. Entsprechend sieht man in Apg 2 eine neue, weitere Stufe christlicher Erfahrung beschrieben, ein der Bekehrung und Taufe folgendes Erlebnis göttlicher Zuwendung (Geistestaufe). Die im Neuen Testament singuläre Bemerkung, dass die Täuflinge des Philippus zwar getauft seien, den Geist aber noch nicht empfangen hätten (vgl. Apg 8,12ff), wird als Bestätigung für diese Sichtweise begriffen. Die biblische Begründung dazu sieht man u. a. in Mk 1,8 par und jenen Stellen der Apostelgeschichte, die ein Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist und das Reden in Zungen in einen Zusammenhang bringen (Apg 2,4 u. a.).
Pfingstlerischer Biblizismus hat freilich nicht verhindert, dass die formal akzeptierte normative Funktion der Schrift eingeschränkt wurde. Die eigene Frömmigkeitsprägung wurde so sehr mit dem urchristlichen Idealbild in eins gesetzt, dass die biblische Relativierung der Glossolalie, wie sie etwa bei Paulus zum Ausdruck kommt (1. Kor 12-14), nicht mehr ins Auge fiel und die Vielfalt des biblisch bezeugten Geistwirkens keine hinreichende Berücksichtigung fand.
Praxis und Vollzug der Geistestaufe dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die Geistestaufe ist ein Element im Gesamtverständnis pfingstlichen Glaubens, der christozentrisch geprägt ist. Pentekostale Bewegungen verstehen sich im weiteren Kontext der reformatorischen Entscheidungen zur Rechtfertigung allein aus Gnade, zur Rezeption der trinitarischen Glaubensbekenntnisse und zum Priestertum aller Gläubigen. In ekklesiologischen und sakramententheologischen Fragen stehen sie aufseiten des sogenannten linken Flügels der Reformation, ihr Schriftverständnis ist nicht selten bibelfundamentalistisch geprägt. Die historischen Kirchen haben pfingstlerische Bewegungen lange als sektiererische Abspaltungen wahrgenommen. Umgekehrt hat die frühe Pfingstbewegung in den historischen Kirchen antichristliche Systeme gesehen. Diese Wahrnehmung hat sich von beiden Seiten geändert. Charismatische Bewegungen in den historischen Kirchen haben maßgeblich zu dieser veränderten Wahrnehmung beigetragen.
Geistestaufe als Versiegelung
Auch in der Neuapostolischen Kirche spielt die Begrifflichkeit Geistestaufe eine wichtige Rolle. Geistestaufe ist ein beschreibender Begriff für die Heilige Versiegelung, die auf die Wassertaufe und den Glauben bezogen ist, zugleich jedoch von ihnen unterschieden wird. Sie wird einmalig vollzogen und auch an Kindern geübt. „Die Heilige Versiegelung ist das Sakrament, durch das der Gläubige unter Handauflegung und Gebet eines Apostels die Gabe des Heiligen Geistes empfängt und ein Gotteskind mit der Berufung zur Erstlingsschaft wird.“5 Theologen der Pfingstbewegung haben von der Geistestaufe als einem „Kronjuwel“6 gesprochen. Dies dürfte im Blick auf die Neuapostolische Kirche in vergleichbarer Weise gelten. Die Geistestaufe ist Zentrum und Kristallisationspunkt des individuellen Heilsweges und des ekklesiologischen Selbstverständnisses der NAK. Die Neuapostolische Kirche greift mit der Versiegelung eine Tradition auf, die bereits in Katholisch-apostolischen Gemeinden seit 1847 praktiziert wurde, hier aber in einem anderen Gesamtverständnis der eigenen Beauftragung seinen Ort hatte.
Wassertaufe – Geistestaufe – Apostelamt
In zahlreichen neueren Äußerungen der NAK behalten die neuapostolischen Spezifika ihren Stellenwert. Dies gilt trotz einzelner Veränderungen (z. B. zur Tauffrage), die in dem insgesamt sehr geschlossen wirkenden Lehrsystem vorgenommen wurden. Das Apostelamt wird als zentrales Merkmal der Kirche hervorgehoben. Ihm kommt auch eine Bedeutung im Zusammenhang der Offenbarungen Gottes, vor allem des Geistwirkens, des Schriftverständnisses, der Sakramente und des Entschlafenenwesens zu. Der Zusammenhang zwischen Taufe und Versiegelung wird in Lehraussagen der letzten Jahre hervorgehoben und mit der These verbunden, dass die Taufe ein „Näheverhältnis“ zu Gott begründet. Die „Gotteskindschaft“ wird jedoch exklusiv der Versiegelung zugeordnet. Obgleich die Taufe grundlegende Gnadenmitteilung ist, bewirkt sie erst gemeinsam mit der Versiegelung die „Wiedergeburt aus Wasser und Geist“ bzw. die Geistestaufe. Allerdings betont die NAK heute die grundlegende Bedeutung der Taufe deutlicher als in früheren Texten.
Im vierten der zehn NAK-Glaubensartikel, der im unmittelbaren Anschluss an die drei Artikel des Apostolikums formuliert wird, heißt es: „Ich glaube, dass der Herr Jesus seine Kirche regiert und dazu Apostel gesandt hat und noch sendet bis zu seinem Wiederkommen mit dem Auftrag zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und Heiligem Geist zu taufen.“7 Nach neuapostolischer Lehre wird das neue Verhältnis des Menschen zu Gott durch „die Heilige Wassertaufe und die Geistestaufe“ begründet.8 Die Wassertaufe wird verstanden als der „erste Schritt zur Erneuerung des Menschen im Heiligen Geist“.9 Sie enthält „noch nicht alles, was zum neuen Sein des Menschen vor Gott notwendig ist. Seine volle Gestalt findet das Erneuerungsgeschehen „durch die Vermittlung des Heiligen Geistes in der Heiligen Versiegelung“.10 Neuapostolische Christen gehen dabei von einer doppelten Wirkweise des Geistes aus: Als Schöpfergeist und als „Person der dreieinigen Gottheit“ ist sein Wirken universell. „Die sakramentale Übermittlung von Heiligem Geist als Gabe und Gotteskraft erfolgt durch Apostel.“11 Nur Apostel haben die Vollmacht, das Sakrament der Heiligen Versiegelung zu spenden. Nur ihnen kommt die wesentliche Aufgabe zu, „die Braut Christi zu sammeln und auf die Wiederkunft ihres Herrn vorzubereiten“.12 Deshalb wird explizit von einer Heilsnotwendigkeit des wiedererrichteten Apostelamtes gesprochen, welches die Aufgabe hat, das Wort Gottes zu verkündigen und die Sakramente zu spenden.13 Die NAK geht davon aus, dass die Unerlässlichkeit dieses Amtes ihren Grund darin hat, dass Jesus es stiftete. Der Glaube an den dreieinigen Gott wird vonseiten der NAK dabei in eine meines Erachtens problematische Nähe zu dem Glauben an Apostel gerückt: „Die Heilige Versiegelung setzt beim Empfangenden Glauben an den dreieinigen Gott und die von Jesus Christus gesandten Apostel voraus.“14 In Unterscheidung zu den Sakramenten Taufe und Abendmahl kann die Versiegelung bzw. die Geistestaufe nur durch die Handauflegung eines Apostels erfolgen. Begründet wird dieser Ritus der Handauflegung mit Stellen des neuen Testaments, die von Handauflegungen berichten: Apg 8,14-17; 19,6; 1. Tim 4,14; 5,22 etc.
Geistestaufe, Endzeitorientierung, Heilsgeschichte
Das heimholende Kommen Christi steht im Zentrum der endzeitlichen Erwartung der Neuapostolischen Kirche. Ihm kommt in Lehre und Frömmigkeit eine zentrale Rolle zu. Für das endzeitliche Selbstverständnis der NAK ist charakteristisch, dass die versiegelten Gotteskinder im endzeitlichen Geschehen eine entscheidende Rolle spielen. Denn die Versiegelten sind jene, „die Gott innerhalb der Kirche durch die Apostel auf die Wiederkunft Christi zur Hochzeit im Himmel vorbereitet (Offb. 19,7.8)“.15 Zugleich ist das Geistverständnis der NAK in ein heilsgeschichtliches Konzept eingeordnet, in dem die implizite Exklusivität der NAK abgebildet ist. Weil das Apostelamt über Jahrhunderte nicht ausgebildet war, „konnten nicht alle Sakramente gespendet werden“.16 Die NAK geht in dieser heilsgeschichtlichen Sicht davon aus, dass die Heilige Wassertaufe gültig auch ohne bevollmächtigtes Amt gespendet wurde. „Die Heilige Versiegelung, die sakramentale Vermittlung der Gabe des Heiligen Geistes, war während dieser Zeit nicht möglich, denn dem Apostelamt ist nach biblischem Zeugnis die Aufgabe vorbehalten, die Gabe des Heiligen Geistes zu spenden (vgl. Apg 8,14-17).“17 Im Blick auf das Abendmahl wird bemerkt, dass dieses allein als Gedächtnismahl von der Zeit der frühen Kirche bis ins 19. Jahrhundert gefeiert werden konnte, während die „wahrhafte Gegenwart von Leib und Blut Jesu nicht zustande kam“.18
Zusammenfassend ist zu sagen: Im Blick auf die Geistestaufe bzw. Versiegelung wird explizit exklusiv gesprochen. Nur in der NAK kann die Geistmitteilung im Sinne der Versiegelung erfolgen. Anderen soll damit das Heil zugleich nicht abgesprochen werden. Es zeigt sich jedoch die grundlegende Schwierigkeit, die göttliche Zuwendung gewissermaßen in Teile aufzugliedern. Die NAK spricht vom Heil, vom Heiligen Geist, von der Kirche, vom Amt, von den Sakramenten in einem sehr spezifischen Sinn, wie er nur in der NAK verwirklicht ist. Zugleich wird nicht völlig ausgeschlossen, dass die göttliche Gegenwart in einer defizitären Form auch in anderen Kirchen erfahren werden kann und erfahren wird.
Einschätzungen und Perspektiven
- Es sind oft dieselben biblischen Bezugstexte, die von der NAK und von der Pfingstbewegung genannt werden, um ihr jeweiliges Verständnis von Geistestaufe bibeltheologisch zu begründen. Die ekklesiale und frömmigkeitsbezogene Kontextualität, die jede Schriftauslegung mitbestimmt, wird im Zusammenhang des Verständnisses und der Praxis der Geistestaufe in einzelnen Ausprägungen des pentekostalen Christentums wie auch im Zusammenhang der NAK so bestimmend, dass die biblischen Texte nur noch in legitimatorischer Funktion aufgegriffen werden. Mit dem hermeneutischen Paradigma „Rückkehr ins Urchristentum“ bzw. „Wiederherstellung der urchristlichen Glaubenspraxis“ wird die hervorgehobene Stellung des Apostelamtes begründet, dem allein vorbehalten ist, den Geist als bleibende Gabe und Zeichen der Nähe Gottes zu spenden. In manchen Ausprägungen der Pfingstbewegung werden außergewöhnliche Geisterfahrungen zum Ausweis und Beweis der Gegenwart des Geistes. Verlässt man dieses Paradigma, ist es nicht mehr möglich, die eigene Frömmigkeitspraxis als unmittelbare Rückkehr zur Bibel zu begreifen.
- Der Begriff Geistestaufe ist m. E. missverständlich. Man sollte auf ihn verzichten und stattdessen von Tauferneuerung sprechen oder von immer wieder neuer Geisterfahrung, die auf ein prozessuales Geschehen hindeutet. Eine fundamentale Trennung zwischen Wassertaufe und Geisttaufe ist nicht plausibel. Denn zur Taufe gehören gleichermaßen die Geisterfahrung wie auch der Glaube. Wer glaubt, ist mit dem Heiligen Geist getauft und vom Heiligen Geist erfüllt. Wer glaubt, ist beauftragt, ermächtigt und berufen zum christlichen Zeugnis. Wassertaufe, Geistempfang, Glaube und Zeugnis dürfen nicht getrennt werden. Sie gehören zusammen. Es gibt keine Erfahrungen, die die Situation des Glaubens prinzipiell überschreiten. Das Wunder der Geisterfahrung und Geistmitteilung ist in seiner ganzen Fülle geschehen, wenn ein Mensch bekennen darf, dass „Jesus der Herr ist“ (1. Kor 12,3). Im Neuen Testament kommt das Substantiv Geistestaufe zudem nicht vor, wohl aber die verbale Formulierung „mit dem heiligen Geist getauft werden“. Taufen ist zugleich nur ein Begriff, um das Geschehen des Geistempfangs zu beschreiben. Im Vordergrund stehen andere Worte: empfangen, geben, voll werden, wohnen, erfüllt werden, geboren werden, kommen, salben, versiegeln etc. Am häufigsten ist die Rede davon, dass der Geist empfangen wird, dass er gegeben wird. Insofern ist das Wort „taufen“ im Neuen Testament nicht das Hauptwort zur Beschreibung des Geistempfangs.
- Geistempfang und Geisterfahrung konnten sich im urchristlichen Leben sehr verschieden und in mannigfaltigen Formen äußern. Zu diesen Möglichkeiten gehörte auch das ekstatische Ergriffenwerden durch den Geist. Es spricht einiges dafür, dass außergewöhnliche Erfahrungen und Begabungen auch in einzelnen frühchristlichen Gemeinden besondere Wertschätzung erfuhren. Aber Geisterfahrung oder Begabung durch den Geist konnte sich auch ganz unenthusiastisch und unekstatisch äußern. Vielstimmigkeit und Verschiedenheit sind deshalb für das neutestamentliche Zeugnis vom Wirken des Geistes und die mit ihm verbundenen Erfahrungen charakteristisch. Eine solche Mannigfaltigkeit der Geisterfahrung zeigte sich auch in den unterschiedlichen Lebensformen der Gemeinden. Historisch gesehen weist das Urchristentum eine Vielzahl von Gemeindeformen auf, die mit unterschiedlichen theologischen und frömmigkeitsmäßigen Orientierungen verbunden sind. Eine einheitliche Ämterhierarchie lässt sich mit dem Neuen Testament nicht begründen.
- Vertreter der Pfingstbewegung haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sie Geistestaufe nicht als höhere Stufe des Christseins verstanden wissen wollen, sondern als weiteren Schritt christlichen Lebens. Für das pentekostale Verständnis der Geistestaufe gilt: „Die Geistestaufe ist nicht die Gabe der Gotteskindschaft, sondern eine Gabe an Gotteskinder. Es gibt nicht mehr Heil als Gotteskindschaft, aber es gibt mehr Segnungen und Verheißungen für Gotteskinder als die meisten bis heute erlebt haben.“19 In dem Maße, in dem Geistestaufe und Zungenrede in ein Gesamtverständnis des Glaubens eingeordnet werden (als Ausprägung der Frömmigkeit und nicht als Weg zu einem Christsein der Extraklasse) und im Glaubensvollzug einen untergeordneten Stellenwert bekommen, im selben Maße eröffnet sich die Möglichkeit einer über die eigene Frömmigkeitsform hinausgehenden Gemeinschaft. Für die NAK ist die Geistestaufe freilich das Konstitutionsgeschehen der Gotteskindschaft. Mit dem Verständnis der Gotteskindschaft in der NAK ist meines Erachtens eine Grenze der Verständigung erreicht, die trotz aller anerkennenswerten Annäherungen aufrechterhalten wird. Denn im Blick auf die Gotteskindschaft in ihrer unabdingbaren Bezogenheit auf die Versiegelung und die spezifische Institution des Apostelamtes gilt Exklusivität. Diese Exklusivität strahlt aus auf zahlreiche weitere Orientierungen: u. a. die eschatologische Erwartung, das sogenannte Entschlafenenwesen und das Verständnis von Kirche. Selbstverständlich darf nicht ausgeschlossen werden, dass Handauflegungshandlungen durch Beauftragte ein Zeichen göttlicher Nähe und Hinweis für das Wirken des Heiligen Geistes sein können. Die Lehre jedoch, dass das Apostelamt exklusiv in der NAK ausgebildet ist und nur dieses ein Kindschaftsverhältnis zu Gott stiften kann, steht in Spannung zu zahlreichen neutestamentlichen Aussagen. Darüber hinaus entsteht hier ein offensichtlicher Gegensatz zu den Grundlagen der ökumenischen Zusammenarbeit, wie sie von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in einer Orientierungshilfe 1998 festgelegt wurden. Dort heißt es u. a.: „durch ihre Mitgliedschaft in der ACK bringen sie [die christlichen Kirchen] zum Ausdruck, dass sie miteinander in der Gemeinschaft der einen Kirche Jesu Christi an der Gotteskindschaft teilhaben (Römer 8.18). Dies gilt unbeschadet unterschiedlicher Auffassung von Taufe und Kirche.“
- Die Verständigungsgrenzen mit der Neuapostolischen Kirche in Lehrfragen stehen in einem Kontrast zur offenen, lernbereiten und Anerkennung gewährenden praktischen Kommunikation mit anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die bereits vor mehr als zehn Jahren vonseiten der NAK begonnen wurde. Noch nicht ausgeschöpft sind Verständigungschancen durch eine Rückbesinnung auf die katholisch-apostolische Tradition, die im 19. Jahrhundert in England entstand und zum Impulsgeber der verschiedenen apostolischen Gemeinschaften wurde. Darauf ist von Helmut Obst und anderen immer wieder mit Recht hingewiesen worden. Diese charismatische Laienbewegung mit ihren kritikwürdigen apokalyptisch-endzeitlichen Anliegen war gleichwohl bestimmt von einer ökumenischen Gesinnung, von anspruchsvollen biblisch-theologischen Reflexionen und liturgisch reich gestalteten Gottesdienstformen. Zum Ausdruck kam ihre ökumenische Ausrichtung im „Zeugnis der Apostel“, dem sogenannten „Testimonium“ (1836), in dem es gleich zu Beginn heißt: „Die Kirche Jesu Christi ist die Gemeinschaft aller, ohne Unterschied der Zeit und des Landes, welche im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft und durch ihre Taufe von allen anderen Menschen ausgesondert sind.“20
Reinhard Hempelmann
Anmerkungen
1 Ray H. Hughes, Was ist Pfingsten?, Urbach 1992, 102.
2 Ebd., 103.
3 Ebd., 104.
4 Reinhard Hempelmann u. a., Quellentexte zur neuen Religiosität, EZW-Texte 215, Berlin 2011, 82-87, hier 87.
5 Neuapostolische Kirche International (Hg.), Die Heilige Wassertaufe. Die Heilige Versiegelung, Zürich 2012, 13.
6 Frank D. Macchia, Das Reich und die Kraft. Geistestaufe in pfingstlerischer und ökumenischer Perspektive, in: Evangelische Theologie 69, 2009, 286-299, hier 289.
7 Neuapostolische Kirche International (Hg.), Arbeitsgespräche 2011/2012, Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen – Neuapostolische Kirche, Zürich 2011, 20.
8 Ebd., 38.
9 Ebd., 22.
10 Ebd., 23.
11 Ebd., 74.
12 Ebd.
13 Vgl. ebd., 62.
14 Neuapostolische Kirche International (Hg.), Die Heilige Wassertaufe. Die Heilige Versiegelung, a.a.O., 17.
15 Ebd., 18.
16 Neuapostolische Kirche International (Hg.), Arbeitsgespräche, a.a.O., 46.
17 Ebd., 46f.
18 Ebd., 47.
19 Reinhold Ulonska, Geistesgaben in Lehre und Praxis, Berlin 1990, 21.
20 Die englische Version des Großen Testimoniums und die deutsche Übersetzung finden sich unter www.apostolische-geschichte.de/docs/a-dokumente/a-0006.pdf
Literatur
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Dunn, James D. G., The Christ & The Spirit, Vol. 1: Christology, Grand Rapids, Michigan 1998
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Fee, Gordon D., Paul, the Spirit, and the People of God, Peabody, Massachusetts 1996
Hempelmann, Reinhard u. a., Quellentexte zur neuen Religiosität, EZW-Texte 215, Berlin 2011
Hughes, Ray H., Was ist Pfingsten?, Urbach 1992
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Obst, Helmut, Apostel und Propheten der Neuzeit. Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2000
Schmieder, Lucida OSB, Geisttaufe, ein Beitrag zur neueren Glaubensgeschichte, Paderborn u. a. 1982
Schröter, Johannes Albrecht, Die Katholisch-Apostolischen Gemeinden in Deutschland und der Fall Geyer, Marburg 1997
Turner, Max, Power from on High: The Spirit in Israel’s Restoration and Witness in Luke-Acts, Sheffield 1996 (= Journal of Pentecostal Theology Supplement Series 9)
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