Geschichte des Islam
Gudrun Krämer, Geschichte des Islam, Verlag C. H. Beck, München 2005, 334 Seiten, 24,90 Euro.
Das Unternehmen, eine Geschichte des Islam zu schreiben, birgt viele Fallgruben und Gefahren der klischierten Vereinfachung, zumal wenn dieser höchst komplexe Stoff auf einem Volumen von nur etwas mehr als 300 Seiten, noch dazu mit zahlreichen (gut ausgewählten) Illustrationen, geboten werden soll. Die Autorin, Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin, versucht, Stereotypen zu vermeiden und nicht in das zu verfallen, was mit dem Stichwort des Orientalismus gebrandmarkt wird. Vielmehr soll hier eine „Beziehungsgeschichte“ geboten werden zu den Themen von Religion, Kultur und Politik. Islam wird als „Bezugsgröße“ entfaltet.
Dieser Ansatz führt allerdings auch höhere Anforderungen an den Leser mit sich, da Krämer nicht mit bekannten Epocheneinteilungen arbeitet, sondern die Geschichte(n) der islamischen Glaubens-, Kultur- und Politikräume in ihrer ganzen Komplexität einzufangen versucht, was sich auch in ungewohnten Kapitelüberschriften und in einem diskursiven, nicht sehr gefälligen Stil niederschlägt, z.B. „Eine Gesellschaft in Bewegung“ (vom Tod Muhammads bis zum Sturz der Umayyaden) oder „Einheit und Vielfalt“ (ca. 900 n. Chr. bis zum Kalifat unter den Seldschuken). Die bei aller Kürze differenzierten Darstellungen etwa zur muslimischen Präsenz auf der Iberischen Halbinsel zur Zeit der mongolischen Eroberungen und zur Moghul-Herrschaft in Indien bieten ebenso in konzentrierter Form den neuesten Stand der geschichtlichen Forschung zum Islam wie die Darstellung der Kreuzzüge, des Osmanischen Reichs oder der zuletzt wieder zum Politikum gewordenen Debatte über die Zwangsumsiedlung der Armenier 1915 (Krämer spricht hier vorsichtig von einem „Massenmord […], der einem Genozid gleichkam“, 286).
Insgesamt liegt der Schwerpunkt des Werks auf der frühen Geschichte des Islam, nicht im 20. Jahrhundert, geschweige denn in der Annäherung an die Gegenwart. Es verbleibt bei der Darstellung der klassischen „islamischen Welt“, mit Hinweisen auf die „islamische Revolution“ im Iran, auf das talibanische Afghanistan (bis 2002) und mit erhellenden Hinweisen zum Phänomen des Islamismus. Nur noch auf der Weltkarte auf den hinteren Umschlaginnenseiten, nicht mehr jedoch im Text wird berücksichtigt, dass muslimische Bevölkerungsteile überall auf der Welt zu finden sind und ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Entfaltungselemente dort hervorbringen, wo sie als Minderheit leben, u.a. in den USA und in Westeuropa. Hier hätte sich, vor dem Hintergrund der muslimischen Präsenz insbesondere in Deutsch land, Frankreich und Großbritannien und der entsprechenden öffentlichen Konstruktionen der „muslimischen Welt“ und der entsprechenden Diskussionen, mancher einige analytische und klärende Worte gewünscht. Auch ist es in erster Linie eine politische Geschichte des Islam. Selbst herausragende Denker des Mittelalters wie al-Ghazali, Ibn Rushd (Averroes) oder andere werden nur in knappen biographischen und kurzen ideengeschichtlichen Hinweisen erwähnt.
Nichstdestoweniger liegt ein sprachlich treffsicher geschriebener und analytisch klarer Überblick über die wichtigen Phasen der Geschichte des Islam vor, der jedoch ergänzt werden muss um narrative Werke, die auch bei der Entfaltung von Einzelproblemen verweilen können und Gegenwartsdebatten aufnehmen.
Ulrich Dehn