Geschichte und Aktualität der Daoismusrezeption im deutschsprachigen Raum
Oliver Grasmück, Geschichte und Aktualität der Daoismusrezeption im deutschsprachigen Raum, Religionen in der pluralen Welt – Religionswissenschaftliche Studien Bd. 2, LIT Verlag, Münster 2004, 145 Seiten, 24,90 Euro.
Wenige außereuropäische weltanschauliche Systeme sind im deutschsprachigen Raum so intensiv rezipiert worden wie der Daoismus oder das, was man im Rezeptionsprozess dafür hielt. Die gesamte esoterische Szene ist gesättigt mit Versatzstücken aus dem daoistischen Jargon, das Yinyang-Symbol ist omnipräsent, daoistisch orientierte Lehren und Körper-Geist-Therapien wie Feng Shui oder Qi Gong/T’ai Chi sind fester Bestandteil westlicher Lebenswelten. Grasmück hat sich in seiner Magisterarbeit von 2001 der Mühe unterzogen, diesen Rezeptionsprozess qualitativ und quantitativ zu untersuchen und seine Geschichte in beiden Hinsichten nachzuzeichnen.
Wie kommt es, dass die stark christlich und allgemein westlich-geistesgeschichtlich geprägte Übersetzung des Tao-te-king (Daode jing) durch Richard Wilhelm die in Deutschland am weitesten verbreitete und best verkaufte ist? Was hat den Boom der Dao-Rezeption in der Weimarer Republik, aber auch in den letzten Jahrzehnten ausgelöst? Grasmück schreitet die wichtigsten Stationen der Rezeption ab, wie etwa die jesuitische Mission in China einschließlich ihrer „jesuitischen Fiktion“, die verschiedenen Daode-jing-Übersetzungen (Julius Grill, Richard Wilhelm), die westliche Unterscheidung von „religiösem“ und „philosophischem Daoismus“ oder „Geist“ und „Körper“ als jeweiligen Rezeptionsfokus einer Epoche. Eine wichtige Rolle spielte, so Grasmück, der Figurismus, die theologische Deutung des Daoismus, eine von dem jesuitischen China-Missionar Joachim Bouvet (gest. 1730) ausgehende Schule, die aus missionarisch-strategischen Gründen die enge Verwandtschaft von Daoismus und Christentum behauptete und die Lehre des Christentums in den klassischen daoistischen Texten (Daode jing, Yi Jing, Zhuangzi) vorgezeichnet fand. R. Wilhelm schließlich steht für eine Hineinübersetzung des Daode jing in ein christlich-theologisches Begriffssystem, die den deutschsprachigen Leser vieles wiedererkennen ließ (und dennoch eine andere Art von Fremdartigkeit schuf, die der Leser ja auch suchte – U. D.).
Ein großer Teil der Studie ist dem statistischen Material über den Büchermarkt und Zeitschriften gewidmet und vermittelt ein realistisches Bild über die zahlenmäßig erfassbare Rezeption. Auch die analytischen Schlussüberlegungen Grasmücks sind anregend, auch wenn über ihre Trag-fähigkeit weiter nachgedacht werden müsste: Er wendet die semiotische Theorie Umberto Ecos auf die Daoismus-Rezeption an, welche in einer Zeit, in der dem westlichen religiösen Code-System Signifikate für (positiv besetzte) Sexualität oder (nach dem 2. Weltkrieg) für Pazifismus fehlten, mit dem (wiederum westlich verstandenen) chinesischen Daoismus eine Lücke füllen konnte. So war es auch, so Grasmück, eher der Daoismus und insbesondere das Daode jing, die in der Rezeption dem eigentlich von den Missionaren höher geschätzten Konfuzianismus vorgezogen wurden. An diesem Gedanken, der leider erst auf den beiden letzten Seiten entwickelt wird, müsste, auch kritisch, weitergedacht werden (was der Autor ja vermutlich inzwischen auch tut).
Das ausführliche Literaturverzeichnis im Anhang leidet darunter, dass es, sicherlich in bester Absicht, sehr feingliedrig in Kategorien unterteilt ist, was das gezielte Suchen nach einzelnen Autoren mitunter zeitaufwendig gestaltet. Ferner weist die Studie überdurchschnittlich viele Schreibfehler auf, was in Anbetracht der langen Zeit zwischen Fertigstellung und Drucklegung (zweieinhalb Jahre) verwunderlich ist. Ungeachtet dieser formalen Anmerkungen ist das Buch sowohl für die allgemeine Forschung der westlichen China-Rezeption als auch für den Bereich der chinesisch orientierten Esoterik in Deutschland von hohem Interesse und sehr empfehlenswert.
Ulrich Dehn