Robert W. Hefner (Hg.)

Global Pentecostalism in the 21st Century

Robert W. Hefner (Hg.), Global Pentecostalism in the 21st Century, Indiana University Press, Bloomington 2013, 270 Seiten, 20,13 Euro.

Pfingstlich-charismatisches Christentum blickt im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts auf eine über hundertjährige Geschichte zurück, die weltweit mit einer unüberschaubaren Anzahl von Aneignungs- und Ausdifferenzierungsprozessen einherging. Der US-amerikanische Religionssoziologe Robert W. Hefner hat einen Sammelband vorgelegt, der Arbeiten von Soziologen und Soziologinnen vereint, die sich teilweise seit Jahrzehnten mit zeitgenössischen Ausprägungen pentekostalen Christentums befassen. Die Beiträge gehen auf eine Tagung zurück, die 2011 an der Boston University abgehalten wurde und deren Referentinnen und Referenten einen methodischen Zugang teilen, der von Max Webers Verstehender Soziologie ausgeht.

Der Band bietet keine allgemeine Übersicht über pfingstlich-charismatisches Christentum im Sinne eines konfessionskundlichen Handbuches. Wer aufgrund des Buchtitels erwartet, einen Überblick über die weltweite Verbreitung von Pfingstkirchen in Form von Missionsstatistiken oder Verbreitungssurveys zu erhalten, wird enttäuscht werden. Auch berücksichtigt der Band ganze Regionen des Globus wie Nordamerika, West- und Mitteleuropa oder Ozeanien nicht eigens mit Beiträgen.

Die acht von einer Einführung des Herausgebers und einem Nachwort Peter L. Bergers gerahmten Aufsätze sind zwei sich ergänzenden Betrachtungsweisen verpflichtet.

David Martin und Bernice Martin wählen in ihren Beiträgen „Pentecostalism. An Alternative Form of Modernity and Modernization?“ (37-62) und „Tensions and Trends in Pentecostal Gender and Family Relations“ (115-148) eine vergleichende Betrachtungsweise, in der sie Beobachtungen aus unterschiedlichen Pfingstkirchen und charismatischen Gemeinden miteinander in Beziehung setzen. David Martin befasst sich mit der Frage, wie sich das Verhältnis pfingstkirchlicher Religiosität zur modernen, technisch ausdifferenzierten Welt darstellt. Diese Frage ist für im Weber‘schen Paradigma arbeitende Soziologen von besonderer Relevanz, da eine „Wiederverzauberung der Welt“, die auf den ersten Blick modernisierenden Tendenzen zuwiderzulaufen scheint, einen zentralen Punkt pentekostaler Spiritualität bildet. Dieser remythologisierende Charakter trägt nicht wenig zur Attraktivität pfingstlich-charismatischen Christentums weltweit bei, wobei gleichzeitig festzustellen ist, dass Mitglieder pfingstlich-charismatischer Kirchen im ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Sektor gegenwärtig oftmals Träger von Modernisierungsprozessen sind. Bernice Martin befasst sich mit der Frage der Konstruktion von Geschlechterrollen und dem Verständnis von Familienkonzepten in pentekostal geprägten Kontexten. Diese Fragestellungen verfolgt die Autorin durch die Geschichte der Pfingstbewegung und verweist dabei auf die Bedeutung der unterschiedlichen Trägergruppen und Kontexte. Sie zeigt auf, dass in der Frühzeit der Bewegung Geschlechterrollen flexibel gehandhabt wurden, und verdeutlicht dies an der prominenten Stellung von Predigerinnen und reisenden Evangelistinnen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Es setzte dann mit der Übernahme und Propagierung von an der Mittelschicht orientierten Wertvorstellungen ein Prozess ein, der Frauen innerhalb verschiedener Ausprägungen pentekostalen Christentums oftmals wieder in klassische Rollen zurückdrängte. Die Autorin wirft jedoch im Anschluss an John Burdick die Frage auf, ob das in zeitgenössischen pfingstlich-charismatischen Kirchen vermittelte weitgehend konservativ geprägte Frauen- und Familienbild nicht de facto eine umfassendere Form von empowerment für Frauen im Globalen Süden mit sich führt, als dies nicht inkulturierte und unter den dortigen Lebensbedingungen kaum umsetzbare Forderungen aus westlichen Gender- oder Feminismus-Diskursen bisher zu leisten vermochten (125f, 128). Aber sie weist auch darauf hin, dass in jüngster Zeit teils unter explizitem Rückgriff auf die Frühzeit der Pfingstbewegung Geschlechterrollen nicht selten wieder dynamischer gedacht werden. Hervorzuheben ist, dass Gender-Fragen in diesem Aufsatz nicht reduziert werden auf die Konstruktion von Frauenrollen. Sie werden auch auf die Transformation des Verständnisses von Männlichkeit innerhalb pfingstlich-charismatischer Familiendiskurse bezogen (126f).

Die zweite Gruppe von Aufsätzen rückt Fallbeispiele in den Mittelpunkt, die sich primär auf ein bestimmtes Land oder eine Region beziehen. Es werden pentekostale Kirchen und Gemeinden unterschiedlicher Ausprägung in Brasilien (63-90), Zimbabwe (91-114), China (149-175), Russland und der Ukraine (176-193), Indien (194-222) und auf den Philippinen (223-250) thematisiert. Diese Beiträge zielen nicht nur auf eine deskriptive Darstellung ab, sondern gehen auch jeweils variierenden systematischen Fragestellungen nach. David Maxwell, der insbesondere die „Zimbabwe Assemblies of God Africa“ berücksichtigt, zeichnet das Verhältnis dieser Kirche zur Politik des diktatorischen Regimes Robert Mugabes in Zimbabwe nach und zeigt auf, wie sich die Kirche internationalisiert (103f, 94f). Die Beiträge, die sich mit China und Indien befassen, rücken zwei stark divergierende Trägergruppen pfingstlicher Gemeinden in den Fokus. Der China betreffende Beitrag befasst sich mit dem sog. „Boss-Christentum“ in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Wenzhou. Der Beitrag Nanlai Caos präsentiert somit eine Form pentekostalen Christentums, das in besonderer Weise mit wirtschaftlichen Eliten und materiellem Erfolg assoziiert ist. Rebecca und Timothy Samuel Shah beleuchten hingegen die Situation einer in ihrer Gesellschaft in dreifacher Hinsicht marginalisierten Gruppe: Dalit-Christinnen in den Armenvierteln Bangalores, die als Unberührbare, Frauen und Christinnen in der indischen Gesellschaft ausgegrenzt werden. Christopher Marshs und Artyom Tonoyans Beitrag reflektiert die Situation der Pfingstkirchen in Russland und der Ukraine vor ihrem historischen Hintergrund. Die Autoren beleuchten beginnend mit der zaristischen Zeit insbesondere die Auswirkungen staatlicher Kirchen- bzw. Religionspolitik auf pentekostale Gemeinden und Missionsbemühungen. Katharine L. Wiegele weicht mit ihrem Artikel über El Shaddai etwas vom Fokus der übrigen Beiträge ab, da sie mit dieser auf den Philippinen entstandenen charismatischen Bewegung eine Gruppe thematisiert, die sich bei weitgehender Übernahme des prosperity gospels noch weiterhin innerhalb des römisch-katholischen Rahmens bewegt. Paul Freston fragt, was geschieht, wenn – wie derzeit in Brasilien der Fall – Pfingstgemeinden und Kirchen, die sich über Wachstum als Zeichen des Heilserweises definieren, nach Jahren des scheinbar unbegrenzten Wachstums an die Grenzen ihres Ausbreitungsvermögens stoßen. Der Autor fasst diese Erfahrung und die Folgen unter dem Stichwort der „Historisierung“ (75f). Diese bedeute nicht, dass Pfingstgemeinden zu einem Phänomen der Vergangenheit würden oder dass sie sich einfach historischen Kirchen der Reformation eingliedern, sondern dass insbesondere Leitungspersonen aus dem pfingstlichen Spektrum verstärkt auf reformatorische Theologie in der Tradition Jean Calvins zurückgreifen. Dies geschieht weniger im Blick auf die Frage einer grundlegenden Demokratisierung der Gemeindestruktur und der Ämter als hinsichtlich der Rezeption der Prädestinationslehre. Diese vermag in den Augen der betreffenden Gemeindeleiter eine biblisch fundierte Antwort auf die Grenzen des Wachstums der eigenen Gemeinden und die Fortdauer von als gegengöttlich wahrgenommenen Religionen wie Katholizismus, Candomblé oder Santo Daime in Brasilien zu geben.

Dem Herausgeber ist es gelungen, einen sehr gut redigierten Tagungsband zu publizieren, dessen Beiträge klar miteinander verknüpft sind. Das Register verdeutlicht dies. Peter L. Bergers Nachwort, das einen kritischen Kommentar zum Buch darstellt, eröffnet nach dem Lesen des Buches noch einmal neue Perspektiven und lädt letztlich zu einer vertiefenden relecture des Buches ein. Wer sich mit den behandelten Themen befasst und offen für Weber‘sche Interpretationsansätze ist, sollte das Buch nicht unbeachtet lassen.


Harald Grauer, Sankt Augustin