Glück zwischen der Klarheit des Geistes und der Hinwendung zur Schöpfung
Eine christlich-buddhistische Dialogtagung
„Das Glück ist ein völlig überhetzter, entfernter Onkel, der ein paar Mal im Jahr auftaucht, wenn man ihn am wenigsten erwartet … und sagt: Ist doch eigentlich alles ziemlich gut gelaufen bisher.“1So schrieb es Ronja von Rönne am 13.2.2018 in ihrer Zeit-Online-Kolumne „Heute ist leider schlecht“. Nur zehn Tage später trafen sich in Hannover 40 Teilnehmende auf Einladung der EZW, der „Deutschen Buddhistischen Union“ (DBU) und der „Konferenz der Landeskirchlichen Beauftragten für Sekten und Weltanschauungsfragen (KLB) in der Evangelischen Kirche in Deutschland“ zu einer Tagung unter der Überschrift „‚Glück‘.Christlich-buddhistische Dialogtagung“.
Für Außenstehende scheint dieses Zusammenkommen weniger überraschend, auch von Rönne bezieht sich in ihrem Text auf christliche und buddhistische Größen. Für die Teilnehmenden hingegen war die Tagung keineswegs eine Selbstverständlichkeit, war sie doch „die erste buddhistisch-christliche Tagung dieser Art seit längerer Zeit“2.
Der Vertreter der hannoverschen Landeskirche, Klaus Grünwaldt, würdigte in seinem Grußwort, dass das Tagungsthema zum einen ein grundlegendes menschliches Bedürfnis aufgreife, zum anderen den buddhistisch-christlichen Dialog in seiner Bedeutung für das alltägliche und konkrete Leben verorte. Gunnar Gantzhorn, erster Vorsitzender des Rates der DBU, erinnerte an die Verantwortung aller „spirituellen Menschen“, sich mit der gegenwärtigen Glücksfrage auseinanderzusetzen. Damit eröffneten die beiden Beiträge bereits den Blick auf die drei großen Themenfelder der Tagung: „Gegenwärtige Glückssuche und Glücksversprechen“, „Glück aus christlicher und buddhistischer Perspektive“ und „Glück als Weltverantwortung“.
Glückssuche und Glücksversprechen
„So viel Freiheit, den ganzen verdammten Tag lang bin ich völlig frei. Jede Sekunde habe ich die große Chance, das Glück scheint jedes Mal so greifbar nah, und darum geht es doch, um das Glück. Oder?“3 Alles dreht sich ums Glück. Ronja von Rönnes Text wird so zum Dokument eines Zeitgeistes, der geprägt ist von einer „Erwartung des Dauerglücks“. Diese Einschätzung stammte von der Ethnologin Annegret Braun (Universität München). In ihrem einführenden Vortrag4 nahm sie die gegenwärtige Glückssuche und die darauf reagierenden Glücksangebote unter die Lupe. Ihre Untersuchungen zum Thema „Glückssuche und Glückserleben im Alltag“ zeigten, dass das Thema Glück eine enorme Aufwertung erfahren hat. War das persönliche Glück bis ins 19. Jahrhundert den Bedürfnissen der Gemeinschaft nachgeordnet, gilt es nun als Sinnstifter Nummer 1, nach Braun mit schwerwiegenden Folgen. Glücksverlust wird schnell zum Sinnverlust. Geschürt werde dieses Verständnis durch die Medien, insbesondere durch die Sozialen Medien. Der gegenwärtige Glücksmarkt richte sich an diesem Glücksverständnis aus und werbe offensiv damit. Aber nicht nur die Werbung habe das Thema Glück für sich entdeckt. Auch die Psychologie, insbesondere „die Glücksforschung als sozialpsychologischer Forschungszweig“5, untersuche verstärkt die Bedingungen für menschliches Glückserfahren und die Möglichkeiten zur Steigerung des Glücks. Brauns eigene Forschung zeige, dass Glück in drei verschiedenen Formen auftrete: Euphorie, Freude und Zufriedenheit. Gemeinsam sei den geschilderten Glückserfahrungen ihrer Befragten, dass sie sich weder in der Glückssuche noch den Glücksangeboten der Werbung wiederfinden. Vielmehr gehe es in den Erfahrungen um unerwartet schöne Sonnenaufgänge beim morgendlichen Spaziergang oder gute Gespräche bei einem Glas Wein.
Glück im christlich-buddhistischen Dialog
Das große Versprechen der Gegenwart: „[I]rgendwo in der Zukunft lauert es ja vermeintlich immer, das Glück.“6 Im weiteren Verlauf der Tagung sollte diesem Versprechen in unterschiedlichen Kontexten und Perspektiven nachgegangen werden.
Der Beitrag von Klaus Kaltenbrunner führte in die buddhistische Praxis des Diamantwegs ein. Kaltenbrunner lehrt seit zehn Jahren im Auftrag des Lama Ole Nydahl. Ausgangspunkt für seine Überlegungen stellte das vierte Versprechen der edlen Wahrheiten des Buddhismus dar: Es gibt ein Ende des Leids, und damit eröffnet sich die Möglichkeit für Glück und Freude. Glück sei dabei aber ein beständiger Zustand. Für Kaltenbrunner stellen Meditation und Lehre die Methoden dar, die es dem Menschen ermöglichen, diesen Zustand zu erreichen, wobei er immer wieder betonte, dass die unterschiedlichen Richtungen des Buddhismus unterschiedliche Methoden darstellen, um dasselbe Ziel zu erreichen.
Der Beitrag, von Matthias Pöhlmann, dem Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, beschäftigte sich mit dem Glücksversprechen des „Positiven Denkens“. Der Grundgedanke des Positiven Denkens, der sich in umfangreicher Ratgeberliteratur wiederfinde, sei, dass „Denken die Wirklichkeit erschafft“, dass Positives Denken die Macht habe, die Wirklichkeit zu verändern und maßgeblich zu gestalten. Geprägt sei dieser Ansatz durch die Ideen der Neugeist-Bewegung. Die unterschiedlichen Vertreter dieser Bewegung sowie des Positiven Denkens teilen die Annahme, dass der Mensch Träger eines göttlichen Kerns sei, auf den es sich auszurichten gelte, um sich von negativen und schädlichen Gedanken zu befreien.7
In der anschließenden Diskussion wurde die Frage eingebracht, ob nicht dem von Klaus Kaltenbrunner dargestellten buddhistischen Weg zum Glück ein dem Positiven Denken ähnliches Verständnis von einem kosmischen Mechanismus zugrunde liege. In der weiteren Diskussion zeigte sich aber ein zentraler Unterschied zwischen buddhistischen Ansätzen und denen des Positiven Denkens. Während das Positive Denken das gezielte Streben nach Glückserfahrung betone, ziele die buddhistische Meditation auf einen Geisteszustand der gleichmütigen Akzeptanz. Diese Art der Meditation könne zwar zu Glücksgefühlen führen, diene aber der Einübung eines Geisteszustands, der zu rechten Verhaltensweisen und zu der Erkenntnis führe, dass das Selbst des Menschen eine Illusion darstelle.8 Dabei gehe es aber nicht um eine Gleichgültigkeit gegenüber aller Art von Erfahrungen und Emotionen, sondern um ein bewertungsfreies „Auf-sich-Zukommenlassen“, das erst eine angemessene Reaktion ermögliche.
Der Begriff der gleichmütigen Akzeptanz diente als Brücke für einen weiterführenden Austausch über die eigene Religiosität zwischen den buddhistischen und den christlichen Teilnehmenden. Das Tagungsthema erwies sich hierfür als glückliche Wahl, führte es doch nach wenigen Minuten bereits hinein in grundlegende anthropologische Fragestellungen. Besonders die Frage nach der Machbarkeit des Glücks und des menschlichen Beitrags dazu verdeutlichte die unterschiedlichen Vorstellungen. Aus christlicher Perspektive stelle die Gottesbeziehung in der Auseinandersetzung mit Glück und Leid den zentralen Bezugspunkt dar. Gott werde zum einen als derjenige erfahren, an den man sich mit Klage und Dankbarkeit wenden könne, zum anderen richte sich aber auch die christliche Hoffnung darauf, dass Gott den Menschen durch Jesus Christus aus den Verstrickungen des Leids befreit habe und befreien werde. Die Vier Edlen Wahrheiten des Buddhismus sprächen davon, dass der Mensch dazu in der Lage sei, das Leid durch das Ablegen des Begehrens zu überwinden und so den Zustand der Erleuchtung zu erreichen. Aus dem Evangelium heraus ergebe sich für Christen, dass in der Auferstehung Christi das Leid für die Menschen überwunden wurde. Die Überwindung des Leids liege somit nicht in der Hand des Glaubenden, sondern zeichne sich als gnädiges Geschenk Gottes aus.
Weitergeführt wurde diese Diskussion durch den Beitrag „Glück und Glücksversprechen“9 von Michael Roth, Professor für Systematische Theologie und Sozialethik an der Universität Mainz. Darin stellt Roth die These auf, dass jede Form des Glücksversprechens das Glück verhindere. Jedes Versprechen von Glück sei zum Scheitern verurteilt. Glück sei vielmehr, in Anlehnung an Mihály Csikszentmihályis Arbeit, ein Zustand, „in dem wir uns den Dingen des Daseins ganz hingeben können“10. Für Roth findet sich dieses Verständnis von Glück im protestantischen Schöpfungsglauben wieder. Die Welt und sich als Geschöpf Gottes wahrzunehmen heiße, „die Welt als … persönlich zugesagt und daher die Gegenwart als … von Gott eröffneten Möglichkeitsraum des Handelns“11 zu begreifen.
Gunnar Gantzhorn stellte diesem Ansatz eine buddhistische Perspektive gegenüber. Ähnlich wie Roth verstehe er das Greifen nach dem Glück, getrieben durch Glücksversprechen, als den Moment, in dem sich das Glück entziehe. Nicht in einer Hinwendung zu der sinnlich erfahrbaren Welt, sondern nur in der Klarheit des Geistes sei der Zustand des Glücks zu finden.
Was zunächst für christliche Ohren abstrakt klang, versuchte Martin Ramstedt, Mitglied des Rates der DBU und Privatdozent an der Universität Halle-Wittenberg, in seinem Vortrag „Glück.Eine Annäherung in drei Schritten“ zu füllen. Menschliches Leben, so die entscheidende buddhistische Erkenntnis, sei bedingt durch Leiden. Und dieses Leiden habe seinen Ursprung im Anhaften an Sinneswahrnehmungen, Ansichten, Gewohnheiten und an die Vorstellung eines ewigen Ichs. Die Loslösung von diesen ermögliche die Überwindung des Leidens. Entscheidend sei hierfür spirituelle Praxis. Sie führe zur Erkenntnis des Ursprungs des Leidens und überwinde es, indem sie in den Geisteszustand der gleichmütigen Akzeptanz führe. Für Ramstedt ist hierbei entscheidend, dass dieser Zustand Früchte im Handeln trägt.
Glück als Weltverantwortung
Im letzten Abschnitt der Tagung sollte im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit den Referenten der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung Glück im Kontext der globalen Weltverantwortung zugeschrieben werden kann. Auch wenn Felix Baritsch, Mitglied des Rates der DBU und Podiumsleiter, immer wieder zum Thema zurückkehren wollte, wurde bereits in den einführenden Statements deutlich, dass der Glücksbegriff hier kaum gewinnbringend anzuwenden war. Deutlich häufiger war in den Aussagen die Rede von einer „Zusammenarbeit der Religionen“, der „Erarbeitung einer Ethik der Einfühlsamkeit“ oder den „Maximen von Mitgefühl und Weisheit“. Dass sich auch unter den buddhistischen Teilnehmenden die Konfliktlinie nicht entlang des Glücksbegriffs zog, wurde in der abschließenden Diskussion besonders deutlich. Stattdessen war es der Wertebegriff, den Kaltenbrunner in einem bewusst provozierenden und äußerst fragwürdigen Beitrag einbrachte. Er bedauerte, dass die europäischen Kirchen sich weniger wehrhaft zeigten, wo sie doch früher dazu in der Lage gewesen seien, ihre Werte mit Wort und Waffe zu verteidigen. Die Assoziation, dass die Gefahr für diese Werte v. a. vom Islam und der Kultur der Geflüchteten ausgehe, die aus islamisch geprägten Regionen nach Europa kommen, wurde nicht unmittelbar ausgesprochen, lag aber auf der Hand. Entschlossen stellten sich verschiedene buddhistische Teilnehmende gegen diese Aussagen und betonten, dass diese nichts mit ihrer Praxis des Buddhismus gemeinsam hätten. Die Diskussion machte einen Konflikt innerhalb der deutschsprachigen Buddhisten sichtbar, der sich an einer Debatte um Lama Ole Nydahl entzündet, dem rassistische und islamfeindliche Aussagen vorgeworfen werden.12 Für die christlichen Teilnehmenden können die Aussagen Kaltenbrunners eine Mahnung sein, die kritische Diskussion mit denjenigen zu suchen, die mit Verweis auf vermeintlich christliche Werte Europas versuchen, menschenfeindliche Aussagen zu legitimieren.
Die Abschlussdiskussion und der lebhafte und respektvolle Austausch an beiden Tagen verstärkte unter den Tagungsteilnehmenden den Wunsch, das Gespräch über die Tagung hinaus fortzuführen, um gemeinsam einen Weg zu finden, positiv in die Gesellschaft zu wirken Als Eindruck bleibt die offene und zugewandte Diskussionskultur, die vom ernsthaften Interesse an der Sichtweise des anderen geprägt war. Auch wenn die Differenz zwischen dem buddhistischen Verständnis von Glück mit seinem Ort in der Klarheit des Geistes und dem christlichen Verständnis von Glück als vollkommene Hinwendung zur Schöpfung nicht überwunden werden konnte, wurde deutlich, dass für beide Seiten das persönliche Glück seine Erfüllung nur im segensreichen Wirken in der Gemeinschaft finden kann. Glück kann sich also nicht zufriedengeben mit einem „Ist doch eigentlich alles ziemlich gut gelaufen bisher“ (von Rönne).
Sarah Eßel
Anmerkungen
- Heute ist leider schlecht/Entscheidungen. Das Glück ist ein entfernter Onkel. Eine Kolumne von Ronja von Rönne, www.zeit.de/kultur/2018-02/entscheidungen-moeglichkeiten-kloster-ronja-von-roenne (Abruf der Internetseiten: 21.3.2018).
- www.ezw-berlin.de/html/5_9681.php .
- Rönne, Kolumne (s. Fußnote 1).
- Abgedruckt in diesem Heft, 163-171.
- www.annabelle.ch/leben/gesellschaft/interview-ethnologin-annegret-braun-was-macht-uns-wirklich-glücklich-36570.
- Rönne, Kolumne (s. Fußnote 1).
- Vgl. Matthias Pöhlmann/Christine Jahn (Hg.), Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Gemeinschaften, Freikirchen, Gütersloh 2015, 776-785.
- Vgl. Bhante S. Dhammika, Was Sie schon immer über Buddhismus wissen wollten, München 22013, 63.
- MD 7/2016, 243-250. Da der Referent erkrankt war, wurde der Text durch Friedmann Eißler vorgestellt.
- Ebd., 245.
- Ebd., 249.
- Vgl. blog.buddhistische-sekten.de/ole-nydahl-diamantweg-islam-buddhismus-dbu.