Herbert Koch

Gott wohnt in einem Lichte ... Nahtoderfahrungen als Herausforderung für die Theologie

Herbert Koch, Gott wohnt in einem Lichte … Nahtoderfahrungen als Herausforderung für die Theologie, Gütersloh 2016, 143 Seiten, 16,99 Euro.

Gründliche, wirklich kundige Befassungen mit den sogenannten Nahtod-Erfahrungen (NTE) aus theologischer Perspektive haben Seltenheitswert. Die neueste Bucherscheinung auf diesem Gebiet ändert daran leider nichts. Das erstaunlich schmale Büchlein informiert über hinlänglich Bekanntes zum Thema, leidet dabei aber unter selektiver Wahrnehmung. Herbert Koch ist promovierter Theologe, der als Gemeindepfarrer, Gefängnisseelsorger und Superintendent gearbeitet hat. Sein Anliegen, dass sich Theologie und Kirche mehr mit dem Phänomen der Nahtod-Erfahrungen beschäftigen sollten, verdient Zustimmung. Hätte er nur selbst dies vertiefend getan! Dann wären ihm so manche Fehler nicht passiert, beispielsweise eine weitestgehende Vernachlässigung negativer Erfahrungsberichte sowie religionswissenschaftlicher Vergleiche. An die Stelle eines angemessenen Studiums von Quellen und Sekundärliteratur (auch der voriges Jahr zum Thema erschienene umfangreiche Band des Ethnologen Hans Peter Duerr würde dazugehören!) ist offenkundig die Rezeption von ausgewählten, zum Teil nicht ganz unproblematischen Büchern und Deutungen getreten. Aus denen könnte er auch seine – zumindest im Ansatz nicht ganz unberechtigten – Bezüge auf die Quantenphysik einschließlich des Phänomens der Nicht-Lokalität einerseits und auf die allerdings höchst zweifelhafte Möglichkeit, das Damaskus-Erlebnis des Paulus in den Kontext von NTE zu rücken, andererseits gewonnen haben: Sie sind nicht originell.

Wenn im Untertitel des Buches von NTE als „Herausforderung für die Theologie“ gesprochen wird, dann sollte man erwarten dürfen, dass der Autor die wichtigsten Veröffentlichungen und Stellungnahmen, die es tatsächlich zum Thema aus theologischer Sicht gibt, rezipiert hat und (zumindest in den Fußnoten) aufführt. Koch scheint aber weder die neuen Bücher von Joachim Nicolai über „Nahtoderfahrung und Religion“ (2015) und von Raimund Lachner und Denis Schmelter über „Nahtoderfahrungen: Eine Herausforderung für Theologie und Naturwissenschaft“ (2013) noch frühere Bücher oder Buchkapitel von Theologen wie Bertram Stubenrauch (2007), Ulrich Eibach (2006), Jürgen Moltmann (1995), Werner Thiede (1994), Hans Schwarz (1984), Hans Küng (1982) oder Johann Christoph Hampe (1975) zu kennen. Schon von daher ist sein Beitrag wissenschaftlich kaum weiterführend.

Aber auch in grundsätzlicher theologischer Hinsicht sind kritische Rückfragen angebracht. So ist dem Autor das sonntäglich gesprochene Glaubensbekenntnis suspekt: Er rät zum Verzicht auf das Credo in der Liturgie, und zwar insbesondere wegen der Rede von der Auferstehung der Toten und dem kommenden Gericht. Denn das Evangelium Jesu sei frei von jeder „Drohbotschaft“ gewesen – eine exegetisch doch recht zweifelhafte These. Auch Kochs Argument, die Apokalyptik der biblischen Zeiten sei heutzutage insgesamt obsolet geworden, stellt nur eine Teilwahrheit dar. Hierzu sei auf die nach wie vor wichtigen Ausführungen des 2014 verstorbenen Systematikers Wolfhart Pannenberg verwiesen, die erläutern, inwiefern der apokalyptische Sinnhorizont auch für den modernen Menschen sehr wohl relevante Fragen beantworten kann.

Kochs Versuch, mithilfe der spontanen und in der Tat vielfältig bezeugten NTE eine plausible, erforschte und weiter erforschbare Grundlage für in der Bibel berichtete Offenbarungen zu legen, scheitert bei näherer Betrachtung wiederum daran, dass die biblischen Prophezeiungen, Visionen und Erscheinungen bekanntlich von sehr unterschiedlicher Art sind und sich keineswegs häufig mit den typischen NTE-Strukturen in Einklang bringen lassen. Die eschatologische Problematik ist zu komplex, als dass sie sich mit dem Verweis auf Sondererfahrungen in Todesnähe beantworten ließe.

Im Recht ist Koch mit seinem Anliegen allerdings insofern, als sich NTE mit ihren oft – aber auch nicht immer – religiösen Konnotationen keineswegs so einfach vom Tisch fegen lassen, wie dies aus materialistischer Sicht oder auch aus der Perspektive der sogenannten Ganztod-Theologie erwünscht sein muss und allzu gern behauptet wird. Die merkwürdigen Erfahrungen in unmittelbarer Todesnähe stellen tatsächlich eine ernst zu nehmende Herausforderung dar, auf die weltanschauliche Skeptiker und esoterisch oder religiös Begeisterte gleichermaßen sorgfältig eingehen sollten. Nachgerade Theologie und Kirche dürfen es sich hier nicht zu einfach machen – weder in ablehnender Richtung, zumal fast die gesamte kirchliche Tradition von 19 Jahrhunderten gegen die Oberflächlichkeiten der modernen Ganztod-Theologie spricht, noch in Form einer vereinfachten Wahrnehmung der disparaten Phänomene oder gar in der Art ihrer naiv-frommen Bejahung als Quasi-Offenbarungen. Kochs Büchlein weist direkt und indirekt auf die komplexe Problematik und Herausforderung hin.


Werner Thiede, Regensburg