Gründer der St. Michaelsvereinigung verstorben
(Letzter Bericht: 6/1990, 166-169) Im Alter von 82 Jahren ist am 26. September 2002 Paul Kuhn, der Begründer des St. Michaelswerkes (Eigenbezeichnung; andere Bezeichnung: St. Michaelsvereinigung), im thurgauischen Dozwil (Schweiz) verstorben. Wie die Gemeinschaft auf ihrer Internetseite mitteilt, erlag er "nach jahrelangem Leiden seinen Altersbeschwerden."1 Paul Kuhn wurde am 10. Januar 1920 im schweizerischen Romanshorn geboren und wuchs im evangelisch-reformierten Glauben auf.2 Im Anschluss an die Sekundarschule absolvierte er eine Gärtnerlehre. Im Alter von 22 Jahren heiratete Kuhn. Aus der Ehe gingen eine Tochter und zwei Söhne hervor. Zwischen 1952 und 1962 betrieb Kuhn einen Laden für Gemüse, Zierfische und Singvögel. Während dieser Zeit wuchs bei ihm das Interesse an übersinnlichen Themen. Er bildete sich nebenberuflich zum Coué-Lehrer aus und begann über diese Autosuggestionsmethode, die der französische Apotheker und Psychotherapeut Emile Coué (1857-1926) entwickelt hatte, auch Vorträge zu halten. 1965 kam es zum Bruch mit der Coué-Bewegung, weil Kuhn zwei Frauen als Medien, durch die Engel und Heilige sprachen, in seine Beratungstätigkeit mit einbezogen hatte. Das Medium Maria Gallati (1919-1988), eine durch den traditionalistisch-marianischen Katholizismus geprägte Frau, übte einen nachhaltigen Einfluss auf das allmählich sich abzeichnende Glaubenssystem aus. 1971 entstand das heutige Zentrum, der "Gnadenort", in Dozwil. Hier hielt Kuhn als "Priester" der Gemeinschaft regelmäßig "Messfeiern" ab, die von Anhängern aus der Deutschschweiz und dem benachbarten Ausland besucht wurden. 1974 tritt die Gemeinschaft offiziell unter dem Namen Ökumenische St. Michaelsvereinigung auf. Kuhn gilt als Reinkarnation des Apostels Paulus. In den achtziger Jahren spielten apokalyptische Botschaften für die Gruppe eine immer größere Rolle. Nach dem Tod des Mediums Gallati am 16. Januar 1988 kam es zur Krise. Die apokalyptischen Töne nahmen in den Botschaften zu. Der Weltuntergang wurde für den 8. Mai 1988 erwartet. An diesem Tag kam es in Dozwil zu Krawallen. Die Autorität der prophetischen Personen war durch die Fehlprognose zutiefst erschüttert worden. Neue Prophetinnen begannen sich hervorzutun, so etwa Monika Hofer aus Bayern. Sie stand bereits vor Gallatis Tod im Kontakt mit der Gruppe, verließ sie aber Anfang der 90er Jahre wieder. Paul Kuhn legte das Werk Anfang der 90er Jahren in andere Hände. Seither leitet der pensionierte Kantonsschullehrer Ulrich Aeberhard, der sich als Evangelist "Matthäus" betrachtet, die Gemeinschaft. Er soll seit mehr als zehn Jahren über automatisches Schreiben, das die Gemeinschaft als "Geistgeführtes Schreiben" betrachtet, neue Offenbarungen empfangen. Seit den gravierenden Ereignissen von 1988 hat sich die Gemeinschaft stärker dem missionarischen Anliegen geöffnet. Die neuoffenbarerische Gemeinschaft ist vor allem im deutschsprachigen Bereich aktiv und zählt rund 4000 Anhänger. Die Naherwartung spielt nach wie vor eine große Rolle. Allerdings ist nicht mehr vom Weltuntergang, sondern von der "Zeitenwende" die Rede. Im Internet heißt es: "Auch die Offenbarungen des Gnadenortes St. Michael beinhalten Aussagen zur Zeitenwende. Zeitenwende bedeutet aber nicht Weltuntergang. Die Offenbarungen Gottes aus dem Gnadenort St. Michael erläutern die Zeitenwende als Erneuerung der heutigen krisenbelasteten, oft chaotischen Welt. Sie bewirken eine Rückbesinnung des Menschen auf ursprüngliche Werte, die Entthronung des materialistischen Denkens. Sie gebieten dem zerstörerischen Handeln an der Schöpfung Einhalt und fördern das Zurückfinden des Menschen zu ethischen und moralischen Werten und zur Einheit im Glauben in Harmonie mit den kosmischen Gesetzen." Der Pressesprecher des St. Michaelswerkes, Thomas Graber, hat inzwischen angekündigt, die Vereinigung werde demnächst einen Nachruf auf Paul Kuhn veröffentlichen, "der den Medien unter der Bedingung zur Verfügung gestellt wird, dass sie die Fehler der Vergangenheit endlich ruhen lassen."
Anmerkungen
1Vgl. hierzu die Internetpräsenz der Gemeinschaft: www.benedicite.ch und www.st-michael.ch.
2Weiterführende Informationen: Joachim Müller, Art. Michaelsvereinigung, in: H. Gasper/J. Müller/F. Valentin (Hg.), Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, Freiburg i. Br. 62000, 678-680; ders., Neue Botschaften des Himmels? Die Michaelsvereinigung in Dozwil, Fribourg 1994; Oswald Eggenberger, Die Kirchen, Sondergruppen und religiösen Vereinigungen, Zürich 1994, 197f.; Hans-Jürgen Ruppert, Okkultismus. Geisterwelt oder neuer Weltgeist?, Wiesbaden 1990, 125-127- Kritische Informationen im Internet: www.relinfo.ch/dozwil.
Matthias Pöhlmann