Islam

Gründung einer liberalen Moschee in Deutschland

Die Juristin und Menschenrechtsanwältin Seyran Ateş (Ates) gründet in Berlin zusammen mit dem Oldenburger Neurologen Mimoun Azizi eine liberale Moscheegemeinde. Die Eröffnung soll am 16. Juni 2017 mit dem Freitagsgebet erfolgen, möglicherweise wird man sich anfangs in einem Kirchenraum in Berlin-Mitte treffen. Die „Ibn Rushd-Goethe-Moschee gGmbH“ wird für alle Muslime offen sein, für Sunniten, Schiiten, Aleviten, auch Schwule und Lesben seien willkommen. Das Freitagsgebet soll jeweils von einer Imamin und einem Imam vorgetragen werden. Männer und Frauen werden gleichberechtigt in einem Raum beten. Zur Eröffnung ist Elham Manea als Vorbeterin vorgesehen, eine jemenitisch-schweizerische Politologin, die die Offene Moschee in der Schweiz mitgründete und die neue Berliner Moschee als Mitgesellschafterin unterstützt. Zu den Gesellschaftern gehören auch Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, und Saïda Keller-Messahli, Gründerin des „Forums für einen fortschrittlichen Islam“ in der Schweiz.1

Ziel der Neugründung ist die Schaffung eines religiösen Raumes für die vielen Musliminnen und Muslime, die sich in den existierenden Moscheegemeinden nicht zu Hause fühlen und einen Ort des Gebets suchen, aber auch einen Ort des Austauschs über moderne Formen des Islam, beispielsweise über ein modernes Frauenbild oder eine geschlechtergerechte Auslegung der islamischen Quellen. In der neuen Moschee sollen religiöse, kulturelle und politische Veranstaltungen stattfinden, der Dialog soll mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Religionen, aber auch mit Nichtreligiösen und Atheisten geführt werden. Hinter der Neugründung steht auch die Erkenntnis, dass liberale Muslime in der politischen Wahrnehmung kaum oder gar nicht vorkommen. Die Deutungshoheit über den Islam wird von den offiziellen Vertretungen und Verbänden beansprucht, von denen sich liberale Muslime nicht vertreten fühlen. „Die meisten Moscheen weltweit sind heute konservativ bis fundamentalistisch“, schrieb Ateş in der „Zeit“. „Männer und Frauen beten in getrennten Räumen. Die Männer natürlich im schönen Hauptraum, die Frauen hinten, hinter einem Paravent, oder in einem lieblosen Nebenraum. Selbst in der großen Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul dürfen wir den großen Gebetsraum nicht betreten. Ein Schild zeigt eine durchgestrichene Frau. An keinem anderen Ort fühle ich mich derart diskriminiert wie in Moscheen. Ist meine Religion Männersache?“ Doch „am Hofe des Propheten beteten Männer und Frauen gemeinsam, die Verhüllung der Frauen kam später. Warum dürfen wir heute nicht zusammen beten? Warum dürfen Frauen kein Freitagsgebet leiten? Aus Angst und aus falschem Traditionsstolz bleibt in muslimischen Gemeinden vieles unhinterfragt.“2

In der Tat ist eine Gegenbewegung zu konservativen und fundamentalistischen Strömungen wünschenswert. Wichtige Impulse gibt es, siehe Muslimisches Forum in Deutschland, Freiburger Deklaration, Liberal-Islamischer Bund und andere. Geschützte und doch öffentlich wirksame Orte, an denen islamische Reformansätze, moderne Interpretationen und der Islam in Europa offen diskutiert und vor allem mit Leben gefüllt werden, sind dringend notwendige Zukunftswerkstätten.

Völlig neu sind „liberale“ Moscheen nicht, man muss allerdings danach suchen. Die Muslimische Gemeinde Rheinland ist so eine Formation, mitgegründet von der SPD-Politikerin Lale Akgün; die Kölnerin Rabeya Müller fungiert als Imamin (wobei Vorsicht geboten ist, Imam und Imamin wie Pfarrer und Pfarrerin zu verstehen, da es im Islam keine Ordination gibt, auch nicht für Männer.) Imaminnen sind nichts gänzlich Neues. 2005 leitete Amina Wadud aus New York ein Freitagsgebet, was in der islamischen Welt für Empörung sorgte. Über Sherin Khankan in Dänemark wurde unlängst berichtet, in Deutschland ist seit vielen Jahren Halima Krausen bekannt. In England macht das „Inclusive Mosque“-Projekt ebenfalls ein zusätzliches, gemischtgeschlechtliches Angebot zu den traditionellen Moscheegemeinden.3

Auch in der islamischen Welt gibt es schon längst (vereinzelt) Predigerinnen, etwa in Algerien oder Marokko. Die Türkei schickt schon seit vielen Jahren weibliche „Imame“ nach Deutschland. Allerdings richten sich diese „Murshidat“, wie die Predigerinnen genannt werden, nur an ein ausschließlich weibliches Publikum.4

Jetzt also kommt, von medialer Aufmerksamkeit begleitet, zu den rund 100 Berliner Moscheegemeinden verschiedener Richtungen eine liberale Moschee hinzu. Pate stehen mit ihren Namen der andalusische Arzt und Philosoph Ibn Rushd, im Westen besser bekannt als Averroës (1126 – 1198), und Johann Wolfgang von Goethe, der sich gelegentlich positiv zum Islam geäußert hat.

Seyran Ateş hat türkisch-kurdische Wurzeln und möchte langfristig selbst Imamin werden. Ihr Traum ist es, „eine demokratietreue Moschee in Berlin zu schaffen“. Dabei rechnete sie nicht damit, dass sie selbst diese Aufgabe übernehmen würde. Für Aufsehen sorgte die Frauenrechtlerin mit ihren Publikationen, darunter „Der Multikulti-Irrtum“ (2007) und „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ (2009). Ihr neuestes Buch wird am Eröffnungstag der liberalen Moschee erscheinen: Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete, Berlin 2017.


Friedmann Eißler


Anmerkungen

1 Siehe auch „Weitere Initiative säkularer Muslime: Freiburger Deklaration“, in: MD 1/2017, 24-26).
2 www.zeit.de/2016/22/islam-reform-liberale-moscheen-berlin .
3 Vgl. Abdul-Ahmad Rashid, Frauen als Vorbeterinnen. Liberaler Islam in London, www.deutschlandfunk.de/liberaler-islam-in-london-frauen-als-vorbeterinnen.886.de.html?dram:article_id=384100
4 So ist auch die Ankündigung Ägyptens vom Februar, 144 Frauen offiziell zur Predigt in den Moscheen zuzulassen, nicht gerade eine „Weltsensation“, wie der ORF meinte, weil zum ersten Mal Imaminnen ihren 55000 lizenzierten männlichen Kollegen Konkurrenz machten (http://religion.orf.at/stories/2828886), aber doch ein Schritt in Richtung Reform und bessere Bildung auch für Frauen.