Grundlagen des Äußerungsrechts
Rechtliche Beurteilung kirchlicher Sektenwarnungen
Immer wieder werden die evangelische und die katholische Kirche bzw. ihre Mitarbeiter von Sekten oder deren Mitgliedern auf Unterlassung2 von (negativen) Äußerungen über die entsprechenden Glaubensgemeinschaften in Anspruch genommen. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen sollen im Folgenden erörtert werden.
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Das Äußerungsrecht hat vornehmlich die Aufgabe, Spannungen zwischen verschiedenen grundrechtlichen Positionen aufzulösen. Es ist durch die Abwägung kollidierender Freiheitsrechte geprägt. Während der Äußernde sich auf seine Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG und gegebenenfalls – insbesondere im Fall von Äußerungen durch Kirchenmitarbeiter – auch auf seine Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG berufen kann, bezieht sich der von einer Äußerung (negativ) Betroffene auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG sowie gegebenenfalls – wenn es um negative Äußerungen über Glaubensgemeinschaften geht – ebenfalls auf seine Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG. Ein derartiger Konflikt verschiedener Grundrechte kann nur durch eine Abwägung der konfligierenden Positionen im Einzelfall gelöst werden. Denn kein Grundrecht – mit Ausnahme der Menschenwürde – besteht schrankenlos. Alle Grundrechte können zugunsten anderer Rechte beschränkt, d. h. ihre Inanspruchnahme kann eingeschränkt werden. Eine für alle Fälle geltende Patentlösung, welches Recht Vorrang genießt, gibt es nicht. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, generell darzulegen, welche Äußerungen über Sekten zulässig und welche unzulässig sind. Der vorliegende Beitrag kann lediglich einige Leitlinien an die Hand geben, mit deren Hilfe eine bessere Einschätzung der (Un-)Zulässigkeit von Äußerungen erfolgen kann. Um eine Einschätzung vornehmen zu können, ist die Kenntnis der betroffenen Grundrechte unerlässlich.
Meinungsfreiheit: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist für ein freiheitliches, demokratisches Gemeinwesen konstituierend.3 Erst die Meinungsfreiheit ermöglicht die geistige Auseinandersetzung, die für das Funktionieren eines demokratischen Systems unabdingbar ist.4 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG gewährt daher das Recht, eine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, unabhängig von dem benutzten Medium.5 Der Begriff der Meinung ist grundsätzlich weit zu verstehen.6 Er umfasst im Kern die Äußerung und Verbreitung von Werturteilen. Dabei handelt es sich um Aussagen, die durch ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens geprägt sind.7 Sie sind dem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich, nicht als richtig oder falsch zu qualifizieren. Meinungsäußerungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit unabhängig von ihrer inhaltlichen Qualität. Es kommt nicht darauf an, ob sie wertvoll oder wertlos, rational oder emotional, begründet oder grundlos, nützlich oder schädlich sind.8 Der Schutz der Meinungsfreiheit schließt die Form der Meinungsäußerung ein9, weshalb auch polemische oder beleidigende Äußerungen in den Schutzbereich fallen.10 Auch Tatsachenbehauptungen sind unter bestimmten Voraussetzungen vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG umfasst. Es handelt sich dabei um Aussagen über Geschehnisse der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Wahrheitsbeweis zugänglich sind.11 Sie stehen unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG, wenn und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind oder eine untrennbare Verknüpfung mit der Äußerung einer Meinung besteht.12 Tatsachenbehauptungen gelangen somit (erst) über die „Brücke der Meinung“ in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.13 Als unwahr erwiesene oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst, da unrichtige Informationen nicht zur Meinungsbildung beitragen können.14 Die in Art. 5 GG garantierten Rechte sind sogenannte „Jedermann-Rechte“. Ihr Schutz ist nicht abhängig von Alter, Geschäftsfähigkeit oder Nationalität. Auch juristische Personen können sich auf Art. 5 GG berufen.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, ebenfalls ein „Jedermann-Recht“, ist ein von der Rechtsprechung entwickelter und unter besonderen Schutz gestellter Teilbereich der Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG15. In Konkretisierung der Würde des Menschen gewährleistet es die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.16 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das als sogenanntes Rahmenrecht bezeichnet wird, gewährt Schutz jedoch nur in den Grenzen der Sozialgebundenheit des Einzelnen.17 Das bedeutet, dass nicht jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht – beispielsweise durch eine negative Äußerung – rechtswidrig ist, sondern vielmehr stets eine Güter- und Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als dem Recht, in das eingegriffen wird, und dem „eingreifenden“ Recht – meist Art. 5 GG – vorzunehmen ist. Nur wenn bei der Abwägung die persönlichkeitsrechtlichen Belange stärker ins Gewicht fallen als die von der Meinungsfreiheit geprägten Belange, ist eine Äußerung unzulässig. Die Rechtsprechung hat im Laufe der Jahre einzelne Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt, die sich mittlerweile zu festen Fallgruppen etabliert haben. Hier sollen lediglich die mit Blick auf Sektenwarnungen besonders relevanten Fallgruppen dargestellt werden, nämlich der soziale Geltungsanspruch und die Ehre. Der Einzelne soll grundsätzlich selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll.18 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen der eigenen Person in der Öffentlichkeit, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind.19 Der Schutz gilt allerdings nicht unbeschränkt. Der Einzelne hat keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte.20 Es ist dem menschlichen Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft immanent, dass der Einzelne und sein Verhalten auch ohne sein Wissen und Wollen von anderen erfahren und geschildert werden.21 Werden einer Person jedoch beispielsweise Äußerungen in den Mund gelegt, die diese weder wörtlich noch sinngemäß getätigt hat, ist der selbst definierte soziale Geltungsanspruch verletzt.22 Eng mit dem Recht auf den sozialen Geltungsanspruch verbunden ist das Recht der persönlichen Ehre.23 Es schützt insbesondere vor Herabsetzung und Kränkung.24 Geschützt sind die „innere Ehre“, d. h. der dem Einzelnen aufgrund seiner Menschenwürde zukommende Achtungsanspruch, sowie die „äußere Ehre“, d. h. der gute Ruf innerhalb der Gemeinschaft.25 Während früher der Ehrschutz relativ stark ausgeprägt war, muss er heute oftmals hinter der Meinungsfreiheit zurücktreten, da die Rechtsprechung zunehmend anerkennt, dass auch die Form einer Äußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit unterliegt.26 Wegen der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen als auch für den Bestand der Gemeinschaft ist der Einsatz starker Ausdrücke, polemisierender Wendungen und überspitzter und plakativer Wertungen nicht unzulässig, solange der Kritiker hierdurch nur dem eigenen Standpunkt Nachdruck zu verleihen sucht.27 Insbesondere wer sich im Wirtschaftsleben oder in der (Verbands-)Politik betätigt, muss sich in weitem Umfang der Kritik aussetzen.28
Glaubensfreiheit: Art. 4 GG schützt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Da Religion und Weltanschauung in gleicher Weise geschützt werden, bedürfen sie keiner Abgrenzung. Beiden liegt eine Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft bzw. zum Ziel menschlichen Lebens zugrunde.29 Geschützt ist neben der inneren Freiheit, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu bilden und zu haben, auch die äußere Freiheit, diese Überzeugungen bzw. Entscheidungen zu bekennen und zu verbreiten. Geschützt sind insbesondere kultische Handlungen sowie religiöse oder weltanschauliche Feiern und Gebräuche. Geschützt ist ferner die Gründung religiöser oder weltanschaulicher Vereinigungen ebenso wie die Werbung für einen Glauben oder das Abwerben von einem anderen Glauben. Geschützt wird weiter die religiöse Erziehung von Kindern, die Einhaltung der Sonntags- bzw. Sabbatruhe, das Tragen besonderer Kleidung bzw. Haartracht sowie das Begräbnis.30Nicht nur der Einzelne, sondern auch eine religiöse oder weltanschauliche Vereinigung kann sich auf den Schutz des Art. 4 GG berufen. Vom Schutzbereich erfasst werden u. a. die eigene Organisation, Normensetzung und Verwaltung ebenso wie nach außen gerichtete Tätigkeiten, z. B. der Bau von Kirchen, Moscheen, das Glockengeläut, der muslimische Gebetsruf oder das Verwalten eines Friedhofs.31
Rechtsweg
Nachdem geklärt ist, welche Rechtspositionen im Fall von (negativen) Äußerungen der Kirchen und ihrer Mitarbeiter über Sekten und deren Mitglieder eine Rolle spielen, stellt sich die Frage, welche Gerichte – Verwaltungsgerichte oder Zivilgerichte – für die Klärung etwaiger äußerungsrechtlicher Streitigkeiten zwischen Kirchen und Sekten zuständig sind. Dass diese Frage nicht klar zu beantworten ist – und von den Gerichten auch unterschiedlich beantwortet wird –, liegt an der besonderen Stellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Damit werden sie – anders als beispielsweise private Unternehmen – in eine gewisse Nähe zum Staat gerückt. Daher genießen Kirchen auch das Privileg, in bestimmten Bereichen hoheitlich tätig werden zu dürfen, sich also in ein Über-Unter-Ordnungsverhältnis zum Bürger zu begeben (z. B. bei der Erhebung von Kirchensteuern).Diese besondere Stellung der Kirchen führt dazu, dass die Gerichte zum Teil davon ausgehen, dass kirchliche Mitarbeiter, insbesondere Sektenbeauftragte, hoheitlich handeln, wenn sie in Wahrnehmung ihrer Funktion Äußerungen über Sekten tätigen. Entsprechend halten sie den Verwaltungsrechtsweg, der – vereinfacht ausgedrückt – für Streitigkeiten zwischen Bürgern und Staat gegeben ist, für eröffnet.32 Die Gegenauffassung sieht den Zivilrechtsweg, der – ebenfalls vereinfacht ausgedrückt – für Streitigkeiten zwischen Bürgern, also Gleichgeordneten, eröffnet ist, als gegeben33, da die Kirchen bei Äußerungen über Sekten lediglich wie jeder Bürger von ihren Grundrechten aus Art. 4 und 5 GG Gebrauch machten.In der rechtlichen Prüfung ergeben sich durch diese Differenzierung nur wenige Unterschiede (siehe dazu unten), sodass die Frage nur von geringer praktischer Relevanz ist. Dies gilt zumal für die Kirchen, da diese regelmäßig nicht diejenigen sind, die die Gerichte anrufen – und daher nicht das Gericht wählen müssen, vor welches sie ziehen –, sondern diejenigen sind, gegen die gerichtlich vorgegangen wird, sodass sie allenfalls gegen die Zuständigkeit des von der Gegenseite angerufenen Gerichts protestieren können. Da das Gericht, sofern es sich für unzuständig hält, jedoch an das zuständige Gericht verweisen muss34, können die Kirchen auch dadurch einer rechtlichen Auseinandersetzung nicht entgehen.
Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs 35
Vor den Zivilgerichten: In den meisten Fällen machen die betroffenen Sekten und / oder ihre Mitglieder Unterlassungsansprüche geltend, d. h. die Forderung, dass eine bestimmte Äußerung künftig nicht mehr wiederholt (bzw. gar nicht erst getätigt) wird. Dieser Anspruch wird gestützt auf §§ 823, 1004 BGB36. Danach müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht: Diese Voraussetzung ist immer schon dann zu bejahen, wenn sich eine Äußerung auf eine bestimmte Person bezieht und diese dadurch in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (negativ) berührt wird. Nur ganz ausnahmsweise wird dieses Tatbestandsmerkmal zu verneinen sein, wenn und weil jemand von einer (negativen) Äußerung nicht betroffen ist. So hatte der Verwaltungsgerichtshof München37 über den Antrag einer Glaubensgemeinschaft zu entscheiden, die sich dagegen gewandt hatte, dass über die der Glaubengemeinschaft vorstehende „Prophetin“ behauptet worden war, sie sei öfter in psychiatrischer Behandlung gewesen. Hier könnten Zweifel an der Betroffenheit der Glaubensgemeinschaft bestehen, da sich die Äußerung nicht direkt auf diese, sondern lediglich auf die ihr vorstehende „Prophetin“ bezog. Dennoch bejahte der Verwaltungsgerichtshof München die Betroffenheit der Glaubensgemeinschaft, da schon durch die Bezeichnung als „Prophetin“ statt der Verwendung des bürgerlichen Namens ein Bezug zu der Glaubensgemeinschaft hergestellt worden sei, sodass auch die Glaubensgemeinschaft durch die negative Äußerung betroffen sei.
b) Rechtswidrigkeit des Eingriffs: Wie oben dargestellt, ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur dann rechtswidrig, wenn bei der Abwägung der von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützten Belange mit den durch die Meinungsfreiheit geschützten Belangen erstere überwiegen. Für diese Abwägung hat die Rechtsprechung einige Leitlinien aufgestellt:• Meinungsäußerungen sind grundsätzlich zulässig, d. h. reine Wertungen können regelmäßig nicht untersagt werden.38 Eine Ausnahme ist bei Schmähkritik gegeben, d. h. bei Kritik, die nicht nur scharf, schonungslos oder ausfällig, aber dennoch sachbezogen ist, sondern deren (alleiniger) Zweck in der vorsätzlichen Ehrkränkung liegt.39 Der Begriff der Schmähkritik ist zum Schutz der Meinungsfreiheit allerdings eng auszulegen.40
• Wahre Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich zulässig. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn wahre Tatsachen aus einem Bereich berichtet werden, über den grundsätzlich nicht berichtet werden darf, z. B. über die Intimsphäre eines Menschen, oder wenn der drohende Persönlichkeitsschaden außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.
• Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind immer unzulässig, da Art. 5 GG die Lüge nicht schützt.
• Tatsachenbehauptungen, bei denen zum Zeitpunkt der Äußerungen nicht klar ist, ob sie wahr oder falsch sind, bedürfen einer differenzierteren Betrachtung. Grundsätzlich liegt die Beweislast für die Wahrheit bei diffamierenden Äußerungen beim Äußernden. Allerdings findet eine Umkehr der Beweislast statt, wenn der Äußernde nachweist, dass er sorgfältig und ordnungsgemäß recherchiert hat und das Ergebnis seiner Recherchen bezogen auf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit präsentiert.41 Kann der Äußernde diesen Nachweis führen, obliegt dem Betroffenen der Nachweis der Unwahrheit der Äußerung.Die Gerichte legen für den Nachweis der Erfüllung der Sorgfaltspflicht bei der Recherche z. T. für die Kirchen engere Maßstäbe an als bei Äußerungen von Privatpersonen. Begründet wird dies mit der Stellung der Kirchen als öffentlich-rechtliche Körperschaften, von denen höhere Rechtstreue erwartet werden könne.42 Daher seien an Kirchen höhere Sorgfaltsanforderungen zu stellen als an den „Normalbürger“. Kirchen seien besonders dazu aufgerufen, die Grundrechte Dritter – hier Art. 4 GG und Art. 2 GG – zu achten und zu schützen.
c) Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr: Für einen Unterlassungsanspruch muss zudem die Gefahr der Wiederholung der Äußerung bzw. der erstmaligen Äußerung bestehen. Ist eine rechtswidrige Äußerung erst einmal getätigt, besteht die dadurch begründete Gefahr, dass sie wiederholt wird. Diese Gefahr kann grundsätzlich nur durch eine sogenannte strafbewehrte Unterlassungserklärung – d. h. eine Erklärung, in der der Äußernde sich verpflichtet, eine bestimmte Äußerung zu unterlassen und für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu zahlen – ausgeräumt werden.Ist eine Äußerung noch gar nicht getätigt, muss die Gefahr bestehen, dass dies geschieht, d. h. es müssen Indizien dafür vorliegen, dass eine bestimmte Äußerung getätigt werden soll. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn jemand von einer ihn betreffenden bevorstehenden Veröffentlichung erfährt.
d) Anspruchsverpflichteter: In Anspruch genommen werden kann immer der Äußernde selbst. Gegebenenfalls muss daneben auch die Kirche dafür einstehen, wenn sie sich die konkreten Äußerungen zurechnen lassen muss.Vor den VerwaltungsgerichtenDer öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, dessen Herleitung umstritten43, dessen Existenz jedoch unbestritten ist, hat im Wesentlichen dieselben Voraussetzungen wie der zivilrechtliche Anspruch. Der erforderliche drohende oder noch andauernde Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht liegt regelmäßig in einem Eingriff in Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 4 GG. Dieser Eingriff muss durch hoheitliches Handeln geschehen. Ein hoheitliches Handeln kann dann in einer Äußerung eines kirchlichen Mitarbeiters gesehen werden, wenn und weil das Handeln der Kirchen als hoheitlich eingestuft wird, da es sich bei ihnen um öffentlich-rechtliche Körperschaften handelt (siehe dazu oben). Hinsichtlich der Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr ergeben sich keine Unterschiede zum zivilrechtlichen Anspruch. Auch ist im Rahmen der Rechtswidrigkeit wie beim zivilrechtlichen Anspruch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Mit Blick auf den Anspruchsverpflichteten ergibt sich allerdings eine Besonderheit, da hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs stets nur die Kirchen verpflichtet sind, nicht aber die sich äußernden Mitarbeiter. Nur der Hoheitsträger, nicht jedoch der kirchliche Mitarbeiter selbst haftet im öffentlich-rechtlichen Sinne, da das Handeln der kirchlichen Mitarbeiter stets der Kirche als Hoheitsträger zugerechnet wird.
Fazit
Solange sich Kirchen und ihre Mitarbeiter im Bereich reiner – nicht schmähender – Meinungsäußerung halten, ist die Gefahr einer (erfolgreichen) Inanspruchnahme gering. Werden Tatsachenbehauptungen aufgestellt, sollte gerade in Anbetracht der erhöhten Anforderungen, die an Kirchen gestellt werden, besondere Sorgfalt bei der Recherche aufgewendet werden. (Nur) dann ist das Risiko einer (erfolgreichen) Inanspruchnahme überschaubar.
Judith Müller
Anmerkungen
1 Der Text beruht auf einem Vortrag im Rahmen des „Curriculums Religions- und Weltanschauungsfragen“ (berufsbegleitende Fortbildung für Pfarrerinnen und Pfarrer) der EZW am 10.2.2010 in der Bundesakademie für Kirche und Diakonie, Berlin.
2 Seltener werden Schadensersatz, Richtigstellung oder Gegendarstellung begehrt. Diese Ansprüche können hier aufgrund des begrenzten Umfangs der Ausführungen nicht dargestellt werden.
3 BVerfGE 62, 230, 247.
4 BVerfGE 5, 85, 205; 7, 198, 208; 12, 113, 125; Jarass / Pieroth, GG, 102009, Art. 5 Rdnr. 2.
5 BVerfGE 85, 1, 11ff.
6 BVerfGE 61, 1, 9.
7 BVerfGE 61, 1, 8; Grimm, NJW 1995, 1697, 1698.
8 Vgl. BVerfGE 30, 336, 347; 61, 1, 8; 93, 266, 289; Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 3; Maunz / Dürig / Herzog, GG, 54. Ergänzungslieferung, Januar 2009, Art. 5 Abs. I, Abs. II Rdnr. 55 e.
9 BVerfGE 54, 129, 138f; Grimm, NJW 1995, 1697, 1698; Wenzel / Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 52003, 1. Kapitel Rdnr. 18.
10 BVerfGE 61, 1, 7f.
11 Vgl. Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 5 m.w.N.; Merten, DÖV 1990, 761f.
12 BVerGE 61, 1, 8f; 94, 1, 7.
13 Grimm, NJW 1995, 1697, 1699.
14 BVerfGE 61, 1, 8; 90, 241, 247f m.w.N.; Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 4.
15 Art. 2 Abs. 1 GG: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Art. 1 Abs.1 GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
16 BVerfG, NJW 1980, 2070.
17 Wenzel / Burkhardt, a.a.O., 5. Kapitel Rdnr. 9f.
18 BVerfGE 63, 131, 142; 35, 202, 220; 54, 148, 155; vgl. Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 2 Rdnr. 42; Damm / Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 32008, Rdnr. 30ff.
19 BVerfGE 99, 185, 194; Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 2 Rdnr. 42.
20 BVerfGE 99, 185; Wenzel / Burkhardt, a.a.O., 5. Kapitel Rdnr. 20.
21 Damm / Rehbock, a.a.O., Rdnr. 31.
22 BVerfGE 54, 148, 155f; Damm / Rehbock, a.a.O., Rdnr. 32.
23 BVerfGE 54, 208, 217; 93, 266, 290; 97, 125, 147; Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 2 Rdnr. 43.
24 BVerfGE 82, 272, 282; Prinz / Peters, Medienrecht, 1999, Rdnr. 89.
25 BGHSt 1, 288, 289; 11, 67, 70f; 36, 145, 147, 3028; Prinz / Peters, a.a.O., Rdnr. 89.
26 BVerfGE 60, 234; Wenzel / Burkhardt, a.a.O., 5. Kapitel Rdnr. 96.
27 BGH NJW 1981, 2117; Wenzel / Burkhard, a.a.O., 5. Kapitel Rdnr. 96.
28 BGH NJW-RR 1995, 301, 304; Wenzel / Burkhardt, a.a.O., 5. Kapitel Rdnr. 96.
29 Jarass / Pieroth, a.a.O., Art. 4 Rn. 8.
30 Ebd., Art. 4, Rn. 10.
31 Ebd., Art. 4, Rn. 15.
32 So VGH München, NVwZ 1994, 787ff; VGH München, VGHE BY 59, 104ff.
33 So OVG Bremen, NVwZ 1995, 793; OLG Bremen NVwZ 2001, 957ff.
34 Vgl. § 17a GVG.
35 Beispiele aus der Rechtsprechung zu „Sektenwarnungen“ durch Kirchen sind u. a. BVerwG, Beschluss vom 3.4.2006 – 7 B 95.05; OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1056; OLG München, Urteil vom 17.4.2008 – 1 U 5608/06; OLG München, Urteil vom 8.2.2002 – 21 U 3532/01; BVerfG, NVwZ 1994, 159; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 1479; OLG Hamburg, NJW 1992, 2035.
36 § 823 Abs. 1 BGB: Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.§ 1004 Abs. 1 BGB: Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
37 VGH München, Beschluss vom 5. September 2008 – 7 CE 08.2158.
38 Als Meinungsäußerung hat die Rechtsprechung beispielsweise die Äußerung angesehen: „Rechtlich nicht hinreichend geklärt ist bisher die Frage der Verfassungswidrigkeit der U...-Schule, für die es deutliche Hinweise gibt“ (VGH München, KirchE 47, 372ff); auch die Bezeichnung als „Nazi-Sekte“ (OLG Hamburg, NJW 1992, 2035), „vermeintliche Sekte“ (OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 1379ff) sowie ein Boykottaufruf (OLG München, r + s 2004, 214ff) wurden als Meinungsäußerungen angesehen.
39 BGH, NJW 1974, 1762.
40 BVerfG, NJW 1993, 1462.
41 Palandt, BGB, 69. Aufl., § 823, Rn. 101 a.
42 Vgl. BGH, NJW 2003, 1308; VGH München, NVwZ-RR 2006, 587.43 Z. T. wird auf die Abwehrfunktion der Grundrechte abgestellt, z. T. auf das Rechtsstaatsprinzip, z. T. werden §§ 823, 1004 BGB analog angewendet.