Hamer gegen die Universität Tübingen
(Letzter Bericht: 5/2006, 186ff) Am 25.6.2010 verhandelte das Verwaltungsgericht Sigmaringen eine Klage des 1935 geborenen Gründers der Germanischen Neuen Medizin (GNM), Ryke Geerd Hamer, gegen die Universität Tübingen. Gegenstand war die 1981 erstmals eingereichte Habilitation Hamers, in der er die Prinzipien der GNM darlegte, nach denen nicht nur Karzinome, sondern sämtliche Krankheiten zu behandeln seien. Der Kläger beantragte, die Universität zur Habilitation zu verurteilen sowie ihm eine Universitätsklinik zur Verfügung zu stellen, in der die GNM unter seiner Leitung anzubieten sei.
Der Verfahrensgang seit 1981 umfasste zahlreiche frühere Klagen, Berufungen und Entscheidungen und ist nur noch von juristischen Experten nachvollziehbar. Der Berichterstatter der Kammer benötigte eine halbe Stunde, um ihn in knapper Form darzulegen. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 17.12.1986 hatte der Universität auferlegt, die Ablehnung von Hamers Habilitation zu überprüfen, da sie von einem formal unzuständigen Gremium getroffen worden sei. Ausgehend davon versucht der Kläger seither, die Universität zur Habilitation zu zwingen. Allerdings existieren spätere Entscheidungen, zum Beispiel vom 8.2.2001, nach denen die Grundlage für eine Habilitation durch die strafrechtlichen Verurteilungen Hamers entfallen sind, darunter ein Urteil des Amtsgerichts Köln von 1997, mit dem er wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt wurde. Hamers Versuche, diese Entscheidung anzufechten, blieben erfolglos (Urteil vom 9.6.2005). Die Universität Tübingen reichte eine Vollstreckungsabwehrklage ein, um Anträge Hamers auf Vollstreckung der Entscheidung von 1986 zu unterbinden. Darauf reagierte dieser mit einer Widerklage, die nun am 25.6.2010 verhandelt wurde.
Der Saal – der größte in Sigmaringen – war mit ca. 35 Anhängerinnen und Anhängern Hamers voll besetzt. Vertreten wurde dieser durch seinen Vertrauten Helmut Pilhar und einen weiteren Anhänger. Die Universität hatte keine Vertretung geschickt. Die Kammer hörte sich die Ausführungen der Bevollmächtigten Hamers geduldig an, ließ aber keine Beiträge aus dem Saal zu. Im Wesentlichen wurde die bekannte Verschwörungstheorie referiert: Die Universität habe insgeheim Hamers Thesen längst geprüft und für richtig befunden, mache dies aber nicht publik, um die Interessen der Pharmaindustrie zu wahren. Dabei stünde sie unter dem Einfluss des Weltjudentums, ebenso wie die Gerichte und die „jüdische Gossen-Journaille“, die Hamer zum Scharlatan gemacht habe.
Der Berichterstatter referierte dazu aus den Schriftsätzen des Klägers, dass dieser auch das Gericht in Sigmaringen beschuldigt habe, aus Juden zu bestehen und unter jüdischem Einfluss zu sein. In Israel würden die Erkenntnisse Hamers exklusiv für die Juden genutzt, so dass dort die Mortalität durch Karzinome bei 21 Todesfällen pro einer Million Einwohnern und Jahr liege. In der EU sei dieser Wert mehr als hundertmal höher. Es handle sich um „das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“, das Millionen und Milliarden Menschen das Leben koste. Darauf reagierte das Publikum mit frenetischem Beifall.
Das Gericht antwortete nicht auf die sehr emotionalen Appelle, das millionenfache Leiden zu beenden, ermahnte aber dazu, keine ethnische oder religiöse Gruppe zu verunglimpfen. Als der Vorsitzende unspektakulär mitteilte, dass die Entscheidung schriftlich zugestellt werden würde, kam es zu Tumulten. Denn wie die Entscheidung ausfallen würde, war allen Anwesenden klar. Die aufgeheizte, fanatische Stimmung drängte auf Entladung, die Forderungen nach Rechtfertigung Hamers wurden nun hinausgeschrien. Der Vorsitzende drohte mit der Polizei, nahm dem Tumult aber die Spitze, indem die drei Berufsrichter und zwei Schöffen den Saal verließen.
Ein Fazit: Hamers Ideen haben die Form einer antisemitischen Verschwörungstheorie mit der Besonderheit, dass die geheime Ursache des Übels in der Welt nicht nur enthüllt wird, sondern dass mit ihm ein Weltenretter bereitsteht, der zum tragischen Opfer der Verschwörung wird. Seine hoch fanatisierte Anhängerschaft identifiziert sich mit ihm. Nur ihre geringe Größe und kleinbürgerliche Verankerung sind vermutlich der Grund dafür, dass es bisher nicht zu äußeren Exzessen kam. In Sigmaringen wurde jedenfalls klar, dass der Antisemitismus nicht – wie oft von Anhängerinnen und Anhängern behauptet – eine unwesentliche Randerscheinung der Gruppe ist. Er steht im Zentrum ihrer Weltanschauung, steigert sich immer mehr und wird nach außen hin nur notdürftig verschleiert. So heißt es auf der aktuellen Internetseite Helmut Pilhars: „Die Chemo-Giftgas-Pseudotherapie ist nichts anderes als ein rituelles Schächten (Anämie, Blutarmut, Ausbluten)! Weil es religiös motiviert ist, kommt man mit wissenschaftlichen Argumenten nicht dagegen an!“ (www.pilhar.com ) Damit ist auch für die Kirchen geklärt, dass es mit der Anhängerschaft der GNM keine Gemeinsamkeit geben kann.
Hansjörg Hemminger, Stuttgart