Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen
Hans Krech, Matthias Kleiminger (Hg.), Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen. Freikirchen, Pfingstlich-charismatische Bewegungen und weitere unabhängige Gemeinden, christliche Sekten, Neuoffenbarer, Neuoffenbarungsbewegungen und Neureligionen, Esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen, Religiöse Gruppen und Strömungen aus Asien, Anbieter von Lebenshilfen und Psycho-Organisationen, hg. im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD, 6., neu bearb. und erw. Aufl., Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, 1167 Seiten, mit CD-ROM, 88,00 Euro.
Ende vergangenen Jahres ist das „Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen“, das „grüne Handbuch“, wie wir gern sagen, vollständig überarbeitet und aktualisiert in der nunmehr 6. Auflage erschienen. Das Handbuch gehört zu den Standardwerken der Konfessionskunde, wird viel gelobt und hat dieses Lob auch verdient. Der Leser findet nicht nur einen hervorragenden Überblick, sondern auch fundierte und klug zusammenfassende Beiträge zu den dargestellten Freikirchen, Sekten, Religionen, Weltanschauungen usw.
Allein der Untertitel des Handbuchs ist erstaunlich und kann Ratsuchende verschrecken. Man fragt sich: Musste das sein? Gibt es eine Notwendigkeit, diese Fülle von Organisationen, Gemeinschaften und Szenen derart akribisch auseinanderzuhalten? Ja, es gibt sie. Deshalb bedarf es eines solchen Handbuchs, welches hilft, Schneisen in den Dschungel religiöser, neureligiöser und halbreligiöser Phänomene zu schlagen. Knapp 1200 Seiten haben die beteiligten Autoren geschrieben, fast alle Sekten- und Weltanschauungsexperten der evangelischen Kirche, die im Arbeitskreis Religiöse Gemeinschaften der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) zusammenkommen.
Allein aufgrund der Fülle der verarbeiteten Informationen wird man als Rezensent immer einige Fehler finden können und wird man in der Gefahr stehen, kleinlich auf diese oder jene Ungenauigkeit hinzuweisen. Ich möchte deshalb auf Details verzichten und einige grundsätzliche Anmerkungen machen.
Die Stärke dieser Publikation liegt in ihrem hohem Gebrauchswert: Wer sich als Lehrer oder Pfarrer zügig über eine Gemeinschaft informieren will, der findet konzentrierte Darstellungen und Handlungsempfehlungen. So wird nach einem einheitlichen Schema gefragt, ob man aus kirchlicher Sicht der jeweiligen Gruppe Räume überlassen kann, ob Taufpatenschaften oder interreligiöse Trauungen möglich sind usw. Das ist äußerst hilfreich – selbst wenn es Einzelfälle geben mag, in denen ein Pfarrer aus seelsorgerlicher Verantwortung eine andere Entscheidung trifft.
Wie schon bei früheren Auflagen kann man über die Gliederung des Handbuchs streiten. So findet man im Kapitel „Christliche Sekten“ die Zeugen Jehovas, die Christengemeinschaft und die Neuapostolische Kirche. Man fragt sich, was diese drei Gemeinschaften eigentlich verbindet. Eine ähnliche Problematik ist im Kapitel „Esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen“ zu beobachten. Hier ist die Anthroposophie neben den Satanismus gestellt – und so stößt das Schema an seine Grenzen. Neu ist an der vorliegenden Auflage, dass den Unterkapiteln einleitende Texte vorangestellt sind. Das ist hilfreich, auch wenn mitunter deutlich wird, dass die Gemeinsamkeiten innerhalb der Kapitel gering sind. So heißt es in der Einleitung zu Kapitel 7: „Die in diesem Kapitel behandelten Organisationen haben ideengeschichtlich zum Teil wenig gemeinsam.“ (989) Vielleicht können sich die Herausgeber ja in der nächsten Auflage dazu durchringen, auf diese Einteilung in Kapitel völlig zu verzichten? Auch sollte man einmal grundsätzlich darüber nachdenken, welchen „Sitz im Leben“ die Literaturhinweise haben. Werden sie als Hinweise auf vertiefende Literatur verstanden oder als ein Verzeichnis dessen, was irgendwann mal zum Thema geschrieben wurde? Im ersten Fall sollte man sich auf aktuelle Literatur konzentrieren, im zweiten Fall müsste man sich um Vollständigkeit bemühen. Beides wird jedoch nicht konsequent durchgehalten. Mitunter sind recht alte Publikationen genannt, oftmals fehlen neuere. So scheint man im Herausgeberkreis z.B. die (teilweise veralteten) Bücher von Friedrich-Wilhelm Haack besonders zu schätzen, aktuelle Publikationen von bestimmten EZW-Referenten werden konsequent übergangen. Seltsam ist auch, dass das von H. Baer, H. Gasper, J. Müller und J. Sinabell herausgegebene „Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen“ (Freiburg 2005) an keiner Stelle erwähnt wird. Das ist bedauerlich, zumal sich hier viele gute Artikel finden, die die Darstellung im vorliegenden Handbuch sinnvoll ergänzen könnten. Schwer nachvollziehbar sind auch die im Beitrag zur Neuapostolischen Kirche genannten Literaturhinweise: Publikationen aus den 1990er Jahren sind zahlreich aufgeführt, neuere und neuste Publikationen (z. B. von H. Obst) kennt man nicht. Positiv hervorheben möchte ich die mitunter erstaunliche Aktualität des Handbuchs. So berücksichtigt z.B. der eben genannte Artikel zur Neuapostolischen Kirche bereits die jüngste Entwicklung.
Dem Handbuch ist eine CD-ROM beigelegt, auf der nicht nur der gesamte Textbestand dieser Auflage zu finden ist, sondern auch einige Texte aus früheren Auflagen. Die CD ist leicht zu bedienen und sehr benutzerfreundlich. Alles in allem: ein stattliches Werk, das in jeder besseren Bibliothek stehen sollte.
Andreas Fincke