Handreichung zum Umgang mit Verschwörungserzählungen für den Religionsunterricht

Im Zuge der Covid-19-Pandemie verbreiten sich zunehmend antisemitische Verschwörungserzählungen und rassistische Falschmeldungen. Um diesen innerhalb der Schule begegnen zu können, hat nun das evangelische Comenius-Institut in Münster, in Zusammenarbeit mit dem Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts, eine Handreichung für eine Unterrichtseinheit im Fach Religion zum Thema publiziert.1 Die Einheit im Umfang von sechs bis acht Unterrichtsstunden soll SchülerInnen dabei helfen, Verschwörungserzählungen zu erkennen, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen und Strategien zu entwickeln, ihnen im Alltag zu begegnen. Sie wurde für die Jahrgangsstufen 7–9 konzipiert und bietet Anschlussmöglichkeiten für größere fächerübergreifende Projekte.

Neben einer ausführlichen thematischen Hinführung beinhaltet die 48 Seiten umfassende Handreichung Vorschläge für Stundenentwürfe, aufbereitete Arbeitsblätter und Methodenkarten sowie Internet-Links für Recherche-Arbeiten. Nach der kurzen Einführung einer fiktiven Anforderungssituation,2 die als Einstieg in die Unterrichtseinheit dient, folgt eine theoretische Aufbereitung des Themas unter Berücksichtigung aktueller Forschungsdebatten.3 So werden verschiedene Typen von Verschwörungserzählungen vorgestellt4 und deren Funktion in Krisensituationen diskutiert. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Situation von Jugendlichen, die vermehrt Online-Angebote konsumieren, sich auf Gaming- und Social-Media-Plattformen bewegen und dadurch Verschwörungserzählungen in besonderem Maße ausgesetzt sind. Es folgen didaktische Vorüberlegungen, die die Lehrenden vorab für mögliche Konfrontationsmomente während der Einheit sensibilisieren sollen, sowie eine Kompetenzübersicht, exemplarisch anhand des Lehrplans von Sachsen-Anhalt für die Klassen 7–8,5 und Links zur weiteren Recherche.

Im zweiten Teil der Handreichung werden die Arbeitsschritte der Unterrichtseinheit präsentiert. In einem ersten Schritt werden Verschwörungserzählungen auf der Sachebene analysiert, um SchülerInnen grundlegende Funktionen und Strukturen aufzuzeigen. Nach einer Anwendungsphase wird das neue Wissen vertieft durch Bezugnahme auf den (historisch meist christlichen) Kontext von antijüdischen Verschwörungserzählungen, bevor das Erlernte mit den SchülerInnen in konkrete Handlungsstrategien übersetzt wird, um den gemeinschaftlichen Umgang in und mit der Pandemie zu fördern.

Zur Ergebnissicherung soll von der Klasse gemeinsam ein Podcast produziert und der Öffentlichkeit präsentiert werden (zum Beispiel über die Schul-Website). Auch wenn dieses Medium den SchülerInnen möglicherweise weniger vertraut ist, ist es eine schöne Idee, die gesamte Klasse aktiv an einem Projekt mitwirken zu lassen, das ein sichtbares Resultat erbringt. Daneben hält die Handreichung noch viele weitere Ideen bereit, um die Unterrichtseinheit abwechslungsreich und interaktiv zu gestalten, so z. B. die Anleitung zu einer strukturierten Kontroverse,6 die zum Perspektivwechsel herausfordert. Weiter findet man einen Vorschlag für eine Fotoarbeit mit Lego-Figuren und Sprechblasen, welche Verfasser, Anhänger und Betroffene von Verschwörungserzählungen visuell darstellen soll.7

In Zeiten von Informationsflut und Fake Facts in den sozialen Medien bietet diese Unterrichtseinheit eine Möglichkeit, die kritische Beurteilungs- und Dialogkompetenzen unter SchülerInnen zu fördern. Zusammen mit den hilfreichen Vorschlägen, den gut aufbereiteten Materialien und weiteren Tipps und Links ist die Handreichung eine wertvolle Ressource für ReligionslehrerInnen.


Claudia Jetter, 10.07.2021

Anmerkungen

  1. https://bagkr.de/wp-content/uploads/2021/06/Handreichung_Zum-Umgang-mit-Verschwoerungserzaehlungen.pdf  (Abruf: 22.6.2021). Die Handreichung ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Juliane Ta Van und Sabine Blaszcyk, die diese im Rahmen einer Kooperation mit „narrt“, dem Netzwerk für antisemitismuskritische- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie, entwickelt haben.
  2. Als Einstieg dient ein fiktiver Kettenbrief rund um Bill Gates und Covid-19, der unter SchülerInnen kursiert. Die Schulleitung bittet daraufhin die Fachschaft Religion, einen Podcast zur Aufklärung über Verschwörungserzählungen zu produzieren (Handreichung, 3).
  3. Vgl. u. a. Michael Blume: Verschwörungsmythen. Woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können, Ostfildern 2020; Katharina Nocun / Pia Lamberty: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen, Köln 2020. Levent Tezcan: Der Joker der Verschwörung. Verschwörungstheorien als negativer Glaube, 2020, https://tinyurl.com/y4w6khc6 (Abruf: 27.6.2021).
  4. Die Handreichung folgt Michael Butters Typologie von Verschwörungserzählungen (4–5). Vgl. Michael Butter: Nichts ist, wie es scheint, Berlin 2018.
  5. Die Lehrplaneinheit wird exemplarisch mit Kompetenz-Schwerpunkt Ethik dargestellt, um neben den Wissensbeständen vor allem die Beurteilung von Konsequenzen persönlichen Handelns und ethischer Entscheidungen in analogen und digitalen Kontexten zu fördern (10f).
  6. In der Debatte soll diskutiert werden, ob Kettenbriefe mit Verschwörungserzählungen ernst genommen werden sollten (vgl. Handreichung, 13).
  7. Vgl. ebd., 27.