„Hans im Glück“ - Eindrücke bei einem Heil- und Erlebnisabend
Eine von mir besuchte Veranstaltung am 23. August 2011 im „Zentrum für Geistige Heilweisen“ in Berlin stand unter dem Thema „Das Herz als Torweg“. Es sollte aufgezeigt werden, welche Perspektiven und Visionen die Herzen für das Jahr 2012 haben, und es wurde in Aussicht gestellt, das Herz als einen Torweg in das „Neue Bewusstsein“ zu erleben.Hans Rausch, der Leiter des Zentrums, der sich als Therapeut und Lehrer für Geistige Heilweisen versteht (www.heilerschule-berlin.de), begrüßte jeden Gast freundlich lächelnd. Sofort wurde man in eine angenehme Atmosphäre hineingenommen, zu der Edelsteine, Duftkerzen, Bilder von Lichtwesen an den Wänden (darunter auch Jesus und Maria) und meditative Klänge beitrugen.Nach einer Zeit des Ankommens startete der offizielle Teil. Dazu versammelten sich alle Gäste (15 Frauen, 3 Männer, vorwiegend mittleren Alters) in einem Stuhlkreis um einige Bergkristalle und Engelfiguren herum. Beglückt über das rege Interesse am Angebot des Abends begrüßte der Leiter noch einmal die Runde und begann mit seinen Vorbemerkungen: Dadurch, dass wir einander duzten, sei schon die erste Trennung aufgehoben. Des Weiteren trenne uns das kritische Denken und Einordnen davon, heil zu werden und uns ganz auf das Leben einzulassen. Hans begab sich in eine Sitzposition, die als wichtig angesehen wird, um als Medium Kontakt zu Geistwesen herzustellen (sogenannte „Egyptian posture“: aufrechter Sitz, Beine parallel auf dem Boden, Hände auf den Oberschenkeln).Wer physische oder psychische Leiden habe, die er mitteilen wolle, hatte nun Gelegenheit, sich zu äußern. Vier Frauen erzählten von ihren Problemen. Eine meinte, sie habe so etwas wie eine Kugel am Fuß, eine andere berichtete, sie spüre, wie alte Verletzungen beim Umgang mit bestimmten Menschen wieder hochkämen. Bei jedem Fall hielt Hans inne, schloss die Augen und teilte dann empfangene Informationen mit, die zur Heilung helfen sollten. Immer wieder war die Rede von Energien, Strömen, Magnetfeldern und Heilwerden durch Loslassen. Wir sollten zum Magnetfeld der Erde Kontakt aufnehmen. Sie sei bereits seit 2002/2003 in ihrem neuen Mantel. Das Erdzeitalter des Wassermanns wende sich wieder dem Weiblichen zu. Es sei gekennzeichnet durch Individualismus und Menschen, die sich für den Frieden einsetzen. Wir sollten weich werden und nicht mehr denken, dass wir ständig kämpfen müssten. Durch die individuelle Konzentration auf das eigene Ich sollte ein neues (Selbst-)Bewusstsein geschaffen werden. Der einzelne Teilnehmer habe in besonderer Weise durch die gechannelten Botschaften Anteil an einer höheren Geistwelt und dadurch die Möglichkeit, an der spirituellen Wende des Erdzeitalters teilzuhaben. Eine der Frauen, die schon zu Wort gekommen waren, berichtete noch von einem weiteren Leiden und wollte wissen, was sie dagegen unternehmen könne. Hans meinte jedoch, dass er jetzt keine Information dazu empfange.Was ging hier vor sich? Von wem empfing Hans seine Informationen? Gleich zu Beginn der Veranstaltung hatte er überglücklich die Engel erwähnt: „Sie kommen gleich, sie sind schon hier, wir sind sie und der ganze Raum ist voll von ihnen.“ Hans Rausch arbeitet als „Engeltherapeut“, der sich als Medium (channel) für Engel versteht. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um einen speziellen Engel, sondern um Engel und Mächte an sich, deren heilsame Botschaften durch das Medium an die zu heilende Person weitergegeben werden sollen.Generell kann sich das Channeling wachend, unter Hypnose, im Trancezustand oder unter Drogeneinfluss vollziehen. „Das Neue Lexikon der Esoterik“ von Marc Roberts (Berlin 2005, 202) weist auf fünf Deutungsmöglichkeiten des Channelings hin: 1. Nach tiefenpsychologischem Verständnis sind die Botschaften des Mediums Projektionen, d. h. psychische Inhalte werden nach außen, in die grobstoffliche, materielle Welt verlegt. Aus jungianischer Sicht können die Botschaften als Schöpfungen aus dem nicht bewusstseinsfähigen kollektiven Unbewusstsein verstanden werden. Die gechannelten Geister sind folglich „symbolische Übersetzungen von unbewusstem Material“. 2. Es handelt sich um eine Selbsthypnose, bei der sich etwa der Körper und die Stimme verändern können. 3. Das gechannelte Wesen ist eine Teilpersönlichkeit bei einer multiplen Persönlichkeitsstörung, die „zu Wort kommt“. 4. Besonders empfindsame Menschen können aus einem kollektiven Bewusstseinszustand heraus Informationen weitergeben. 5. Channeling ist intuitiv und beruht auf spontanen Eingebungen, die durch Zuschreibung an einen Geist höhere Autorität gewinnen.An diesem Abend erschien mir das Medium „Hans“ bei vollem Bewusstsein und deutete die Leiden der Frauen auf einfühlsame Weise. Die Mehrheit der Anwesenden ließ sich auf die Deutung ein (erkennbar an der übernommenen Sprechweise des Mediums), ohne die Aussagen zu hinterfragen.Nach dem ersten Teil des Abends, bei dem die gechannelten Botschaften im Mittelpunkt standen, folgte ein Meditationsteil. Die Meditation wurde durch sanfte Klänge und viele farbenprächtige Bilder begleitet, die Hans vor unser inneres Auge malte: „Ein Lichtstrahl von dem Durchmesser einer Nadel trifft unser Herz, und der ganze Körper wird Licht.“ „Wir tauchen unsere Hand in Farbe.“ Später erklärte er, es ginge darum, eine Verbindung zum Magnetfeld der Erde zu schaffen.Danach wurden die vier Frauen gebeten zu erzählen, wie sich ihr Zustand verbessert habe. Zwei hatten anscheinend noch keine „Fortschritte“ gemacht. Folglich versuchte Hans, durch eine besondere Art zu gehen, die er vorführte, weiterzuhelfen. Dann wandte man sich wieder dem Gruppengeschehen zu. Der Leiter gab sich Mühe, die Gemütszustände der Teilnehmer zu erspüren und darauf einzugehen. Immer wieder huschte ein spontanes, glückliches Lächeln über sein Gesicht, gepaart mit einem fröhlichen Spruch in Richtung eines Teilnehmers. Zum Ende hin gab es noch etwas Bewegung, da die Möglichkeit bestand, einander mit Bergkristallen die Aura zu reinigen. Dazu wurden – in geeigneter Distanz – kreisende Bewegungen von oben nach unten am Körper entlang vollführt.Wie ist der zweite Teil des Abends zu verstehen? Die Meditation beinhaltete Bilder, in denen die Rede von Lichtstrahlen, Farben und dem Herzen war. All dies sind Hinweise auf eine sogenannte Herz-Chakra-Meditation. Bei den sieben Chakren (Chakra = Rad), die sich am Sushumma Nadi, dem Hauptenergiekanal des Körpers, entlang der Wirbelsäule befinden, soll es sich um feinstoffliche Energiezentren handeln, von denen Energiekanäle (Nadis) zu allen benachbarten Organen gehen. Die einzelnen Chakren werden in den tantrischen Schriften und der westlichen Esoterik sehr unterschiedlich beschrieben. Ausführliche Darstellungen zu jedem Chakra finden sich auf den Internetseiten der Esoterik-Zeitschrift „Sein. Bewusstsein intelligent leben“ (www. sein.de).Das vierte Chakra, Anahata, liegt auf der Höhe des Herzens, in der Mitte der Brust. Ein seelisches und energetisches „Ungleichgewicht kann sich in Herz- und Kreislauferkrankungen, Erkrankungen der unteren Atemwege sowie in Autoimmunerkrankungen äußern“ (C. Jänicke / Jörg Grünwald, Alternativ heilen, München 2006, 251). Die Farbe des Herz-Chakra ist grün, wobei ein rosarotes Licht der Liebe ausgestrahlt wird. Die Meditation wirke präventiv, eine Chakra-Therapie eigne sich auch zur Nachbehandlung nach Operationen, so Hans Rausch.Betrachten wir mit diesem Wissen den Meditationsverlauf, so stellt sich heraus, dass der Mensch dafür zuständig sein soll, sein Licht der Liebe ständig zu aktivieren. Ganz Licht und Liebe soll der Mensch werden, ohne Grenzen, die nur als einschränkend wahrgenommen werden. Bedenklich ist dabei, dass Gefühle wie Ängste, Wut und Zorn als negativ und behindernd konnotiert werden. Sie sollen einfach losgelassen werden. Die sogenannten feinstofflichen Energien kann der Mensch in sich selbst in Bewegung setzen. Die Frage ist, ob solch ein energetisches Weltbild nicht einengt und gerade nicht frei macht, zumal man ununterbrochen darauf bedacht sein muss, sich zu reinigen, zu meditieren und die Energiezentren im Gleichgewicht zu halten. Ob der Mensch sich mit den drehenden Chakren irgendwann nur noch um sich selbst dreht und gerade nicht, wie beabsichtigt, liebesfähig wird, bleibt eine kritische Anfrage.
Diana Lunkwitz, Mainz