Heiliger Geist oder inszenierte Manipulation?
Die Tour der „Holy Spirit Night“
Einer ortsansässigen christlichen Ticketagentur ist es zu verdanken, dass die „Holy Spirit Night“-Bewegung außer in Großstädten wie Berlin, München, Amsterdam oder Wien sogar im ostwestfälischen Lemgo Station macht (28. September 2016). „Eine große Party um Gott zu feiern und Ihn anzubeten“, kündigt die Homepage an. „Eine Mischung aus Konzert und Jugendgottesdienst“, formuliert es der örtliche Veranstalter etwas kompatibler für Außenstehende.
Informationen im Vorfeld sind nur spärlich zu bekommen, auf der Agentur-Homepage gelangt man lediglich zu Tickets oder Fashion-Produkten. Offensichtlich wird vorausgesetzt, dass Veranstalter und Inhalte hinlänglich bekannt sind. Die Band „Jesus Culture“ braucht in der Lobpreis-Szene nicht mehr vorgestellt zu werden, die weiteren Mitwirkenden kommen ebenfalls aus der kalifornischen Bethel-Church und der „Awakening Europe“-Bewegung, die 2015 in Nürnberg eine große Erweckung angekündigt hat, sowie aus dem „Gospel Forum“, Deutschlands Megachurch in Stuttgart (früher: Biblische Glaubensgemeinde, BGG). Also eine eher auf die Insider in der neucharismatischen Bewegung zielende Veranstaltung?
Eine spätere Frage an die Besucher bestätigt dies: fast alle kommen aus einem gemeindlichen Kontext. Von der auf der Homepage (www.holyspiritnight.de) als „zentraler Punkt“ behaupteten „Zusammenarbeit von lokalen Gemeinden“ ist allerdings nichts zu sehen. Erst genauere Recherchen zeigen, dass die Vorbereitung von Bielefeld aus von freien Netzwerken aus organisiert wird (u. a. von der „Jugendmissionsgemeinschaft“).
Große Show und kraftvolle Rhetorik
Kulturell ist die Veranstaltung perfekt auf den Mainstream einer urbanen Jugendkultur abgestimmt: große Show mit Videoinstallationen und Lightshow für die Bühne und die tanzende Menge, selbstverständliche digitale Vernetzung einschließlich zweier neuer Apps für Evangelisation bzw. Bibelstudium, mit Anglizismen angereicherte Sprache – nicht nur optisch fällt man als „Ü30er“ ein wenig auf.
Wie erwartet, ist die Veranstaltung sehr professionell organisiert und befindet sich musikalisch auf hohem Niveau. Sogar ein Vorprogramm gibt es, es wird gestaltet von „Good Weather Forecast“, einer der aktuell erfolgreichsten christlichen Bands in Deutschland. In diesem Teil des Abends bleibt auch noch Raum für nachdenkliche Töne, für ambivalente Glaubenserfahrungen, in denen nur die Hoffnung auf eine „Stimme in der Dunkelheit“ (so ein Songtext) trägt. Nur diese Musiker stehen als einzige Mitwirkende auch nach der Veranstaltung für Gespräche und Begegnungen zur Verfügung.
Ganz anders und in der Art der Inszenierung und der transportierten Glaubensvorstellungen hoch problematisch folgt dann das eigentliche Hauptprogramm. Das Thema ist „Fearless“ – es soll um einen furchtlosen Glauben gehen. Die Ankündigung, hier und jetzt „Gottes erstaunliches Wirken“ zu erleben, weckt hohe Erwartungen, und mit kraftvoller Rhetorik („power“ bzw. „empowering“) wird die Erfahrung des Heiligen Geistes „in uns“ verheißen.
Zeugnis und Bekehrung
Bethel-Church-Pastor Ben Fitzgerald, in dessen Gemeinde auch ein „übernatürlicher Dienst“ gelehrt wird, erzählt von seiner Hinwendung zu Jesus aus einem Leben voller Drogen und Gewalt in klarem Schwarz-Weiß-Schema. Eine solche Erfahrung könne man auch heute noch machen, und so werden wir aufgerufen, unser Leben Gott zu übergeben und uns „schnell“ an einem Punkt in der Halle zu versammeln, wo Gebetsteams schon bereitstehen. Viel Zeit bleibt nicht, und mehr als hundert Besucher machen sich auf den Weg; gleich danach spricht die gesamte Halle ein Gebet der Lebensübergabe laut mit. Die hohe Zahl „Neubekehrter“ (Fitzgerald richtete sich ausdrücklich an „non-believers“) trotz gemeindlicher Sozialisation bestätigt die Beobachtung, wonach solche „Bekehrungen“ nicht selten mehrfach wiederholt werden und Menschen, die in gemeindlichen Kontexten aufgewachsen sind, offensichtlich solcher den eigenen Gauben stärkender Rituale bedürfen.
Kollekte und Merchandising-Produkte
Man sollte daraus allerdings nicht das Wunder zehntausender Bekehrungen machen, wie es der nächste Redner Markus Wenz vom Stuttgarter Gospel Forum formuliert, als er die Geschichte seiner Gemeinde als eine Geschichte der „Leidenschaft für den Heiligen Geist“ präsentiert. Als Grund für die „Holy Spirit Night“-Bewegung beschreibt er die Sehnsucht, „Teil von etwas, das größer ist als wir selbst“, zu sein. Wir lebten jetzt in einer „bestimmten Zeit“, in der Gott seine Verheißungen erfülle und in der Menschen „voll sind von seiner Herrlichkeit“, in der Gott die Welt verändere und jeder Einzelne vor Ort bedeutsam sei.
Markus Wenz „spürt“ nach eigenen Angaben, „ein Mandat für Lemgo“ zu haben. Und dieses mündet dann in die nachdrückliche Aufforderung, über den Eintrittspreis von immerhin 19 Euro hinaus noch für die Veranstaltung zu spenden. Konkret nennt er 10 Euro, die für jedes Ticket zur Kostendeckung noch nötig seien. Gott werde alles vielfach wiedergeben, was man einsetze. Konsequenterweise schließt sich an diese „Kollekte“ Werbung für Merchandising-Produkte an. In meiner näheren Umgebung scheint niemand an diesem hoch manipulativen Vorgehen Anstoß zu nehmen, das durch die „geistliche“ Deutung enormen Druck erzeugt.
„Kreative Wunder“
Gesteigert wird die Manipulation noch durch den Beitrag von Todd White. Er beschreibt – auch mithilfe kleiner Showeinlagen – seine drastische Lebenswende in seiner Bekehrung zu Gott, die von physischen Wundern begleitet worden sei. Er habe „ganz neues Blut“ und „neue Organe“ bekommen, die durch seinen exzessiven Drogenkonsum stark geschädigt gewesen seien; auch seien körperliche Narben plötzlich verschwunden, wie er es auch bei vielen anderen Gelegenheiten erlebt habe. Nachdem schon mehrfach „Zeichen und Wunder“ angekündigt worden sind, steuert die Veranstaltung auf ihren Höhepunkt zu: Auch die Besucher sollen jetzt Gottes „kreative Wunder“ erleben. Immer wieder fordert Todd White dazu auf, sich bei ganz bestimmten Beschwerden zu melden, immer dringlicher werden die Aufrufe und Beschwörungen. Eine halbe Stunde lang heilt er Menschen und treibt Dämonen aus, begleitet von wildem Schreien und begeistertem Applaus aus der Menge. „Jede Art von Krankheit im Körper“ verspricht Todd White „im Namen Jesu jetzt sofort“ zu heilen. Wirkt auf mich manches noch eher skurril – Nackenversteifungen oder Knieprobleme etwa nach mehrstündigem Sitzen oder Stehen verschwinden schnell auch ohne große Heilungswunder; spontan soll einem Besucher ein Knochen in der Wirbelsäule nachgewachsen sein –, so erscheint mir anderes dagegen haarsträubend und gefährlich: Todd White behauptet, auch „genetische Krankheiten“, Depressionen oder bipolare Störungen sofort zu heilen. Einer Person in der Veranstaltungshalle mit „Schmerzen in der Brust“, die zudem wegen erblicher Vorbelastung Angst vor Krebs hat, wird versprochen, sie sei jetzt geheilt worden. Hoffentlich gehen die Betroffenen nicht ganz so leichtfertig damit um, wie es der immer lauter werdende Applaus vermuten lässt, und lassen sich auch weiter ärztlich untersuchen!
Einschätzungen
Drastische physische Phänomene, Proklamationen und Demonstrationen von Gottes Gegenwart, begeisterte Massen – wenn man diese Phänomene mit etwas Abstand zur pfingstlich-charismatischen Spiritualität und zur rhetorisch aufgeheizten Stimmung beobachtet, wundert es nicht mehr, wenn Neucharismatiker wie Markus Wenz auf zehntausende Bekehrte, tausend Machtbeweise des Heiligen Geistes und zahlreiche Wunder im „Gospel Forum“ verweisen. Alle Kritiken, wie sie von weltanschaulicher Seite immer wieder gegen solche Praktiken und gegen das ihnen zugrunde liegende Verständnis des christlichen Glaubens geäußert werden, fanden hier eine Bestätigung. Menschen werden manipuliert, indem ihre Erwartungen in geschickt inszenierten Gruppen- und Massenprozessen erst geschürt und dann ausgenutzt und gesteuert werden. Offenbar sind nicht wenige neucharismatische Kreise bereits so sehr an Show und Inszenierungen gewöhnt, dass es für Veranstalter ein Leichtes ist, gewünschte oder erwartete Gefühle und Reaktionsweisen abzurufen.
Gefeit gegen Vorwürfe der Manipulation bleibt man nicht zuletzt dank eines dualistischen Weltbildes, das den „völlig neuen Menschen“ gegen das Alte, das vergangen ist, behauptet und die oft mühseligen, aber differenzierten theologischen Auseinandersetzungen in selbstgewisser Vollmacht für vergangen erklärt: Die theologischen Probleme, so Markus Wenz an diesem Abend, „sind vorbei“. Die Erkenntnis der Ambivalenz religiöser Ergriffenheitserfahrungen und der Gebrochenheit des menschlichen wie auch des christlichen Lebens bleibt dieser Gestalt des Christentums verborgen. Im Gegenteil brauche ja diese Zeit eine „Armee von Betern“, die hilft, unsere Gesellschaft zu „transformieren“. Das Wirken das Heiligen Geistes wird auf mirakulöse und als spektakulär erfahrbare Erlebnisse reduziert.
Damit scheinen sich zumindest Teile der neucharismatischen Bewegung vom Erbe der klassischen Pfingstbewegung weitgehend abgelöst zu haben. Konnte man das pfingstkirchliche Anliegen nach Erfahrbarkeit und Lebensbezug des Glaubens als ein in den etablierten Kirchen weitgehend vergessenes Thema würdigen, so bleibt hier nur noch die Sehnsucht nach physischen und intensiven Erlebnissen übrig. Erlebnissehnsucht wird zur Erlebnissucht, eindringlich illustriert im Schlussaufruf von Todd White: „Wenn du noch ein Heilungswunder brauchst, heb deine Hand!“
Sicherlich haben die etablierten Kirchen nach wie vor einen großen Nachholbedarf, wenn es darum geht, im erlebnisorientierten kulturellen Mainstream Fuß zu fassen und gute Inszenierungen zu gestalten. „Good Weather Forecast“ als Vorgruppe an diesem Abend zeigte aber, dass es auch anders gehen kann. Bei der Kollekte und der Werbung für Merchandising-Produkte betrat man dann schon eine Grauzone mit problematischer Nähe zum Ablass bzw. zum Devotionalienhandel. Gegen die manipulative Machbarkeit und Verfügbarkeit von Gottes Wirken ist schließlich eine deutliche Grenzziehung notwendig! Es bleibt abzuwarten, wie sich andere Teile der Pfingstbewegung, etwa die im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) zusammengeschlossenen Gemeinden, hierzu positionieren.
Seelsorgerlich bedenklich war es schließlich auch, dass – nicht zuletzt mangels lokaler Einbindung – für die Menschen, die man bei der Veranstaltung in eine sensible Lage gebracht hatte, keine weitere Verantwortung übernommen wurde: Weder für die vorgeblich „Neubekehrten“ noch für die „Geheilten“ war irgendeine Art von Betreuung vorgesehen. Mein Eindruck daher: Was zählt, ist der schnelle und demonstrierbare Erfolg, der sich in großen Zahlen ausdrückt. Vielleicht haben auf lange Sicht die eher trägen, aber ortsnahen Kirchen doch einen größeren Einfluss, und die Holy Spirit Night bleibt demgegenüber ein Durchlauferhitzer. Vom Erfolg beflügelt, sind aber schon weitere Aktionen geplant. Das ausliegende Magazin greift das Stichwort Reformation auf und erklärt als „wahre Reformation“ das übernatürliche Wirken des Geistes, das Menschen erleben können bis hin zum Verschwinden von materieller Armut.
In einem wohl unfreiwillig zweideutigen Bild formulierte der Veranstalter seine Hoffnungen: „Das, was wir hier erlebt haben, soll sich ausbreiten über das ganze Land wie ein Waldbrand [sic!].“ Dann bleibt nur zu hoffen, dass von den Erlebnissen der Menschen mehr bleibt als nur Rauch und Asche.
Andreas Hahn, Dortmund