„HerChurch“ – feministischer Christopaganismus in US-amerikanischer lutherischer Gemeinde
Die Ebenezer Lutheran Church in San Francisco, eine Gemeinde der größten US-amerikanischen lutherischen Kirche Evangelical Lutheran Church in America (ELCA), erstrahlt seit einigen Jahren lilafarben. Die Hauptpastorin Stacy Boorn hat sich vor dem Hintergrund ihrer Auslegung feministischer Theologie dafür eingesetzt, die Kirche anzustreichen, die Gemeinde in herchurch umzubenennen und damit der Verehrung des „göttlichen weiblichen Prinzips“1 Ausdruck zu verleihen. Auf der Homepage wird erklärt, man lehne sich mit der Verehrung der als Frau verkörperten Weisheit (Sophia) an jüdische und hellenistische Traditionen an.
In herchurch nähert sich die Gemeinde der Göttin bzw. heiligen Frauen unter anderen mithilfe von Ikonenmalerei, der „Anrufung der Großmutter“2 im Rosenkranzgebet, Trommelkursen zu Vollmond und astrologischen Lesungen der fest angestellten Hexe der Gemeinde. Erwähnenswert ist auch eine Puppe mit dem hawaianischen Name I’Lana („verankern“), die aus einem jungianischen tiefenpsychologischen Kunstprojekt hervorgegangen ist und in der Gemeinde zu verschiedenen Gelegenheiten Verwendung findet.3 Sie repräsentiert gegenüber dem Archetyp der Jungfrau und der Mutter die weise alte Frau, die dritte Form weiblichen Lebens. Für die Feier des Wechsels von einer Form weiblichen Lebens in eine andere werden Übergangsrituale angeboten.
Die Biografien der in der Gemeinde aktiven Personen Stacy Boorn, Katie Ketchum, Jennifer Mantle und Christine Konkol tragen zu einer ungewöhnlichen Vermischung unterschiedlicher Strömungen von Christentum und Neuheidentum, also Christopaganismus, bei. Die Pastorin Stacy Boorn gibt an, dass ihre vom „malestream“ geprägte theologische Ausbildung sie dazu motiviert habe, eine Gemeinde und ein Predigtamt aufzubauen, das „Göttinnen-inklusiv“ sei. Sie bietet unter anderem einen Lektürekurs des Werkes „God Is a Black Woman“ an, das die Auffassung vertritt, Gott sei als schwarze Frau viel eher denn als „kultureller whitemalegod“4 in der Lage, als Fürsprecherin nicht nur weißer Männer, sondern auch aller anderen Menschen aufzutreten. Die als „Sister of Song“ oder auch als „Priestess“ firmierende Chorleiterin Katie Ketchum hat ein Liederbuch („Hersay“) herausgebracht, das nach Verlagsangabe durch das Besingen weiblicher Namen Gottes „die Wunden heilen soll, die die patriarchalische Unterdrückung und Gewalt“5 hervorgerufen haben. Jennifer Mantle, eine weitere Pastorin der Gemeinde, hat einen Master-Abschluss im Studiengang „Weibliche Spiritualität“ an der Sophia-Universität (San Francisco / Los Angeles), einer Einrichtung, die Robert Frager 1975 als erste Universität für transpersonale Psychologie gründete und die unter anderem durch den Zen-Buddhismus und den Sufismus beeinflusst ist.6 Über die Ausbildung der „resident witch“ Christine Konkol werden keine Angaben gemacht. Sie verteilt „magische Gaben“ und hält Treffen ab, bei denen „Instinkt und Intuition helfen sollen, die Göttlichkeit der Natur und damit das Göttliche“7 zu entdecken.
Die Religionssoziologin Linda Woodhead rekapituliert in einem bereits 1993 erschienenen Aufsatz feministische Formen neuer Spiritualität und verweist darauf, dass diese häufig danach unterschieden werden, ob sie sich innerhalb der christlichen Tradition verorten („Christian feminist spirituality“) oder als „post-christlich“ verstehen.8 Sie kommt jedoch zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen reformorientierten, in der Kirche verorteten, und postchristlichen Feministinnen lediglich darin bestehe, inwieweit sie dafür offen sind, jüdische und christliche Traditionen, Schriften und Geschichten als fruchtbare Quelle ihrer Argumentation aufzunehmen.9 Was ihre religiöse Ausrichtung anbelangt, so würden die von ihr untersuchten Frauen darin übereinstimmen, dass sie vor allem auf ihre eigene Erfahrung vertrauen und mit ihrem wahren Selbst im Einklang leben müssten, um spirituelle Erfahrungen zu machen. Als revolutionären feministisch-theologischen Ansatz versteht die Religionswissenschaftlerin Mary Ann Beavis es, weibliche Sprache und Bilder des Göttlichen routinemäßig zu verwenden und teilweise Göttinnen nichtchristlicher Traditionen einzubeziehen. Im Anschluss an ihre Kollegin und „Göttinnen-Forscherin“ Johanna Stuckey10 spricht sie in diesem Zusammenhang von „paganem Christentum“ bzw. „Christian Goddess Spirituality“.11
Neue Spiritualität in unterschiedlichen neopaganen Formen ist für einige offensichtlich grundsätzlich mit christlicher Tradition vereinbar. Es gibt natürlich auch Gegenstimmen, denen die Praxis von herchurch ein Dorn im Auge ist. Der Blogger Dan Skogen betreibt eine Plattform, die es sich ausschließlich zur Aufgabe gemacht hat, über die Häresien der ELCA aufzuklären. „Exposing the ELCA“ sieht sich auf einem „Kreuzzug, das Wort Gottes zu verteidigen“12. Auf dieser Webpage sind ca. 30 Artikel versammelt, die verschiedene Praktiken in herchurch auf der Basis des eigenen Verständnisses als orthodox-lutherische Konfession verurteilen. Besondere Verärgerung hatte 2010 ein Workshop hervorgerufen, bei dem die Pastorin Stacy Boorn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu aufgefordert haben soll, aus Ton eine Statue der kanaanitischen Muttergottheit Ascherah zu formen. Unter Verweis auf 5. Mose 12,3 wird diese Praxis vonseiten Skogens als Idolatrie bewertet und entsprechend verurteilt.13
Die Dachorganisation ELCA toleriert die feministisch inspirierte christopagane Praxis in herchurch. Dies mag einerseits an der für die USA typischen Freiheit und finanziellen Unabhängigkeit einzelner Gemeinden gegenüber den religiösen Dachorganisationen liegen. Es kann aber auch im Rahmen einer Tendenz der Kirchenleitung in Chicago begriffen werden, das Verständnis, was in der Postmoderne unter einer „lutherischen Tradition“ verstanden werden soll, zur Disposition zu stellen.
Thorsten Wettich, 13.05.2022
Anmerkungen
1 www.herchurch.org (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 19.4.2022).
3 Vgl. www.herchurch.org/about/ilana.
4 www.herchurch.org/about/recommended-reading.
5 Hersay – Songs for Healing and Empowerment, 2021, https://progressivechristianity.org/resources/hersay-songs-for-healing-and-empowerment.
6 About Sofia, 2022, www.sofia.edu/about-us.
7 www.herchurch.org/priestexx.
8 Vgl. Linda Woodhead: Post-Christian Spiritualities, in: Religion 23 (1993), 167 – 181.
9 Allerdings ist in akademischen Kreisen durchaus über den Unterschied zwischen christlicher feministischer Theologie und der „Göttinnen-Bewegung“ diskutiert worden. Vgl. Melissa Raphael: Introducing Thealogy. Discourse on the Goddess, Sheffield 1999, 29 – 51.
10 Vgl. Johanna H. Stuckey: Women’s spirituality. Contemporary feminist approaches to Judaism, Christianity, Islam and goddess worship, Toronto 2010.
11 Mary Ann Beavis: Christian Goddess Spirituality. Enchanting Christianity, New York 2020.
12 The Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) EXPOSED, 2022, www.exposingtheelca.com.
13 Vgl. Notice How ELCA Treats HerChurch Exactly the Way WELS Treats The CORE, 2022, http://ichabodthegloryhasdeparted.blogspot.com/2010/11/notice-how-elca-treats-herchurch.html.