Hexen und Hexenverfolgung. Eine kurze Kulturgeschichte
Malcolm Gaskill, Hexen und Hexenverfolgung. Eine kurze Kulturgeschichte, Reclam, Stuttgart 2013, 214 Seiten, 19,95 Euro.
In den letzten zwanzig Jahren sind einige empfehlenswerte Einführungen in das Themenfeld Geschichte der Hexereivorstellungen und der Hexenprozesse in deutscher Sprache erschienen (vgl. MD 3/2013, 115f). Gemeinsam ist ihnen, dass sowohl ihr Ausgangspunkt als auch ihr Fokus die Geschichte (mittel-)europäischer Hexereiimaginationen und Hexenverfolgungen ist. Auf außereuropäische Vorstellungen von Hexerei wird in diesen Bänden eher am Rande in Ausblicken oder Exkursen eingegangen.
Reclam legt nun eine Übersetzung des Bandes „Witchcraft. A Very Short Introduction“ des britischen Historikers Malcolm Gaskill vor und bewirbt den Titel als „lange nicht mehr vorgenommene Gesamtschau ohne eindimensionale und kurzschlüssige Erklärungen aus kulturgeschichtlicher Perspektive“ (Klappentext). Die Rezension geht der Frage nach, ob das Buch diesem Anspruch gerecht wird und ob es sich von in Deutschland in jüngerer Zeit erschienenen ähnlich positionierten Einführungen absetzt.
Es mag verwundern, dass der Rezensent hervorhebt, dass Bücher, die sich mit Hexerei befassen, die Geschichte der frühneuzeitlichen europäischen Hexenverfolgung in den Mittelpunkt rücken. Dies geschah, da sich unter britischen Büchern, die in die Thematik der Hexereivorstellungen einführen, auch eine andere Darstellungstradition findet. Sie knüpft daran an, dass Sozialanthropologen Schadenszaubervorstellungen, die in außereuropäischen Kulturen bestehen, unter dem Begriff „witchcraft“, also „Hexerei“, abhandeln. 1958 veröffentlichte der Missions- und Religionswissenschaftler Geoffrey Parrinder das Buch „Witchcraft“, das europäische Hexereivorstellungen und Konzepte um Schadenszauber, wie sie sich im spätkolonialen Afrika finden ließen, in gleicher Gewichtung präsentierte (Harmondsworth 1958). Zehn Jahre später publizierte die Sozialanthropologin Lucy Mair ebenfalls ein Buch mit dem Titel „Witchcraft“, das von funktionalistisch orientierten Feldforschungen in kolonialen und postkolonialen Gesellschaften Afrikas ausgeht und europäische Hexenvorstellungen nur als eine Sonderform thematisiert (New York 1969). Die deutsche Übersetzung erschien unter dem unglücklich gewählten Titel „Magie im Schwarzen Erdteil“ und fand im Gegensatz zum englischen Original eine eher geringe Verbreitung (München 1969).
Gaskill versteht das Motiv der Hexe als eine Universalie, die sich weltweit und zu allen Zeiten unter Menschen finden lässt (10, 14), und betont, dass sich diese Vorstellung auf unterschiedliche soziale Bereiche („Wirtschaft, Politik, Religion, Familie, soziales Umfeld und Mentalität“, 11) auswirke. Enge inhaltlich bestimmte Definitionen von Hexerei und Hexen lehnt der Autor ab, da dies der Vielschichtigkeit des Phänomens nicht gerecht werden könne und Hexerei immer relational zu denken sei (12). So umschreibt er Hexen als „lebendige Projektionen von Gefühlen“ (9) und bindet dieses Verständnis an C. G. Jungs Theorie der psychischen Archetypen an (165). Als Darstellungszugang wählt der Autor Stichwortassoziationen, mit denen er unterschiedliche Aspekte aus Geschichte und Gegenwart der Hexereivorstellungen und Hexenverfolgungen beleuchtet.
Das Buch enthält acht Kapitel, die jeweils drei Unterkapitel besitzen. Der Autor ordnet den Kapiteln folgende Stichworte zu: Furcht, Häresie, Bösartigkeit, Wahrheit, Justiz, Wut, Phantasie und Kultur. Das Kapitel „Furcht“ ist dann in die Unterkapitel „Der Begriff der Hexerei“, „Antike Weisheit“ und „Der Ursprung der Magie“ unterteilt. „Wut“ gliedert sich in „Hysterie“, „Kinder“ und „Die Hexenprozesse von Salem“ (5). Diese Darstellungsweise ermöglicht es dem Autor, eine Collage zu bilden, die auch (scheinbar) Widersprüchliches in einem Bild vereint. Der collagenhafte Charakterzug des Buches wird dadurch verstärkt, dass sich Gaskill in einem thematischen Abschnitt auf Befunde aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen beziehen kann und unterschiedliche Quellengattungen ineinanderflicht, etwa historische Prozessakten, ethnografische Berichte und literarische Dramatisierungen. So werden zahlreiche Themen besprochen, die von Theorien zur Entstehung von Religion (19ff) über ein Fallbeispiel historischer Hexenprozesse (134ff) bis hin zu erkenntnistheoretischen Problemen reichen (142ff). Dabei werden weiterführende Impulse gegeben, die aber nicht immer weiterverfolgt werden, und Anspielungen gemacht, die eine gewisse Vertrautheit mit historischer und ethnologischer Literatur vonseiten des Lesenden voraussetzen. Ein Beispiel hierfür bildet die Formulierung „ganz gewöhnliche Deutsche“ im Kontext der Darstellung des Hexenforschungsprojektes der SS-Unterorganisation Ahnenerbe (164), die in diesem Zusammenhang klar auf den Untertitel „Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ von Daniel Jonah Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ anspielt. Als Kehrseite folgt aus diesem Ansatz, dass Themen wie Forschungsgeschichte an unterschiedlichen Orten des Buches in die Darstellung eingeflochten, aber nicht systematisch abgehandelt werden. Auch findet sich kein einheitlicher historischer Abriss über die Geschichte der europäischen Hexenverfolgungen. Wer entsprechenden Fragestellungen nachgehen möchte, ist gezwungen, verstreute Informationen selbst zu einem Informationsstrang zusammenzusetzen. Der streckenweise sehr persönlich gehaltene Schreibstil des Autors, der immer wieder seine Motivationen und Erfahrungen darlegt und die Leser direkt mit Wendungen wie „Nein, lieber Leser“ (154) anspricht, erleichtert ein solches Unterfangen nicht.
Das vorliegende Buch ist von den in dieser Rezension und in derjenigen zu Marco Frenschkowskis „Hexenbuch“ aufgeführten Titeln (MD 3/2013, 115-118) die selbstreflexivste Abhandlung zur Hexenthematik. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Autor nicht durch seine vage und synchronisierende Verwendung der Begrifflichkeit Probleme schafft und Missverständnisse provoziert. So erscheint es fragwürdig, wenn Gaskill im Zusammenhang mit einem archäologischen Fund in England, der aus dem 17. Jahrhundert datiert und als materielle Komponente eines Zaubers gedeutet wird (55f), etwas sehr salopp von einem Voodoo-Herzen spricht (61). Zum tieferen Verständnis von Vodun, europäischen Magievorstellungen oder davon durchaus zu trennenden frühneuzeitlichen Hexereiimaginationen trägt dies kaum bei. Der Verfasser des Buches ist bemüht, Forschungsmythen zu hinterfragen, und greift diese gezielt auf, um sie dann zu korrigieren, etwa die oftmals bemühte Zahl der fünf Millionen als Hexen hingerichteter Frauen (100). Er sitzt allerdings selbst einem solchen Mythos auf, wenn er auf die „Eiserne Jungfrau“ verweist und sie als „ein[en] innen mit Dornen beschlagenen Sarkophag“ beschreibt (114).
Das Buch ist mit Abbildungen versehen und besitzt ein nützliches Register. Insbesondere hinsichtlich der problematischen Seiten des Buchaufbaus erweist sich dieses Register als hilfreich, um einzelne verstreute Segmente von Themensträngen zusammenzufügen. Leider ist der Ausweis der Zitate umständlich, und das Verzeichnis weiterführender Literatur ist leserunfreundlich gesetzt (196ff). Zur Übersetzung ist festzustellen, dass sie gelungen ist und im Blick auf Anspielungen funktioniert.
Das Buch ist vielseitig und für diejenigen, die mit dem Gebiet vertraut sind, durchaus unterhaltsam zu lesen. Als „Gesamtschau“, wie es im Klappentext angekündigt wird, würde der Rezensent das Buch aber nicht bezeichnen. Es wird sicherlich vieles thematisiert, worunter sich auch manches befindet, was wohl wenig zum Erhellen der eigentlichen Thematik „Hexereivorstellungen“ beiträgt (vgl. etwa 15f). Eine Gesamtschau ist aber bei dem verzweigten und intensiv bearbeiteten Forschungsfeld auch kaum zu bewältigen. Dies trifft im Fall von Gaskills Buch umso mehr zu, da durch die zugrunde gelegte Definition die Grenzen des Feldes äußerst diffus sind. Letztlich empfiehlt sich das Buch aus der Sicht des Rezensenten weniger für Leser, die einen ersten Einstieg in die Thematik wünschen. Die laxe Handhabung der Begrifflichkeit in Verbindung mit dem assoziativen Aufbau kann leicht zu einer Desorientierung führen, die die Leser im Nebel der Archetypen verschwinden lässt. Nutzer dagegen, die schon mit der Thematik vertraut sind, unkonventionelle Betrachtungsperspektiven als Anregung für eine kritische Auseinandersetzung suchen und gerne Denkwege auf ihre Tragfähigkeit prüfen, werden das Buch durchaus als Bereicherung wahrnehmen.
Harald Grauer, Sankt Augustin