Hitlers Theologie
Rainer Bucher, Hitlers Theologie, Echter-Verlag, Würzburg 2008, 228 Seiten, 16,80 Euro.
War Adolf Hitler ein Theologe, begründete er seine verbrecherische Politik mit Kriegstreiberei und Massenmord theologisch? Der Titel, den der Grazer Professor für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie für seine Untersuchung gewählt hat, provoziert zweifellos. Aber er erinnert zu Recht daran, dass der Nationalsozialismus ungeachtet seines mit den Jahren schärfer werdenden Kirchenkampfes immer wieder auf Elemente religiöser Sprache und ritueller Inszenierung zurückgriff. Unter dem Stichwort „Hitlers Religion“ wurde dies auch schon mehrfach thematisiert, zuletzt von Michael Rißmann („Hitlers Gott“, vgl. MD 12/2001, 423f)), der die religiösen Elemente im Weltbild „des Führers“ mehr der Propaganda als eigenem Glauben zuschrieb. Bucher gewichtet hier anders; dies soll wohl auch der Titel signalisieren.
In drei großen Abschnitten mit zehn Kapiteln beschreibt Bucher zunächst das Verhältnis Hitlers einerseits zur katholischen Kirche (der er entstammte), andererseits zur „Völkischen Religiosität“, mit der viele seiner Anhänger sympathisierten. Er analysiert weiter die für Hitler zentrale religiöse Kategorie der „Vorsehung“, mit deren Hilfe dieser sein eigenes Tun geschichtstheologisch überhöhte und zu einem metaphysischen Kampf zwischen den Mächten von Gut und Böse stilisierte, wobei das Judentum für ihn das Böse schlechthin verkörperte. Diese metaphysische Überhöhung blanker Machtpolitik stieß paradoxerweise auch bei einigen katholischen Theologen auf Resonanz, bei den wenigen „Brückenbauern“ zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus (Karl Adam, Michael Schmaus, Joseph Lortz), die Hitlers Projekt einer antipluralistischen Modernisierung kirchenreformerisch nutzen wollten; es waren, im zeitgenössischen Verständnis, eher „progressive“ als „konservative“ Theologen. Konsequent mündet die Analyse dieser Brückenbau-Versuche in eine praktisch-theologische Gewissenserforschung: Welche Ängste und Sehnsüchte machten und machen Christen anfällig für die Versuchung des Totalitarismus?
In der Analyse ist Bucher weniger plakativ als im Titel des Buches. Deutlich arbeitet er heraus, dass Hitler seine Bewegung zunächst als politische Bewegung auf der Grundlage eines vermeintlich wissenschaftlichen Rassismus verstanden wissen wollte. Er selbst formulierte 1938: „Der Nationalsozialismus ist eben keine kultische Bewegung, sondern eine aus ausschließlich rassischen Erkenntnissen erwachsene völkisch-politische Lehre. In ihrem Sinne liegt kein mystischer Kult, sondern die Pflege und Führung des blutbestimmten Volkes“ (zit. 63). Natur und Volk sind die eigentlichen Bezugspunkte von Hitlers Denken und Handeln, vermittelt durch vermeintlich naturwissenschaftliche (und vermeintlich unwiderlegbare) Erkenntnis. Die metaphysische Überhöhung dieses Sachverhalts dient – planmäßig oder unbewusst – dazu, das eigene Handeln mit der nur dem Religiösen zukommenden Unbedingtheit, mit der Glorie heiliger Verpflichtung auszustatten. Das zeigt ein weiteres Hitler-Zitat aus dem Jahr 1944: „Im tiefsten Inneren bin ich doch ein frommer Mensch, d. h. ich glaube, dass, wer den Naturgesetzen, die ein Gott geschaffen hat, entsprechend auf dieser Welt tapfer kämpft und nie kapituliert – dass der dann auch von dem Gesetzgeber nicht im Stich gelassen wird, sondern dass er endlich doch den Segen der Vorsehung bekommt“ (zit. 96f). Hitler kombiniert also ein krudes sozialdarwinistisches Weltbild mit einem messianischen Erwählungsgedanken, den er teils auf das Volk, teils auf sich selbst als Person bezieht. Ob man dies als „Hitlers Theologie“ bezeichnen sollte, scheint mir zweifelhaft; zu unstrukturiert und unsystematisch sind die religiösen Vokabeln in Hitlers politische Rhetorik eingestreut. Aber sie begründen seinen ganzheitlichen, umfassenden Gefolgschaftsanspruch gegenüber den Menschen. Nur in dieser pseudoreligiösen Überhöhung kann gelten: Du bist nichts, dein Volk ist alles.
Hitler enthebt mit Hilfe religiöser Überhöhung seine Politik der Alltäglichkeit individueller und materieller Interessen. Und genau hier, im Drang zum Heroischen, diagnostiziert Bucher auch eine religiöse Versuchung. „Der Heroismus als Existenzkonzept ist auch eine religiöse Herausforderung. Denn religiöse Menschen haben, so ihr Glauben, mit dem Erhabensten, dem Außergewöhnlichen und der Hoheit an sich zu tun, die von ihnen zudem einiges fordert und der sie, vielleicht mehr als andere, dieses zu geben auch bereit sind. Doch der Heroismus als Existenzkonzept ... entsolidarisiert von den Menschen außerhalb meiner selbst, von ihrem Alltag und ihrer Erbarmungswürdigkeit. Ihre Nöte und Sorgen werden tendenziell verachtet. Der Heroismus als Existenzkonzept ist die Flucht vor der Erbarmungswürdigkeit auch der eigenen Existenz“ (167).
In solchen überraschenden Transfer-Gedanken der von „Hitlers Theologie“ inspirierten Gewissenserforschung liegt aus meiner Sicht der Hauptreiz von Buchers Werk. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als politischer Religion inspiriert zu grundsätzlichen Erkenntnissen über das, was im Gegensatz zu dieser pervertierten Religion das Christentum ausmacht. So betont Bucher – im Kontrast zur brutalen Selbsterlösung eines selbsternannten Herrschers – die politische Konsequenz einer Erlösung aus Gnade: „Die Option für die Freiheitsrechte des Einzelnen statt der Erlösungsvision einer bergenden Gemeinschaft, die Option für die Identifikation mit den leidenden Menschen statt mit politischen Gebilden, die Option für die Ausrichtung eines Gemeinwesens auf die Alltäglichkeit des Lebens der Menschen in ihnen statt auf heroische Existenzentwürfe“ (170).
Adolf Hitler, so mein Fazit aus diesem Buch, hat in einer grotesken Mischung von Szientismus und Erwählungsgedanken ein politisches Projekt verfolgt, dessen menschenfeindliche Konsequenz auch aus pervertierter Religiosität gespeist wurde. Aufgabe aktueller und künftiger Theologie wäre es, eben solche Perversionen schon im Ansatz zu entlarven und dadurch ihre Wirksamkeit entscheidend zu schwächen. Dazu hat Rainer Bucher einen wichtigen und intellektuell überaus anregenden Beitrag geliefert.
Lutz Lemhöfer, Frankfurt