Andrea Bachmann-Stein

Horoskope in der Presse. Ein Modell für holistische Textsortenanalysen und seine Anwendung

Andrea Bachmann-Stein, Horoskope in der Presse. Ein Modell für holistische Textsortenanalysen und seine Anwendung (= Arbeiten zu Diskurs und Stil, Bd. 8), Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main 2004, 276 Seiten, 51,50 Euro.

Katja Furthmann, Die Sterne lügen nicht. Eine linguistische Analyse der Textsorte Pressehoroskop, Vandenhoeck & Ruprecht unipress, Göttingen 2006, 546 Seiten, 67,90 Euro


Horoskope zählen zu den meistgelesenen Texten in Zeitungen und Zeitschriften. Dass sie aus sprachwissenschaftlicher Perspektive zum Untersuchungsgegenstand in zwei Dissertationen erhoben werden, mag zunächst überraschen. Vielfach als trivial oder banal abgetan, spielen sie als Alltagsphänomen eine wichtige Rolle, so dass sich eine genauere Analyse durchaus lohnt. Beide Autorinnen betreten mit ihrem Untersuchungsgegenstand sprachwissenschaftliches Neuland.

Die Saarbrücker Dissertation vonAndrea Bachmann-Stein analysiert Horoskope aus dem Jahr 1999 in Publikumszeitschriften wie Bravo, Brigitte, Hörzu und Stern. Auf dieser relativ schmalen Basis legt sie ihrer „holistischen Textsortenanalyse“ ein mehrdimensionales Modell zugrunde. Im Zentrum steht die empirische Analyse (79-246), die sich mit Kommunikationssituation, materialer Textgestalt, Handlungsstrukturen, Textsortenstil und sprachlicher Realisierung befasst. Zahlreiche Übersichten und Grafiken illustrieren die jeweiligen Themen und sprachlichen Besonderheiten dieses Genres.

Die abschließenden Ergebnisse (247ff) arbeiten die für ein Pressehoroskop typischen Eigenschaften heraus. Weltanschauliche Aspekte hingegen fehlen ganz. Der Stellenwert dieser Horoskope im Kontext moderner Astrologie wird nicht reflektiert. Das Ergebnis: Die Kommunikationssituation zwischen Verfasser und Leser ist anonym gehalten. Das Horoskop weist eine Mehrfachadressierung auf, um möglichst viele Leser anzusprechen. Hinzu kommt die „thematische Geprägtheit“. Zentrale Inhalte bilden die Themenkomplexe Liebe, Beruf/Schule, Gesundheit, Familie und Freunde. Das Horoskop vermittelt dem Leser das Gefühl, „dass er im Alltag nicht alleine und/oder unverstanden ist“ (249). Am Ende der Vergleichsanalyse konstatiert die Autorin einen jeweils unterschiedlich ausgeprägten „Voraussagecharakter“. So mündet ihre Untersuchung in das Plädoyer, Horoskope als Textsorten auch im Schulunterricht zu verwenden: „Horoskope stellen eine von vielen belächelte, aber dennoch gern rezipierte kommunikative Praktik dar; ihre linguistische Analyse legt eine Vielgestaltigkeit offen, die den stereotypen Charakter des ersten Eindrucks widerlegt und die sich in didaktischer Hinsicht als besonders ergiebig erweist.“ (265)

Von einer wesentlich breiteren Textbasis geht die Greifswalder Dissertation von Katja Furthmann aus. 3000 Horoskope aus 24 verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften legt sie ihrer Auswertung zugrunde. Darunter finden sich neben Tageszeitungen auch Frauenzeitschriften, Wochenmagazine, Programmzeitschriften und Blätter der sog. Regenbogenpresse. Zahlreiche Tabellen und Schautafeln illustrieren und elementarisieren die Analyse. Die Autorin will nicht der Frage nachgehen, „ob und warum Horoskope Unsinn sind oder ob sie tatsächlich zutreffen“ (5). In einer Art Apologie für die Wahl des Untersuchungsgegenstandes setzt sie sich kritisch mit – auch von wissenschaftlicher Seite – verbreiteten Vorurteilen auseinander.

Im Zentrum ihres Interesses stehen insbesondere die sprachlichen und inhaltlichen Charakteristika der Zeitschriftenastrologie. Die Autorin konstatiert zu Recht eine Bedeutungserweiterung des Begriffes Horoskop: Im Sprachgebrauch wird der Begriff nicht mehr nur auf Individualhoroskope bezogen, die aus persönlichen Daten errechnet wurden, „sondern – ob nun berechtigter- oder unberechtigterweise – ebenso auf eine Textsorte der Massenmedien“ (43). Umsichtig und differenziert stellt sie heutige Erscheinungsformen der Astrologie vor und unterscheidet zwischen „seriösen“, „popularisierten“ und „vulgären“ Formen, ohne die Vermischungen und die daraus resultierenden Probleme zu verschweigen. Die Autorin verfolgt einen integrativen Ansatz, indem sie die spezifischen Aspekte eines allgemeinen Kommunikationsprozesses sowie die sprachlichen, situativ-kontextuellen, psychologischen und gesellschaftlich-sozialen Faktoren berücksichtigt (34).

Die Arbeit gliedert sich in zehn Kapitel. Nach einer Einführung und wissenschaftlichen Vorklärungen erläutert sie das Verhältnis zwischen Astrologie und Horoskopen (Kap. 2) und erörtert die textlinguistischen Voraussetzungen (Kap. 3). Anschließend widmet sie sich dem „situativ-kommunikative(n) Umfeld von Pressehoroskopen“ (Kap. 4). Recherchen der Autorin bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften ergeben, „dass Pressehoroskope in der redaktionellen Praxis auf drei Arten produziert werden: (1) über einen Astrologen bzw. ein Astrologenteam, (2) über eine Medienagentur oder (3) mit zeitschrifteninternen Produktionsmethoden.“ (102) Die Arbeit nimmt neben den Produzenten auch die Rezipienten in den Blick. Zur Untermauerung ihrer Thesen hat die Autorin eine Erhebung durchgeführt, die u.a. zu dem Ergebnis führt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten die Horoskope nebenbei liest. Und es sind mehr Frauen als Männer, die sich dieser Lektüre widmen. Die meisten gaben an, dass die Aussagen des jeweiligen Horoskops nur selten zuträfen. Im Anschluss an Theodor W. Adorno beobachtet die Autorin dabei eine „Pseudoindividualisierung“: Pressehoroskope richten sich an ein Massenpublikum, inhaltlich richten sie sich scheinbar an einen individuellen Adressaten (142).

Das 5. Kapitel befasst sich mit der „Funktionalität von Pressehoroskopen“ (147ff), wobei hier wichtige Aspekte im medialen Kontext herausgearbeitet werden. Im anschließenden 6. Kapitel stehen inhaltlich-thematische Aspekte im Mittelpunkt. Die Autorin listet mehrere Themen auf, von Liebe/Partnerschaft über Beruf und Geld bis zur Gesundheit, die sie wiederum in „grundlegende Prinzipientopoi“ untergliedert. Sie sind jeweils am Aufruf zur Mäßigung orientiert: „Extreme gilt es zu vermeiden bzw. auszugleichen, konträre Verhaltensweisen werden auf unterschiedliche Zeiten verteilt, nur so könne Widersprüchliches miteinander vereinbart und das Ziel, ein glückliches und harmonisches Leben zu führen (,Finaltopos’), erreicht werden.“ (275)

Auf „Prinzipien der Formulierungsadäquatheit“ geht der umfangreichste Abschnitt des Buches (Kap. 7) – er umfasst allein rund 180 Seiten – ein. Darin werden die herkömmlich als vage und schwammig beschriebenen Aussagen von Pressehoroskopen eingehend untersucht. Dabei filtert die Autorin sieben fundamentale Prinzipien heraus, die es ermöglichen, eine Sprachform für ein Massenpublikum wie auch für jeden Einzelnen zu finden. Mit der Frage, wie ein Horoskop „funktioniert“, befasst sich das achte Kapitel. Der sog. Barnum-Effekt wird hier ebenso diskutiert wie „selektives Wahrnehmen und Erinnern“, „Effekte sozialer Erwünschtheit“ oder die sog. „selbsterfüllende Prophezeiung“. Das Resümee lautet: „Leser, die behaupten, ihr Horoskop ,stimme’ wieder einmal voll und ganz, verkennen dabei, dass sie selbst es sind, die das Horoskop als zutreffend konstruieren – sie verwechseln bzw. vermischen ,external plot’ und ,internal plot’ und bemerken nicht, dass sie sich sozusagen selbst wahrsagen“ (471). Mit „Erscheinungsformen des Horoskops in den Massenmedien“ befasst sich das neunte Kapitel. Hier wird eine Typologisierung der Pressehoroskope vorgenommen. Ein Exkurs über Astro-Beratung im Fernsehen („AstroTV“) schließt sich daran an (496ff). Beim Astro-Beratungsgespräch im Fernsehen ließen sich demzufolge drei Phasen beobachten: Initialisierungsphase, Problembehandlung und -beratung sowie die Beendigungsphase, wobei der Ratsuchende optimistisch und lebensbejahend verabschiedet wird. Die Autorin versucht auch Gründe für die Attraktivität solcher Sendungen zu benennen (505f).

In ihren Schlussbetrachtungen (Kap. 10) fasst sie ihre Untersuchungsergebnisse prägnant zusammen. Demzufolge stellt das Pressehoroskop „zumindest aus sprachwissenschaftlicher Perspektive mitnichten ein triviales, banales oder gar primitives Phänomen“, sondern vielmehr ein „vielschichtiges und perspektivenreiches Textsortenmodell“ dar. Es weist Nähen zu Astrologie und Esoterik auf, zugleich handelt es sich um ein massenmediales Phänomen, das seine weitere Erforschung aus interdisziplinärer Perspektive (Psychologie, Sprach- und Medienwissenschaft, Soziologie) lohnenswert erscheinen lasse.

Fazit: Beide Arbeiten unterscheiden sich von Umfang, Textbasis und Art der Durchführung her beträchtlich voneinander. Zweifelsohne kommt der Arbeit von Katja Furthmann der Charakter eines Standardwerkes zu. Es bleibt zu hoffen, dass die über 500 Seiten umfassende Analyse den an der Thematik interessierten Leser nicht allzu sehr abschreckt. Wer mehr über Konzeption, sprachliche Gestalt und plausible „Wirkweisen“ von Pressehoroskopen erfahren möchte, dem sei dieses flüssig geschriebene und stringent gegliederte Werk dringend empfohlen. Es hält für die weltanschauliche Auseinandersetzung neben wissenschaftlich fundierten Fakten zahlreiche Verständnishilfen für ein bislang unterschätztes massenmediales Alltagsphänomen bereit.


Matthias Pöhlmann