How to Be an Antiracist
Ibram X. Kendi, afroamerikanischer Akademiker und Autor (von bislang vier Büchern) hat in seinem Kampf gegen Rassismus sein Lebensthema gefunden und damit den Gipfel amerikanisch-afrikanischer Geschichtswissenschaft erklommen. Seit Juli 2020 ist er Professor an der Universität von Boston und Direktor des neu gegründeten „Boston University Center for Antiracist Research“. Er ist, mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, zur Ikone der afroamerikanischen Antirassismus-Bewegung geworden. Das Time-Magazin zählte ihn 2020 zu den 100 wichtigsten Personen des Jahres. Sein Buch liegt auf allen Büchertischen Amerikas und Europas, wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und verkaufte sich Millionen Mal. Kendi stammt aus einer christlichen, evangelikal orientierten „Black Church“. Seine Eltern hatten sich früh der „Black Theology“ und der „Black Power“-Bewegung verschrieben (Malcom X, Stokely Carmichael u. a.).
Das Buch ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Rassismus und eingebettet in grundsätzliche Sachanalysen über Rassismus und Antirassismus. Diese Mischung ist gut zu lesen und hat sicherlich erheblich zum Erfolg des Buches beigetragen. Kendis Sprache ist zugespitzt, herausfordernd, scharfe Bewertungen nicht scheuend und stets die Kontroverse suchend. Der Autor versteht sich als Missionar und zugleich als politischen Kämpfer: „I cannot disconnect my parents’ religious strivings to be Christian from my secular strivings to be an antiracist“ (17). Und so bekennt er, dass er in einer Mission unterwegs sei: „A mission to uncover and critique America’s life of racist ideas turned into a mission to uncover and critique my life of racist ideas, which turned into a lifelong mission to be antiracist“ (228).
Die missionarische Grundhaltung drückt sich in einer – mitunter sehr irritierenden – belehrenden Sprache aus. Jedes Kapitel wird mit kurzen kontrastierenden Definitionen („rassistisch“, „antirassistisch“) eingeleitet. Die Exkurse in die amerikanische Geschichte sind kenntnisreich und offenbaren einen jahrhundertealten Rassismus, der tief in die Grundstruktur der Gesellschaft eingedrungen ist. Kendi zeichnet aber ein Bild, als ob es bis heute buchstäblich nur „Schwarz“ und „Weiß“ gebe. Neutralität ist nicht möglich. Entweder ist man „Rassist“ oder „Antirassist“. Wer behauptet, er sei „not racist“, zeige damit nur seinen versteckten Rassismus. Der Autor lässt uns wissen, dass der Rassismus in allen Sektoren der Gesellschaft, in allen Lebenswelten regiere: biologisch, ethnisch, sozial, politisch, kulturell und schließlich auch im Geschlechterverhältnis und in der Sexualität.
Wer im Blick darauf Ungleichheiten zwischen Rassen zu konstatieren glaube, sei „rassistisch“ (20f). Dies gelte nicht nur z. B. für die „Segregationisten“, die von der unveränderlichen Inferiorität einer Rasse ausgingen, sondern auch für die „Assimilationisten“, die glaubten, mit kulturellen oder verhaltensfördernden „enrichment programs“ zur Weiterentwicklung einer „racial group“ beizutragen (24). Davon nimmt er aber ausdrücklich die von ihm befürwortete Politik der Gegendiskriminierung aus („reverse discrimination“). Die weißen Kritiker dieser auf Gleichberechtigung zielenden Politik würden sich in der Opferrolle gefallen und entfachten deshalb einen massiven Widerstand (20). Sklaverei, Kolonialismus, Imperialismus, Diskriminierung, ja sogar der Klimawandel, alles sei das Werk des weißen Mannes. Die „Whiteness“ verkörpert aus Sicht des Autors faktisch das elementar Böse, das in sehr verschiedenen Ausdrucksformen auftritt, sowohl offen als auch versteckt, und Schwarze und Weiße gleichermaßen betreffen kann. Das Phänomen eines schwarzen Rassismus verschweigt er nicht und nimmt sich dabei nicht aus: „I love Black people, but I hate niggers and White people“ (137). „Nigger“ sind für Kendi jene, die sich der weißen Vorherrschaft ohne Kritik und Widerstand beugen.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass er offenbar jedwede, wie auch immer begründete soziale Differenzierung als „Rassismus“ verwirft. Jedenfalls wird nicht klar, wie seine Vision von Gleichheit („equity“) in einer hoch differenzierten und pluralistischen Gesellschaft umgesetzt werden soll. Irritierend ist sein Vergleich von Rassismus mit einem sich rasch ausbreitenden Krebs, dessen zerstörerische Kraft er an sich und in seiner Familie in tragischer Weise selbst erfahren hat. Rassismus, so schlussfolgert er, „is one of the fastest-spreading and most fatal cancers humanity has ever known“ (238). Es scheint ihm nicht aufzufallen, dass er mit diesem Biologismus seiner mehrfach elaborierten Grundthese, der Rassismus sei ein Machtkonstrukt, um die weiße Herrschaft zu befestigen, widerspricht.
Obwohl er es nicht explizit sagt, zeigt sein Buch eine große Nähe zur sogenannten „Critical Race Theory“, die inzwischen weit über die meist links-grünen Protagonisten hinaus die Regierungsebene hierzulande erreicht hat (so z. B. im Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus der Bundesregierung, 2021). Kendi sympathisiert mit der militanten „Black Lives Matter“-Bewegung und schlägt Maßnahmen gegen Rassismus vor, etwa durch ein „Ministerium für Antirassismus“, das, mit weitreichenden exekutiven Befugnissen ausgestattet, „rassistische“ Elemente in Recht, Politik und Alltagswelt eliminieren solle. Solche Empfehlungen wären Wasser auf die Mühlen zahlreicher selbsternannter „antirassistischer“ Bewegungen und haben eine unheilvolle Politik des Rassismusverdachts befördert, die ihren Kulminationspunkt in der sogenannten „Cancel Culture“ gefunden hat. Treffend schrieb dazu René Pfister: „Es wäre die Abschaffung der Demokratie im Namen des Fortschritts – eine orwellsche Dystopie“ („Ein Hauch von Nordkorea“, Spiegel vom 18.6.2021).
Ibram X. Kendi: How to Be an Antiracist, The Bodley Head, London 2019, 305 Seiten, 22,00 Euro.
Johannes Kandel, Berlin, 09.11.2021