Frieder Otto Wolf (Hg.)

Humanismus - Reformation - Aufklärung. Forderungen und Vorschläge zur Lutherdekade

Frieder Otto Wolf (Hg.), Humanismus – Reformation – Aufklärung. Forderungen und Vorschläge zur Lutherdekade, HVD-Berlin-Brandenburg, Berlin 2013, 128 Seiten, 5,00 Euro.

2013 hat der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) eine Schrift mit dem Titel „Humanismus – Reformation – Aufklärung“ publiziert, die „Forderungen und Vorschläge zur Lutherdekade“ aus der nichtreligiösen Perspektive von Interessenorganisationen von Humanistinnen und Humanisten enthält.

Die Publikation entfaltet im ersten Teil „Humanistische Perspektiven“ (5-84). Das Zentrum der Überlegungen des HVD zur Lutherdekade ist die kritische Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages, das 500. Jubiläum der Reformation als kulturgeschichtliches „Ereignis von Weltrang“ zu fördern. Der Gedankengang verschiedener Autorinnen und Autoren ist darauf gerichtet, die „fortwirkende, geradezu antihumanistische Nachhaltigkeit, an der Luther nicht unwesentlich beteiligt war“ (7), aufzuzeigen und darauf hinzuweisen, dass der moderne Humanismus eine kulturhistorische Bewegung sei, „die eine Aneignung der schon im Alten Rom von der katholischen Staatsreligion unterdrückten heidnischen Antike darstellt, die in der Renaissance aufkommt und das freie Individuum und die Würde des Menschen entdecken lässt – und nicht nur das: Es gehen Schulen, Universitäten, Lyzeen, Akademien, das Symposion, Olympia, Tragödie und Komödie, epische Rezitation, Gesang und öffentliche Rede aus dieser Aneignung hervor, humanistische Renaissance eben … und die Feuerbestattung später auch“ (7). Pointiert kritisch gesehen wird der Personenkult der insbesondere auf Luther konzentrierten historischen Erinnerung. Der HVD widerspricht der engen Verknüpfung zwischen Protestantismus und Moderne. Zentrale Errungenschaften der Moderne werden als Konsequenz einer humanistischen Perspektive und Bewegung begriffen: die Betonung der Autonomie der Person, ihrer Vernunft, ihrer Freiheit und Würde. So weist etwa Hubert Cancik darauf hin, dass Demokratie, Freiheit und Gleichheit in der europäischen Verfassungsgeschichte gerade nicht aus der religiösen Perspektive abgeleitet werden können. „Die Entstehung und Legitimität der Neuzeit liegt früher und tiefer und jenseits der Reformation“ (32). Frieder Otto Wolf, der Präsident des HVD, nennt eine ganze Reihe von Einwendungen zur Konzeption der Lutherdekade: Er hält es für geschichtswissenschaftlich unzureichend, die reformatorische Bewegung auf die deutsche Situation und Luther zu fixieren. Aus seiner Sicht müssen viel stärker die „kontinentaleuropäische Krise“ und die „Reproduktionsprobleme des 16. Jahrhunderts“ mit einbezogen werden, wie sie „sowohl in der Territorialstaatsbildung wie in den kirchlichen Prozessen von Reformation“ und katholischer Reform bearbeitet wurden (45). „Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus, Reuschlin, Hutten und andere west- und nordeuropäische oder auch deutsche Humanisten waren nicht einfach Vertreter eines Momentes der Geschichte, der mit dem Auftreten der Reformation beendet gewesen wäre. Sie lassen sich auch nicht triftig als bloße Vorgänger der Reformationsprozesse begreifen. Vielmehr waren sie Vertreter eines Übergangs zu einem neuen Typus gesellschaftlicher Kommunikation, der sich auf Druckschriften, Flugblätter und Schaubilder stützte und auf diese Weise Eliten, Mitglieder und Massen in gleicher Weise erreichte“ (49). Charakteristisch ist auch der Beitrag von Perdita Ladwig. Sie geht auf das Themenjahr 2015 „Bild und Bibel“ ein und leitet als Kulturwissenschaftlerin ihren Beitrag mit der Überlegung ein, dass sich bei Lucas Cranach dem Jüngeren und seiner Künstlerwerkstatt die Kultur der Renaissance und das Bekenntnis zum Luthertum verbinden. „Aus dieser Konstellation ergibt sich … eine problematische ‚Engführung‘ des Renaissancebegriffs, die mit einer Aufladung der Reformation korreliert. Denn indem vornehmlich die ‚Signatur des Protestantischen in der modernen westlich geprägten Kultur‘ betont wird, suggeriert die Konzeption des wissenschaftlichen Beirates der Luther-Dekade eine weitgehende Herleitung der Moderne, insonderheit ihrer positiven Ausprägungen, aus den Wirkungen der Reformation – ohne dabei nach dem kulturellen Erbe der Renaissance zu fragen“ (54). Ralf Schöppner analysiert das Buch von Bernd Rebe über „Die geschönte Reformation“. Er präsentiert diese Schrift nicht unkritisch, unterstreicht jedoch vor allem den Gedanken Rebes, dass der Reformator „heute eigentlich nicht mehr wirklich zur Orientierung dienen kann und dass die protestantischen Kirchen dennoch bis heute an einem einseitig verzerrten Lutherbild“ festhalten (68).

Im zweiten Teil der Publikation werden „Humanistische Projekte“ vorgestellt (85-126), für deren Ausgestaltung eine staatliche Förderung in Anspruch genommen werden soll. Unter dem Thema „Berliner Humanistengemeinde“ erinnert Horst Groschopp in einem Beitrag an „Die Försters“ und fragt, inwieweit die Anliegen und Aktivitäten von Wilhelm Foerster (gestorben 1921) und seiner Söhne Karl Förster (gestorben 1970) und Friedrich Wilhelm Foerster (gestorben 1966) Impulse für das Selbstverständnis eines modernen und praktischen Humanismus geben können. Er geht dabei auf Jugendarbeit und Lebenskunde, ebenso auf die Rassen- und Friedensfrage ein. Wilhelm Kreutz befasst sich in seinem Beitrag mit dem Lutherdenkmal in Berlin und seiner Geschichte. Susanne Lanwerd, Peter Tucholski, Justus H. Ulbricht legen Vorschläge zu einer Ausstellung des HVD zum Thema „Humanismus in der Gesellschaft“ vor und skizzieren ein Projekt, dessen zeitlicher Horizont von der Antike bis in die Jetztzeit reichen und dabei auch den Bezug zu humanistischen Ideen zum Protestantismus und Katholizismus verdeutlichen soll. Isabella Mamatis entwirft eine interaktive Inszenierung mit Künstlern aller Sparten und Schülern des Luthergymnasiums zu der Frage: „Wie hat sich der reformatorische Freiheitsbegriff entwickelt und was ist bis heute daraus geworden?“ (123). Ralf Schöppner skizziert Planungen für Konferenzen der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg zum Verhältnis Humanismus und Reformation. Dabei geht es vor allem um eine historische Analyse und Einordnung der Reformation in den Kontext der frühen Neuzeit. Ebenso sollen Gefährdungen des Humanismus thematisiert werden und nach humanistischen Anschlussmöglichkeiten im Blick auf den Protestantismus und seine Kulturen gefragt werden und dies angesichts des modernen Pluralismus von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

Die verschiedenen Beiträge zeigen, wie eine christentums- und religionskritische Perspektive zur Lutherdekade und zum Reformationsjubiläum aussehen kann und welche Anliegen und Argumente ins Spiel gebracht werden. Die inhaltliche Qualität der Texte variiert. Die skizzierten Einwände zur Reformationsdekade bestimmen auch innerprotestantische Diskurse. Die Kritik des Reformationsjubiläums ist das Verbindende der Beiträge. Negation und Ablehnung sind jedoch keineswegs ausschließlich bestimmend. Außenperspektiven können Anlass zur besseren Wahrnehmung der Perspektiven des Anderen und der eigenen sein. Kaum reflektiert ist in den „Forderungen … zur Lutherdekade“ der Sachverhalt, dass im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Begriff Humanismus für zahlreiche kultur- und gesellschaftspolitische Programme in Anspruch genommen wird. Eine mehr oder weniger deutlich werdende exklusive Berufung auf die humanistische Tradition in atheistischen und freidenkerischen Milieus wird dem kulturprägenden Phänomen Humanismus und seiner Bedeutungsgeschichte nicht gerecht.


Reinhard Hempelmann