Säkularer Humanismus

Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg soll in Berlin KdöR werden

(Letzter Bericht: 5/2017, 190f) Am 14. November 2017 brachte der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (DIE LINKE) in die Senatssitzung den Vorschlag ein, dem HVD Berlin-Brandenburg den Körperschaftsstatus zu verleihen. Den Antrag Lederers nahm der Senat „zustimmend zur Kenntnis“ (vgl. https://humanistisch.de/x/hvd-bb/presse/2017112136). Ein Wechsel im Organisationsstatus des Verbandes dürfte damit vorgezeichnet sein. Bereits vor 20 Jahren war ein erster Antrag des HVD Berlin-Brandenburg gestellt worden. Er wurde aufgrund einer nicht hinreichenden Mitgliederzahl abgewiesen. Ein erneuter Antrag wurde an die Berliner Senatsverwaltung im Januar 2014 gestellt. Mehr als drei Jahre danach wies das humanistische Magazin „diesseits“ in der Ausgabe 2/2017 darauf hin, dass der laufende Antrag kurz vor der positiven Entscheidung stehe. Die Vorbereitungen würden auf „Hochtouren“ laufen. „Wir rechnen mit einem Bescheid im Laufe dieses Jahres.“ Zudem habe das Land Berlin „für die Verleihung einen feierlichen Akt angekündigt“ (diesseits 2/2017, 17).

Im August 2017 veröffentlichte der HVD Berlin-Brandenburg die 40-seitige Broschüre „Statuswechsel. Vom Verein zur Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Ausführlich werden darin die Vorteile der Organisationsform Körperschaft dargestellt und viele praktische und kritische Fragen beantwortet. Aus der Broschüre geht auch hervor, dass der Antrag auf einen Statuswechsel im Land Brandenburg 2018 folgen soll.

Vom Wechsel der Organisationform verspricht sich der HVD in Berlin einen Bedeutungsgewinn in politischen und gesellschaftlichen Debatten. Er geht davon aus, dass seine politischen Forderungen größere Realisierungschancen haben: die Präsenz im Rundfunkrat, die Berücksichtigung bei Staatsakten, der Ausbau der Humanistischen Lebenskunde an öffentlichen Schulen, die Errichtung einer Universitätsprofessur für Humanistik. Angestrebt wird ebenso ein Staatsvertrag bzw. ein Verwaltungsvertrag, der verlässliche Finanzierungsmodelle für soziale und bildungsbezogene Angebote ermöglichen soll.

Die vorgesehene Gleichstellung des HVD Berlin-Brandenburg mit den christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften (in Berlin sind es insgesamt 29 religiöse Körperschaften) stieß in atheistischen und humanistischen Kreisen keineswegs nur auf ein positives Echo, sondern auch auf Skepsis. Der Kampf gegen die sogenannten Kirchenprivilegien, der zahlreiche Aktivitäten humanistischer Verbände mitbestimmt, verliert an Plausibilität, wenn eine organisationsbezogene „Kirchenförmigkeit“ angestrebt und gewährt wird. Bis heute bleiben die Zielperspektiven humanistischer Verbände, von denen einige (Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, NRW) schon seit Langem als Körperschaften organisiert sind, unklar und nicht eindeutig: Fordern sie positive oder negative Gleichbehandlung? Geht es dem HVD um eine stärkere Beteiligung etwa im Bildungs- und Sozialbereich oder um die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche. Eine religionsähnliche Organisiertheit passt nicht zum Plädoyer für einen laizistischen Staat. Abbau von Kirchenprivilegien, Inanspruchnahme eben dieser unter befristetem Vorbehalt und bewusste Inanspruchnahme von Privilegien: Dies soll gewissermaßen gleichzeitig praktiziert werden. Der Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands, Frieder Otto Wolf hat dieses spannungsvolle Konzept mit der Chiffre der „kooperativen Laizität“ bezeichnet. Begrifflichkeit und Sache sind jedoch in sich widersprüchlich. Eine plausible Zielperspektive fehlt.

Für Außenwahrnehmungen des HVD bleiben im Blick auf die angegebenen Mitgliederzahlen viele Fragen offen. In der vom HVD Berlin-Brandenburg veröffentlichten Broschüre zum Statuswechsel heißt es: „Als gesellschaftlicher Akteur ist der Verband aus Berlin und Brandenburg nicht mehr wegzudenken, die Mitgliederzahl ist auf über 13 000 gestiegen“ (11). Kriterien für Mitgliedschaft werden nicht genannt. Wie kommt die neue Zahl angesichts bisheriger deutlich geringerer Zahlenangaben zustande? 1999 scheiterte die Anerkennung als Körperschaft u. a. daran, dass die Mitgliederzahlen nicht ausreichend waren (900). Die Gesamtzahl der Mitglieder humanistischer und atheistischer Organisationen in Deutschland wurde in verschiedenen Publikationen säkularer Verbände in den letzten Jahren mit 20000 bis 25000 angegeben.

In zahlreichen Publikationen wird heute von Vertreterinnen und Vertretern des HVD betont, ein Verweis auf Mitgliederzahlen sei überhaupt problematisch. Das Modell „traditioneller Kirchenförmigkeit“ in der Mitgliedschaft sei aus der HVD-Perspektive „kein tragfähiger Maßstab“ mehr (diesseits 2/2017, 13). Verwiesen wird dabei auf Akteure wie die jüdischen Gemeinden oder die Alevitische Gemeinde Deutschland. Sich selbst sieht der HVD als „Interessen- und Kulturorganisation von konfessionsfreien und nichtreligiösen Menschen“. Der manchmal explizit oder implizit erhobene Anspruch, die zahlreichen religionsdistanzierten Menschen in Berlin und in Deutschland (mehr als ein Drittel der Bevölkerung) zu repräsentieren, ist allerdings deutlich zurückzuweisen. Der HVD kann für seine Mitglieder sprechen, aber nur für sie. Alles andere wäre eine unzulässige Vereinnahmung. Auch wenn es zutrifft, dass der HVD in Berlin die Anzahl seiner Einrichtungen ausgeweitet hat und die Humanistische Lebenskunde eine zunehmende Resonanz findet, muss es eine nachvollziehbare Auskunftsfähigkeit des Verbandes im Blick auf seine Mitglieder geben.


Reinhard Hempelmann