Bernhard Grom

„Ich bin Kraft! Ich bin gesund!“

Wunderglaube in alternativ-esoterischen Heilungsangeboten

Heilungsoptimismus

Der Wunderglaube der Gegenwartsesoterik erhofft nicht – wie das traditionelle christliche Gebet für Kranke oder der herkömmliche Gang zu einem Wallfahrtsort – ein außergewöhnliches Wirken des souveränen Schöpfers, sondern setzt eher auf höhere Kräfte, die im Kosmos vorhanden sind und durch intuitiv begabte Vermittler bzw. eigene Glaubensstärke abgerufen werden können. In diesem Heilungs- und Gesundheitsoptimismus kommt nicht nur die gegenwärtige fast kultische Hochschätzung von Gesundheit zum Ausdruck, sondern auch eine Sehnsucht nach Geborgenheit im Leben, die sicher urmenschlich ist. Das sollen ausgewählte Ansätze und Angebote zeigen. Diese kann man sowohl esoterisch als auch pragmatisch und nicht-esoterisch verstehen. Beispielsweise kann man altüberlieferte Wege wie Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin oder Homöopathie mit der Bereitschaft praktizieren, sie nach den Maßstäben der wissenschaftlichen Medizin zu prüfen und ihren Weltbildhintergrund im Licht philosophischer und theologischer Argumente zu reflektieren. Man kann sie aber auch so verstehen, dass sie sich nur einer eigenen, angeblich „transrationalen“ Erkenntnis erschließen, die lediglich besonders Intuitiven, Sensitiven und Initiierten zugänglich sei. Die folgenden Angebote kann man also mit unterschiedlichen Einstellungen vertreten.

Reiki

Reiki wird für körperliche Krankheiten aller Art, für emotionale Probleme und die Erlangung eines höheren Bewusstseins angeboten. Oft empfiehlt man eine Behandlung von sechs bis zehn einstündigen Sitzungen. Der Heiler stellt keine medizinische Diagnose, sondern untersucht die Energiezustände: In tiefer Konzentration legt er etwa zehn Minuten lang seine Hände auf die Stirn des Klienten und wechselt dann nach einem bestimmten Ritual zu anderen Körperbereichen. Bei Erkältung oder Schwerhörigkeit berührt er die Ohren, bei Kopfschmerzen oder Schlaganfall den Hinterkopf, bei Tumoren oder Aids die Seite links hinter der Brust. Dies soll die Blockaden der universellen Lebensenergie – eben Reiki – auflösen und deren Grundkräfte Yin und Yang harmonisieren. Zur vollen Ausübung, zumal für Fernheilungen, muss dem Heiler bei einer „Einweihung“ von einem Meister der Kanal mit den Chakras, aus dem die heilende Energie durch die Hände übertragen wird, geöffnet und wieder versiegelt werden. Von Reiki erhofft man sich oft große Wirkungen; man will damit auch schon leere Autobatterien aufgeladen haben. Reiki wird sowohl mit seiner taoistischen Vorstellung von einer Urkraft Chi und der Chakren-Lehre des Kundalini-Yoga angeboten als auch losgelöst davon als Wohlfühl-Angebot mit exotischem Reiz, z. B. an Volkshochschulen.

Therapeutic Touch

Dieses Verfahren, das Dolores Krieger und die Theosophin Dora Kunz entwickelt haben, wird von Tausenden von Krankenpflegekräften angewandt, sogar bei Krebs. Der Heiler sammelt sich und fährt dann mit seinen Händen im Abstand von etwa fünf Zentimetern über den Körper des liegenden Patienten, um die angeblichen Unterschiede in seinem Energiefeld zu erspüren. Durch langsam streichende Bewegungen versucht er es zu glätten, um die Energie des Patienten zu harmonisieren und ihr auch neue Energie hinzuzufügen. Schließlich behandelt er jene Stellen, an denen der Kranke Beschwerden hat oder an denen der Heiler eine Auffälligkeit im Energiefeld entdeckt hat. Er legt die eine Hand auf diesen Fleck und die andere auf die gegenüberliegende Stelle des Körpers und lenkt seine Kräfte ins Energiefeld des Patienten, das er am Ende nochmals glatt streicht.

Geistheilung

In Deutschland wirken schätzungsweise 5 000 bis 7 000 Personen als Geistheiler; von ihnen sind etwa 3 000 im Dachverband „Geistiges Heilen“ organisiert. Letztere verpflichten sich, Kranke nicht von einer medizinischen Behandlung abzuhalten, bieten ihre Hilfe aber bei allen Leiden an. Manche verstehen sich als Gebets- und Glaubensheiler, die Gottes Hilfe für den Kranken durch Handauflegung und Segnung erflehen wollen. Andere wollen einfach verborgene Kräfte der Natur anwenden. „Schamanische“ Geistheiler möchten durch den Beistand und die Kraft des Geistes heilen, und Channeling-Heiler vertrauen auf eine Verbindung (Channel) zur feinstofflichen Welt mit ihren „Heilungskräften“. Im zuletzt genannten Sinn ist der 1976 verstorbene Engländer Harry Edwards, der über zahlreiche Kontakt- und Fernheilungen berichtet hat, für viele zum Vorbild geworden. Er nimmt einen engen Zusammenhang zwischen „Geistkörper“ und „physischem Körper“ an und führt viele körperliche und psychische Leiden auf eine Disharmonie des „Geistkörpers“ zurück. Wenn man nun die „Geistführer“ in den spirituellen Sphären um ihre Hilfe bittet, können sie angeblich das Übel erkennen und über den Heiler durch regelnde Gedankenimpulse die Heilungskräfte des Körpers mobilisieren, so, wie bei einer Wundheilung Blutplättchen aufgerufen werden.

Neugeist-Bewegung und Positives Denken nach Joseph Murphy

Der Glaube der Gegenwartsesoterik, dass Wunder unter günstigen Bedingungen immer möglich sind, wurzelt auch in einem typisch amerikanischen Optimismus, genauer: in der Neugeist-Bewegung, die im 19. Jahrhundert entstand und sowohl die geistheilerische „Christliche Wissenschaft“ als auch das Positive Denken nach Joseph Murpy inspiriert hat. Die Neugeist-Anhänger kennen zwar kein verbindliches Bekenntnis, teilen aber den Glauben an eine Heilung und Selbstverwirklichung durch die Kraft eines „neuen Denkens“, das den Menschen mit seinem göttlichen Selbst verbindet. Demnach ist der Mensch in seinem Kern ewig, gesund und eins mit dem göttlichen All-Geist, den man allerdings weitgehend gleichsetzt mit psychisch-somatischer Energie. (Diese bezeichnet man trotzdem gern mit dem herkömmlichen Begriff „Gott“.) So kommt es also darauf an, schwächende Zweifel, Sorgen, Selbstmitleid und Neid fernzuhalten und stattdessen das Bewusstsein mit Lichtgedanken zu erfüllen.

Beispielsweise empfiehlt Karl Otto Schmidt (1904-1977) in seinen Schriften, die eine Auflage von mehreren Hunderttausend erreichten, man solle – um Gesundheit zu erlangen und zu sichern – möglichst oft folgende Bejahung (Affirmation) wiederholen: „Meinem innersten Wesen nach bin ich frei von Schwäche, Krankheit und Not! Mein innerstes Sein wird von ihnen nicht berührt. Der Geist ist Herr der Materie, der Geist ist gesund! Die erneuernde Kraft des Geistes durchströmt meinen Körper – den Tempel des Geistes – und erfüllt jede Zelle mit neuem Lebens- und Heilmut! Die Kraft des Geistes macht und hält mich gesund! Ich bin Kraft! Ich bin gesund!“ (Schmidt 1971, 121)

Der Auflagen-Millionär Joseph Murphy (1895-1981) hat diese grenzenlose Ermutigung mit großem Erfolg weitergeführt. Bezeichnenderweise empfiehlt er seinen Lesern die Affirmation: „Wunder werden heute in meinem Leben geschehen.“ Murphy hat durch kluge psychologische Ratschläge ohne Zweifel viele Menschen zu mehr Selbstbewusstsein ermutigt und ist deshalb für sie wichtig geworden. Aber die wundergläubige Seite an seiner Variante des Positiven Denkens ist ebenfalls nicht zu übersehen. Murphy, der 28 Jahre lang die „Church of Divine Science“ geleitet hat, die der „Christlichen Wissenschaft“ ähnelt, glaubte mit dem Philosophen Ralph Waldo Emerson an ein Universalbewusstsein, dessen Kräfte wir durch zuversichtliches Denken in uns einströmen lassen können. Er nannte dieses Universalbewusstsein „Gott“ und schlug unbekümmert die Brücke zur Bibel: „Es gibt einen universellen Geist. Durch unser Unterbewusstsein haben wir an dem Universalbewusstsein Anteil. Dies ist die unendliche Kraft in uns, Geist vom Geist Gottes, man braucht sich nur auf diese Kraft einzustimmen. Die Antwort auf Ihr Gebet wird kommen. ‚Und ich, wenn ich erhöht sein werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen‘ (Joh 12,32).“ (Murphy 1986, 220) Nach Murphy liegt das Gute in einer virtuellen Welt bereit; wir müssen es nur abrufen. Ob Finanzprobleme oder Drogenabhängigkeit, Ehekonflikt oder Arthritis – wer sich morgens, mittags und abends durch autosuggestiv gesprochene Affirmationen die Kraft des Glaubens in Erinnerung ruft, kann nach Murphy „jede negative Angewohnheit“ überwinden und „jedes negative Ereignis abwenden“. Ja, er versichert uns wörtlich: „Leben Sie in freudiger Erwartung des Besten, dann wird Ihnen unweigerlich das Beste zuteil werden.“ (Murphy 1986, 193)

Ähnlich wie Murphy behauptet Stuart Wilde, es gebe „Wunder auf Bestellung“: Wir müssten uns nur das Gewünschte täglich so vorstellen, als werde es sicher eintreten. Denn wir hätten doch teil an der „universellen Lebensenergie“ Gott, ja, wir seien sie selbst.

Bach-Blütentherapie

Als Wunderglaube wird wissenschaftlich orientierten Medizinern und Psychologen auch die Blütentherapie nach Dr. Edward Bach erscheinen, obwohl ihre Anhänger nicht so hochgemut von Wundern sprechen wie Murphy. Der anthroposophisch geprägte walisische Arzt Dr. Bach (1886-1936) meinte, jede Krankheit sei durch einen Konflikt zwischen Seele und Geist verursacht und könne darum nur durch spirituelle, geistige Bemühungen geheilt werden. Die Seele, das „Höhere Selbst“, sei der göttliche Funke in uns und übermittle uns den persönlichen Auftrag, den wir im göttlichen Heilsplan haben. Sobald wir aber dem Höheren Selbst zuwiderhandeln, entstehe Disharmonie. Wenn diese schwerwiegend sei und längere Zeit andauere, manifestiere sie sich in einer Krankheit. Demnach hinterlassen Charakterfehler in unserem Körper ihre Spuren: Körperlicher und seelischer Schmerz sind die Folgen einer Grausamkeit, die wir anderen zugefügt haben; Augenprobleme weisen auf falsches Sehen hin sowie auf das Unvermögen, evidente Wahrheiten zu erkennen usw. Um Krankheiten vorzubeugen und sie zu heilen, müsse man auf die sieben negativen Gemütszustände achten: Angst, Überempfindlichkeit, Unsicherheit, Einsamkeit, mangelndes Interesse an der Gegenwart, Mutlosigkeit und übertriebene Fürsorge für andere.

Als Dr. Bach einmal in einer Stimmung starker Zukunftsangst an einer Weggabelung lag und einen blühenden Ginsterbusch neben sich entdeckte, kam er zu der Überzeugung, dass Essenzen, die aus bestimmten Blüten hergestellt und wie in der Homöopathie stark verdünnt werden, die geistige Kraft der „Pflanzenseelen“ enthalten, unsere Schwingungen heben und uns spirituelle Kraft verleihen können. Anders als die Pflanzenheilkunde verwendete er ausschließlich die Blüten und ordnete intuitiv 38 Heilpflanzen 38 negativen Gemütszuständen zu: Espe gegen Angst, Holzapfel gegen Verzagtheit, Herbstenzian gegen Depressionen. Eine spezielle Kombination (Notfall-Tropfen) soll bei besonderen Stresssituationen, Herzanfällen und Atemnot helfen. Man kann die Essenzen einnehmen, am Körper tragen oder am Bett anbringen. In der Bach-Blütentherapie, die inzwischen das Internet, den Büchermarkt und die Volkshochschulen erobert hat, steht die Behandlung psychischer Probleme im Vordergrund; es kann aber auch schon mal passieren, dass Krankenschwestern den Arzt beschwören, eine Zeitlang nicht an ein Krankenbett zu gehen, weil sie dort Bach-Blütenessenzen angebracht haben.

Heilungserwartungen mit unterschiedlichen energetischen Vorstellungen

Manche reden von Schwingungen, manche von feinstofflichen, astralen Energien, sei es das indische Prana, das chinesische Chi/Ki oder das Emerson‘sche Universalbewusstsein – es gibt weitere Angebote, die nicht nur alternativ sind, sondern sich intuitiv und damit esoterisch verstehen.

Beispielsweise will das chinesische Feng Shui dazu anleiten, die Lebensenergie Chi so durch Wohnung und Arbeitsplatz fluten zu lassen, dass sich ihre Yin- und Yang-Schwingungen harmonisch entfalten und kein schädliches Sha produzieren. Etwa: keine Spiegel im Schlafzimmer, weil sie Chi aktivieren und den Schlaf stören. Ein anderes Angebot: Edelsteine und Kristalle, die durch Gedankenkraft aufgeladen und auf den Körper gelegt werden, bzw. das Wasser, in dem sie gelagert waren und das man trinkt, sollen bei Schilddrüsenerkrankungen, Arthrose, Finanzproblemen u. a. helfen. Meister Mantak Chia aus Thailand lehrt die angeblich nur geheim überlieferte taoistische Selbstmassage, mit der man seine Haut und seine inneren Organe verjüngen kann – esoterisches Anti-Aging. Zur radioaktiven Belastung durch Katastrophen wie die von Tschernobyl meint die New-Age-Heilerin Chris Griscom: „Wir können radioaktive Verstrahlung vermindern und ausgleichen! Wir können uns von der Fesselung durch todbringende Krankheiten befreien. Wenn wir unser Bewusstsein auf die Ganzheitlichkeit unseres Seins ausrichten, wenn wir die Wirklichkeit holographisch, d. h. wirklich umfassend als Erfahrung in uns aufnehmen, dann sind wir in der Lage, derartige Bewusstseinsquantensprünge zu machen, dass sich Kollektivkrankheiten nicht mehr als Lernaufgaben stellen.“ (Griscom 1986, 186) Chris Griscom versichert uns schließlich: „Es gibt keine Probleme, es gibt nur Lösungen.“ (80)

Im Rahmen einer buddhistisch-theosophischen Weltentwicklungslehre erwarten die sog. Transmissionsgruppen eine „Heilung aller Leiden“, seien sie medizinisch oder sozial. Diese Gruppen sind vom 1922 geborenen britischen Kunstmaler Benjamin Creme inspiriert und unterhalten im Internet „Die Wunder Seite“, auf der zahlreiche Berichte über „Wunder“ und „unerklärliche Phänomene“ aufgeführt werden, z. B. Marienerscheinungen in katholischen Ländern, Engel- und UFO-Erscheinungen in aller Welt, Wunderheilungen, Lichtkreuze, die an Häusern erschienen und bis zu zwölf Meter hoch waren, indische Götterstatuen, die die Milch tranken, die ihnen Priester und andere Gläubige anboten, oder schöne Muster, die auf Getreidefeldern zu sehen waren (www.diewunderseite.de).

Benjamin Creme und seine Anhänger deuten dies in einer Sicht, die sich an die buddhistische Vorstellung von einem Buddha Maitreya anlehnt und die die Theosophin Alice Bailey einst aufgegriffen hat. Demnach wird der Maitreya als der oberste der hochentwickelten, aufgestiegenen Meister bald auf dieser Erde auftreten und ein neues Zeitalter beginnen lassen, das Wassermannzeitalter. Diese Epoche zeichnet sich nach Creme durch weltweite Brüderlichkeit und Frieden aus, durch gerechte Verteilung der Ressourcen, Aufhebung der Klassenunterschiede und des Konkurrenzdrucks, neue Techniken, die eine Verkürzung der Arbeitszeit auf zwei Stunden ermöglichen, viel Muße, eine Welt ohne Hunger, Heilung aller Leiden und Erkenntnis der eigenen Göttlichkeit des Menschen. Creme hat die Ankunft des Maitreya in den 1970er Jahren und dann, als sie ausblieb, in den 1980er Jahren erwartet. Jetzt sollen Wunder, die an vielen Orten geschehen, das Wirken des Maitreya ankündigen: New Age als vorerst letzte Utopie nach Sozialismus und Szientismus.

„Heilung aller Leiden“ und „Es gibt keine Probleme, es gibt nur Lösungen“: Wird dieser an Wunderglauben grenzende Optimismus, der sich auf dem Gesundheitsmarkt leicht kommerziell nutzen lässt, dem Anspruch Not leidender Menschen auf die bestmögliche Hilfe sowie auf intellektuelle Redlichkeit gerecht? Was bewirkt er, welches Weltbild vermittelt er u. U. den Klienten, und wie verhält er sich zur christlichen Einstellung zu Krankheit und Leid?

Wirksamkeitsnachweise?

Intuitionen von Heilern können richtig oder falsch sein. Darum müssen sie nachprüfbar sein, damit leidende Menschen nicht der Willkür von Behandlern und Beratern ausgeliefert werden. Um pauschale Verurteilungen zu vermeiden und ein differenziertes Bild zu gewinnen, sollte man bei esoterischen Verfahren zuerst einmal fragen: Gibt es Wirksamkeitsnachweise – und wenn ja: für welche Beschwerden und für welche nicht?

Zusammenfassend kann man feststellen: (1) Für keines der erwähnten Verfahren gibt es einen Nachweis, dass sie ernsthafte körperliche oder psychische Störungen heilen. (2) Einzelne Berichte von erstaunlichen Heilungen etwa von Krebserkrankungen mögen richtig sein – aber es handelt sich wohl um Spontanheilungen (die noch nicht erklärbar sind), nicht um Therapieeffekte, die bei wiederholter Anwendung einigermaßen wahrscheinlich wieder auftreten würden. Bisher wurde kein Zusammenhang zwischen Spontanheilungen von Tumoren und spirituellen oder psychischen Faktoren nachgewiesen (Kappauf 2003). (3) Die erwähnten Angebote können jedoch nachweislich in vielen Fällen Angst und Hoffnungslosigkeit reduzieren, das allgemeine subjektive Wohlbefinden verbessern, Schmerzen lindern und damit Heilungsprozesse unterstützen – wenn im Übrigen die notwendige ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung gewährleistet ist (Benor 1992; Federspiel / Herbst 2005; Wolf-Braun / Binder 1998).

So kann nach einer Überblicksstudie von Schouten (1992/93) Geistheilung noch stärker als Placebo-Effekte Symptome wie Schmerzen reduzieren und einen erfolgreichen Umgang mit ihnen vermitteln (ähnlich wie Akupunktur und Homöopathie); nur acht Prozent der Befragten berichteten von einer Verschlechterung – am häufigsten Krebspatienten. Geistheilung bietet also keine Innovation und Alternative zur wissenschaftlichen Medizin, aber eine psychosoziale Unterstützung und Ergänzung. Zu Reiki, Therapeutic Touch und Bach-Blütentherapie liegen m. W. keine verlässlichen Studien vor.

Esoterische Heilverfahren fördern wahrscheinlich eine Kontrollüberzeugung, die zwar die Macht unseres mentalen Einflusses auf Körper und Welt magisch überschätzt, doch kann dies in einem gewissen Ausmaß medizinisch als Placebo bzw. Suggestion und psychologisch als „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ wirken. Damit können sie Kranke ermutigen und ihnen auch eine Begleitung anbieten, die die ärztliche Behandlung ergänzt – ähnlich wie Krankenseelsorge. „Kontrollillusionen“ beruhen ja nicht immer auf einem krankhaften Realitätsverlust, sondern können günstig wirken, solange man notwendige Vorsorgemaßnahmen nicht vernachlässigt. Allerdings sind die Wirkungen von Placebos begrenzt, und es ist ethisch bedenklich, wenn man ernsthaft Erkrankten mehr als eine Linderung verspricht und Hoffnungen macht, die nicht begründet sind. Da wird u. U. die Not eines Kranken ausgenutzt, oder man spekuliert auf jene Glaubensbereitschaft, die 42 Prozent der Deutschen der Aussage zustimmen lässt: „Es gibt geheime, magische Kräfte, die auf den Menschen wirken.“ (Emnid/chrismon 2001)

Ein pantheistisch-energetisches Weltbild?

Eine weitere Frage, die sich stellt, betrifft das Weltbild, das mit esoterischen Heilungsangeboten verbunden wird. Wissenschaftlich gesehen kann man die angenommenen „energetischen“ Wirkweisen nicht in eine plausible Theorie einordnen; vielmehr begründet man sie – sofern man überhaupt darüber reflektiert – intuitiv und „überwissenschaftlich“ mit Vorstellungen wie diesen: Alles im Universum ist letztlich Energie in verschiedenen Formen der Emanation und Verwandlung. Das All-Eine ist in seiner ursprünglichen unpersönlichen Form Geist und Bewusstsein bzw. „Überbewusstsein“. Doch ist es gleichzeitig Energie, die sich dank Emanation und Metamorphose in vielen Entwicklungsstufen, Formen, Dichtegraden und Schwingungen als feinstoffliche (astrale oder ätherische) Dynamik, aber auch als anorganische Materie manifestieren kann. Damit hält man die Unterschiede zwischen Materie, Pflanzenwelt, Tierwelt, Mensch und Göttlichem für nur graduell und betrachtet die Materie als die langsamste Schwingungsform der einen Energie. Dieser „Alles-ist-Energie“-Pantheismus enthält die tröstliche Botschaft: „Vertraue dem Kosmos; er ist in allen Schichten – bis in deine körperliche Gesundheit hinein – Energie, die dich trägt.“ Außerdem mahnt diese Vorstellung in der spirituell interessierten Esoterik auch: „Du sollst das Grobstoffliche nicht überschätzen, denn es ist letztlich nur eine tiefere Stufe des Geistigen.“

Diesem panenergetistischen Weltbild entspricht oft ein vorwissenschaftliches Menschenbild, demzufolge zwischen dem grobstofflichen Leib und dem Geist-Ich eine feinstoffliche, astrale und ätherische Schicht wirkt, durch die wir jeweils mit der entsprechenden Energiestufe des Kosmos in Verbindung treten können. Über seinen feinstofflichen „Ätherleib“ und „Astralleib“ soll der Mensch Lebensenergie in sich aufnehmen können, die Heilung, Wohlbefinden und Erleuchtungszustände bewirkt. Oft nennt man diese Lebensenergie altindisch Prana (Atem). Mit dem Kundalini-Yoga nimmt man bei Reiki, in der Anthroposophie und anderen Richtungen im Astralleib des Menschen sieben Hauptzentren (Chakras) an, die zwischen dem unteren Ende der Wirbelsäule und dem Punkt über dem Scheitel die Lebensenergie von unten nach oben aufsteigen lassen und transformieren. Kundalini-Praktizierende versprechen sich von der Chakra-Meditation nicht nur spirituelle Erleuchtung, sondern auch Freiheit „von allen Krankheiten“ (Sivananda), die Fähigkeiten, durch die Luft zu fliegen und andere göttliche Eigenschaften.

Andere Esoteriker bezeichnen die feinstoffliche Lebensenergie mit dem Taoismus und der Traditionellen Chinesischen Medizin als Chi/Ki (Luft, Hauch). Demnach entstand das Universum aus der Urenergie (Yüan-chi), die aus dem Einen (Tao) hervorging und sich bipolar in den Grundformen Yin und Yang ausprägt. Dieses Chi soll sich in der Nieren- und Nabelgegend sammeln und durch die Meridiane in alle Teile des Körpers fließen. Die taoistischen Atemübungen wollen Urenergie aus dem Kosmos aufnehmen, um die Kräfte zu steigern (u. U. bis zu besonderer Kampffähigkeit) und das Leben zu verlängern. Andere Heilungsangebote greifen eher auf schamanische Vorstellungen oder auf Emersons Universalbewusstsein zurück.

Wenn die Aktivierung feinstofflicher Lebensenergie so viel vermag, liegt es nahe, körperliche und seelische Störungen größtenteils durch die Kraft einer „Ganzheitlichkeit“ zu heilen, die über die wissenschaftlich begründete Psychosomatik hinausgeht und als psychokosmische Ganzheitlichkeit verstanden wird. Daher erklärt sich auch das Desinteresse an einer genauen Diagnose der Störung, und deshalb gibt es keinen Hinweis, dass jede Art von Geistheilung ihre Grenzen hat, dass es also auch für sie unheilbare Krankheiten gibt.

Die psychosomatische Medizin kann bei bestimmten – nicht bei allen – körperlichen Störungen (Asthma, Herzbeschwerden, Kopfschmerzen) emotionale Einflüsse nachweisen, doch hat man beispielsweise die Vorstellung von einer typischen „Krebspersönlichkeit“ aufgegeben (Schwarz 2004). Auch gibt es für die Versuche der Psychoonkologen Simonton und Creighton, sich vorzustellen, wie weiße Blutkörperchen die Krebszellen unschädlich machen, keinen Wirksamkeitsnachweis außer dem, dass sie eine Zeitlang das subjektive Befinden verbessern. Das spricht nicht für eine „Gedankenkraft“, die einfach heilt. Es erklärt aber die Bedeutung, die der emotionalen Zuwendung durch Mitmenschen sowie der Selbstermutigung zukommt: Was zum günstigen Verarbeiten von Belastungen beiträgt, schont auch das Immunsystem.

Die esoterischen Heilverfahren können sicher emotionale Zuwendung und Unterstützung gewähren; problematisch ist jedoch, dass sie eine „ganzheitliche“ psychokosmische Lebensenergie versprechen, die angeblich alles heilt.

„Die Kraft des Heiligen Geistes“ – etwas anderes als Prana und Chi

Das christliche Menschen- und Weltbild, wie es der heutigen Krankenseelsorge zugrunde liegt, teilt den esoterischen Heilungs- und Gesundheitsoptimismus nicht, sondern denkt und hofft nüchterner. Vielleicht macht uns Christen schon die klare Unterscheidung zwischen dem ganz anderen Schöpfer und seiner Schöpfung darauf aufmerksam, dass auch zwischen geistig-göttlicher Letztursache und anders gearteten, begrenzten Kräften der Natur deutlich zu unterscheiden ist. Für den biblischen Schöpfungsglauben wäre es eine Materialisierung Gottes und eine Divinisierung von Mensch und Welt, kosmisch-heilerische Energie als umgewandelte göttlich-geistige Kraft zu betrachten. Und wenn nach 1. Kor 12,9.28.30 im Charisma der Heilung der Geist Gottes wirkt, wird die Heilung nicht als Zuleitung von verfügbarer feinstofflicher Energie gesehen, sondern als Tat Gottes. Überhaupt beschreibt das Neue Testament das Pneuma Gottes transzendenter und personaler, als Prana oder Chi verstanden werden: Für das NT ist es die inspirierende Liebe Gottes, und diese „Kraft des Heiligen Geistes“ (Röm 15,13) erweist sich nach Paulus auch in der bleibenden Schwachheit des Menschen (2. Kor 12,9).

In den ersten christlichen Gemeinden hat man Kranken die Hände aufgelegt, und auch heute beten Christen mit den Kranken. Sie tun es in einem Glauben, der ein Wunder sicher nicht ausschließt, der sich aber auch mit der Ohnmacht von Krankheit und Sterblichkeit versöhnen kann in einer Hoffnung, die nicht so diesseitsgebunden, heilungsfixiert denkt, wie es westlich-esoterische Heilungsangebote oft tun. So kommen von den etwa 70 000 Kranken, die jedes Jahr nach Lourdes reisen, die wenigsten körperlich geheilt, die meisten aber seelisch gestärkt zurück. Es gibt keinen Grund, der Aufforderung des Geistheilers Harald Wiesendanger (2004) zu folgen und in den Kirchen – um der Nachfolge Jesu willen – das Geistige Heilen zu fördern. Fördern wir die Krankenseelsorge!

Gewiss, mit Krankenseelsorge kann man sich auf dem Gesundheitsmarkt keine Nische erobern, obwohl die medizinische Psychologie die Bedeutung einer religiösen Krankheitsverarbeitung hoch einschätzt. Der Schöpfungsglaube und die Hoffnung auf eine Geborgenheit über den Tod hinaus machen wohl eher bereit, unerbittliche Naturgesetze, die Grenzen emotionaler Selbstbeeinflussung, das Scheitern menschlicher Heilkunst und die Arbeitsteilung zwischen Medizin und Seelsorge anzuerkennen: ohne magische Kontrollüberzeugung – aber im Glauben an den, der uns nicht verlässt, sondern mit uns kämpft.


Bernhard Grom SJ, München


Literatur

Benor, D. J., Healing Research. Holistic Energy Medicine and Spirituality, Vol. 1: Research in Healing, München 1992

Federspiel, K. / Herbst, V., Die andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden, Berlin 2005

Griscom, Ch., Zeit ist eine Illusion, München 1986

Grom, B., Hoffnungsträger Esoterik? Regensburg 2002

Kappauf, H. W., Wunder sind möglich. Spontanheilungen bei Krebs, Freiburg 2003

Murphy, J., Die unendliche Quelle Ihrer Kraft. Ein Schlüsselbuch positiven Denkens, München 1986

Schouten, S. A., Psychic Healing and Complementary Medicine, in: European Journal of Parapsychology 9, 1992/93, 35-91

Schmidt, K. O., Selbst- und Lebensbemeisterung durch Gedankenkraft. Dynamische Psychologie im Alltag, Pfullingen 1971

Schwarz, R., Die „Krebspersönlichkeit“ – Mythen und Forschungsresultate, in: Psychoneuro für Praxis und Klinik 30/2004, 201-209

Wiesendanger, H. (Hg.), Wie Jesus heilen, Schönbrunn 2004

Wilde, St., Wunder. Eine Anleitung in sieben Schritten, München 1999

Wolf-Braun, B. / Binder, M., Geistige Heilung aus der Sicht von Patienten, in: Erfahrungsheilkunde 47/1998, 11-20