Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen
Mary Bauermeister, Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen, Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2011, 336 Seiten, 21,99 Euro.
Bücher mit dem (Unter-)Titel „Mein Leben mit ...“ wecken bisweilen schon vor der Lektüre gemischte Gefühle – einerseits packt einen die voyeuristische Neugier, andererseits fragt man sich, jedenfalls sofern ebendiese Neugier nicht zu ausgeprägt ist, ob man eigentlich so genau wissen will, was in Schlafzimmern so alles zwischen zwei Liebenden vor sich gegangen ist. Mary Bauermeister, Künstlerin und zweite Ehefrau des Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928-2007) nimmt in ihren Memoiren diesbezüglich kein Blatt vor den Mund und schildert freimütig die „ménage à trois“ zwischen ihr, dem Komponisten und dessen erster Ehefrau Doris sowie auch andere Affären des Meisters.Aber nochmals: Will man das wissen? Muss man das wissen? Dass Stockhausen bis an sein Lebensende unkonventionelle Partnerschaftsformen pflegte, ist bekannt. Und dass Mary Bauermeister und ihn eine sehr komplexe, komplizierte, aber künstlerisch äußerst befruchtende Beziehung verband, weiß man spätestens seit Michael Kurtz‘ Stockhausen-Biografie von 1988. Insofern bietet Bauermeisters Buch den Stockhausen-Fans und -Kennern wenig Neues. Es kann auch gut sein, dass diese sich angesichts der doch sehr intimen Enthüllungen und Bekenntnisse mehrheitlich mit Grausen abwenden werden. Trotzdem kann man das Buch nicht einfach indigniert zur Seite legen. Denn dazu bietet es zu viele spannende Einblicke in das künstlerische Leben der Bundesrepublik in den 1960er Jahren, in das Leben einer jungen, materiell ebenso wie geistig hungernden Bohème im gerade wieder aufgebauten Köln. Sehr schön zeichnet es auch nach, wie sich Stockhausen – nicht zuletzt aufgrund seiner schwierigen privaten Situation – vom rheinischen Katholizismus löste und verschiedensten spirituellen Traditionen öffnete, etwa dem Sufismus, dem integralen Yoga Sri Aurobindos oder den Channeling-Botschaften des „Urantia-Buches“.Trotzdem kann man sich bei der Lektüre der Memoiren des Eindrucks nicht erwehren, dass es im Grunde um eine ganz persönliche Aufarbeitung einer letztlich großen, aber trotzdem (oder gerade deshalb?) gescheiterten Liebe geht. Wahrscheinlich sind die Begriffe „Heilung“ und „Erlösung“ die Schlüsselwörter zu diesem Buch. Leider schrammt Mary Bauermeister dabei immer wieder gefährlich nahe am Kitsch und Pathos vorbei. Andererseits gelingt es ihr geradezu kongenial, Stockhausens Schaffen prägnant auf den Punkt zu bringen, so etwa, wenn sie schreibt: „Stockhausen nimmt alles mit hinein, er möchte die ganze Menschheit musikalisch erlösen, seine Musik soll die Christustat wiederholen. Er möchte Erlösung nicht mehr durchs Kreuz, nicht mehr durch den Leidensweg, sondern durch die Überwindung von Schmerzen hin zur Freude erreichen. Jubelt dem Herrn! Karlheinz Stockhausens Lebenswerk ist dieser Weg der Freude“ (302). Treffender ist Stockhausens Werk wohl selten beschrieben worden.Es bleibt nach der Lektüre ein merkwürdiges Gefühl zurück. Denn einerseits plaudert Bauermeister mit geradezu unbekümmerter Offenheit über ihr aufregendes Leben an der Seite eines der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts, andererseits macht sie um gewisse heikle Punkte einen Bogen, der gerade aufgrund ihrer Offenheit seltsam anmuten muss. So erfährt man beispielsweise nichts darüber, was Mary Bauermeister über Stockhausens missverständliche und missverstandene Äußerungen zu den Anschlägen vom 11. September 2001 denkt, und auch nichts über die schweren Verwerfungen und Konflikte, die sich zwischen Stockhausen und den gemeinsamen Kindern Julika und Simon ereignet haben. Das ist umso erstaunlicher, als sowohl Julika als auch Simon Stockhausen die Distanz zum Vater schon ausführlich in Fernsehsendungen öffentlich thematisiert haben. Mary Bauermeister setzt sich deshalb fast unweigerlich dem Verdacht aus, an der Legende einer trotz aller Konflikte heilen Familie zu stricken. Eigentlich schade, denn über weite Strecken zeugt das Buch von einer großen und auch selbstkritischen Ehrlichkeit. Dass der vor vier Jahren verstorbene Stockhausen nicht mehr dazu Stellung nehmen kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt und stellt die Frage nach der Fairness eines solchen Buchs.
Christian Ruch, Chur / Schweiz