Im Licht einer großen Seele. Wundersame Begegnungen mit Meister M
Mario Mantese: Im Licht einer großen Seele. Wundersame Begegnungen mit Meister M, Edition Spuren, Winterthur 2018, 236 Seiten, 20,00 Euro.1
Mario Mantese, ein bekannter Schweizer Satsang-Lehrer, wollte ein Buch herausgeben, in dem seine Freunde über die gemeinsamen Begegnungen schreiben sollten. Herausgekommen ist eine Sammlung von 24 Beiträgen in Tagebuchform, die sich stark ähneln und in denen seine Anhänger und Anhängerinnen in größter Verehrung über ihre Erlebnisse schreiben. Erklärungen zu Manteses Konzept fließen in die begeisterten Schilderungen ein.
In der Einführung berichtet Mantese, der sich „Meister M“ und Weisheitslehrer nennt, wie er nach einem Überfall angeblich klinisch tot war. Während des Todeserlebnisses (nicht Nahtoderlebnisses) erkannte er, dass er ohne Körper in einer anderen Welt weiterlebte. Dieses einschneidende Erlebnis führte Mantese zu der Ansicht, dass die Wirklichkeit frei von Konzepten existiere und der Mensch daher zeitlos, grenzlos und todlos sei. Der Vorfall bildet die Grundlage für seinen Ansatz, den er in seinen Büchern und Seminaren lehrt.
Aus Manteses Sicht finden Leben und Tod nur in der eigenen Vorstellung statt, es handelt sich um Spiegelungen des Bewusstseins, um Missverständnisse. Folglich sind auch Erwartungen, Hoffnungen, Angst vor Krankheit und Tod oder vor dem Verlust eines geliebten Menschen lediglich Ich-Gedanken, die es gar nicht gibt. Nie wurde jemand geboren, nie starb jemand, weil es nie ein Individuum gab. Da sich der Mensch aber mit seinen Gedanken und Handlungen identifiziert, ist er überzeugt, dass er für seine Taten verantwortlich sei. Doch Gut und Böse sind ebenfalls nur Konzepte aufgrund von Täuschungen. Alle Methoden zur individuellen Verwirklichung z. B. aus der Esoterik, von anderen spirituellen Meistern und Gurus sind nichts anderes als Konzepte.
Die Worte Manteses werden hingegen nicht als Konstrukt oder Illusion angesehen, sondern als „reine Geisteskraft mit absoluter Gültigkeit“: Seine Worte sind Taten, sind Ausdruck einer „tiefen Logik und unermesslichen Intelligenz“. Seine Worte schaffen Wirklichkeit.
Ausnahmslos alle Beiträge beschreiben, ausgehend von einer Krisensituation (Einsamkeit, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit), die Begegnung mit Mantese als eine Offenbarung. Als spiritueller Meister wird er grenzenlos verehrt, wie ausgewählte Aussagen verdeutlichen: „Er verkörpert den Weg der Wahrheit“, „das ganze Universum auf einem Stuhl“, „er ist die Erfüllung meines Lebens“, „er ist das Licht der Welt“, „er ist wie eine Sonne, seine Ausstrahlung durchdringt Ozeane und Sonnensysteme“ oder auf den Punkt gebracht: „Es ist die Begegnung mit Gott“ Der Alltag der Anhängerinnen und Anhänger ist von Mantese durchdrungen: Sie spüren ihn in sich, er erscheint ihnen in den Träumen, während einer OP. Jede Begebenheit des Alltags wird als stille Belehrung des Meisters interpretiert.
Mantese wiederholt des Öfteren, dass er niemand sei und daher nicht als das existiere, was man in ihm sehe. Auf keinen Fall möchte er, dass ihn die Menschen überhöhen. Gleichzeitig werden in verschiedenen Passagen dieselben Beispiele seiner angeblich immensen Fähigkeiten beschrieben: Mit einer kleinen kreisförmigen Handbewegung löste er angeblich mehrfach eine Gewitterfront auf, er zerschnitt die Wolkendecke und schob Wolkenhälften auseinander – nicht etwa, um seine Macht zu demonstrieren, sondern weil er auf nassem Untergrund schlecht gehen könne oder um anderen eine Belehrung zu erteilen. Wer nicht mehr in der Begrenzung verstrickt sei, habe eben eine andere Beziehung zu Naturgewalten, so Mantese.
Laut der Beiträge heilte er auch Krebskranke und Gelähmte und holte Sterbende ins Leben zurück. Er segnete Wasser durch Handauflegen, sodass es unmittelbare Heilkraft entfaltete. Auf einer Fotografie, die jemand gegen seinen Willen von ihm machte, war er später nicht zu sehen, wie ein Anhänger schreibt. Manchmal betätigt sich Mantese auch ganz praktisch, wenn er ein elektronisches Autotürschloss mit einer Handbewegung öffnet oder kurzerhand die Raumtemperatur erhöht, weil seine Frau friert.
Mantese behauptet, er könne die Menschen jederzeit aus ihrer inneren Wüste herausholen. Aber er macht es nicht – oder nur manchmal –, denn er möchte die Betroffenen durch seine Belehrungen in die Eigenverantwortung drängen. Weil er mit jedem Atemzug zu seinen Anhängern und Anhängerinnen schaue, seien sie aber nie getrennt von ihm. Dabei betont Mantese, dass seine Beziehung zu ihnen stets unpersönlich sei. Nur dies gewähre Freiheit, denn wahre Liebe sei immer unpersönlich.
Das Buch schließt mit einem Erlebnis Manteses, das er nicht als illusionäre Wahrnehmung oder Konstrukt verstanden haben will. Er berichtet von der Begegnung mit seinem eigenen Meister, der ihn seit 3000 Jahren begleite, „strahlend wie tausend Sonnen“. Das lichtdurchflutende Wesen gab ihm angeblich Hinweise bezüglich der „kosmischen Zukunft des Planeten und der Menschheit“ und zu Manteses Tätigkeit auf Erden: „Deine universelle Liebe ist der Nektar, der die Menschen verwandelt, Du wirst Deinen heiligen Auftrag erfüllen.“
Manteses Ansatz ist radikaler als derjenige des Radikalen Konstruktivismus. Jegliches Denken, Fühlen und Handeln ist nach Mantese eine Täuschung und daher nicht existent – ausgenommen seine eigenen oft widersprüchlichen Ausführungen. Seine Worte gelten als Taten mit absoluter Gültigkeit, die Realitäten schaffen. Durch sein Auftreten und seine Aussagen gibt er sich den Nimbus eines Messias. Er, der Übermensch und Nicht-Jemand, wähnt sich im exklusiven Besitz der Wahrheit, teilt angeblich Gewitterwolken wie Mose das Rote Meer, heilt Sterbenskranke. Er veröffentlicht Buch um Buch und verbietet den Teilnehmenden an Intensiv-Seminaren aus urheberrechtlichen Gründen das Mitschreiben. Gegen einen kritischen Medienbericht ging er mit seinem Rechtsanwalt vor.
Mantese baut eine starke Bindung zu den Gläubigen auf, die ihn bis zur Selbstauflösung verehren. Gleichzeitig unterstreicht er kokett sein Nichtsein und die Distanz zu den Anhängern und Anhängerinnen, indem er die Beziehungen als unpersönlich beschreibt. Er spricht von der Eigenverantwortung, die jeder Mensch trage, niemand könne einem anderen die Schuld für sein Handeln geben. Gleichzeitig will er die Menschen mit seiner angeblichen „ichbrechenden Lichtstrahlung“ von Grund auf verändern und enthebt sie und sich jeglicher Verantwortung, weil alles nur Täuschung sei. Die beschriebenen psychologisch groben und herzlosen Interventionen bei ratsuchenden Anhängerinnen und Anhängern werden als „liebevolle Belehrungen“ vermittelt. Diese und andere Doppelbotschaften verstärken die Abhängigkeit und die Selbstaufgabe der Gläubigen.
Susanne Schaaf, Zürich
Anmerkungen
- Überarb. Neuausgabe (1. Aufl. 2001 im Drei Eichen Verlag).