Gralsbewegung

„Im Lichte der Wahrheit“. Ein Gesprächsabend

(Letzter Bericht: 12/2011, 468-471, vgl. auch das Stichwort in 2/2015, 68-72) „Eine Wahrheit kann erst wirken, wenn der Empfänger für sie reif ist.“ Dieses Zitat von Christian Morgenstern scheint sich die Gralsbewegung zu eigen zu machen. Die Gralsbotschaft, wie sie vom Gründer Oskar Ernst Bernhardt (1875 – 1941) alias Abd-ru-shin in seinem Hauptwerk „Im Lichte der Wahrheit“ dargelegt wurde, erhebt den Anspruch, ein „vollständiges Bild vom Schöpfungsganzen“ zu bieten.1 Damit ihre Leser reif für die Botschaft werden, organisiert die Stiftung Gralsbotschaft regelmäßig kostenpflichtige Vortragsreihen und daran anschließende allgemein zugängliche Gesprächsrunden, die die Möglichkeit bieten sollen, Fragen zu beantworten und der „Wahrheit“ durch besseres Verständnis näherzukommen. So lud die Stiftung Gralsbotschaft in Dresden zum Thema ein: „Warum Gott das alles zuläßt – Antworten aus der Gralsbotschaft“.2 Der Gesprächsabend war als Nachgespräch zu einem kurz zuvor gehaltenen Vortrag gedacht, aber auch als Informationsrunde für Interessierte, die nicht daran teilgenommen hatten. Veranstaltungsort war das Palais im Großen Garten. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl (zehn Personen) wurden die Stühle im barocken Vortragssaal im Kreis angeordnet. Da von den Gästen niemand den Vortrag gehört hatte, von den beiden Begleitern des Referenten Wulf Thüring abgesehen, fasste dieser zunächst die wichtigsten Aussagen zusammen.

Die Lösung der Theodizeefrage hält nach dem Verständnis der Gralsbotschaft Gal 6,7 bereit: „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Das Leben des Menschen ist Naturgesetzen unterworfen, in denen jede Tat eine Auswirkung und eine Rückwirkung hat, je nach Aussaat. Ungerechtes Leiden gibt es folglich nicht (unschuldiges Leiden wie beim Kreuzestod Jesu dagegen schon). Problematisch sei nur, dass die zeitliche Verbindung zwischen Aussaat und Ernte nicht bestimmt werden könne. Eine übergeordnete göttliche Gerechtigkeit sei allerdings nur denkbar, wenn das menschliche Leben nicht auf die Zeit zwischen Geburt und Tod begrenzt werde. Die Gralsbewegung versteht Schicksalsschläge als Denkanstöße: Der Mensch gestaltet sein Leben durch seine Taten. Erbliche Krankheiten und Schicksalsschläge zeigen ihm, dass das Leben schon wiederholt gelebt worden sein muss. Sie sind ein Zeichen dafür, dass in einem vorherigen Leben etwas „gesät“ wurde, was nun „Früchte trägt“. Sie sind Denkanstöße, um etwas zu lernen, und stehen damit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Wiedergeburt. Ein Schicksalsschlag muss nicht die Auswirkung eines Vergehens sein, seine Ursache kann auch in einer nicht beachteten Warnung liegen.

In der Gralsbotschaft gibt es drei göttliche „Schöpfungsgesetze“, die zueinander in Beziehung stehen und sowohl die Schöpfung als auch die Geschöpfe durchdringen. Das Gesetz der Schwere besagt, dass das Dichtere herabsinkt und das Feinstoffliche aufsteigt. „Durch Drang nach Niederem oder nach nur irdischen Genüssen wird der feinstoffliche Körper dicht und damit schwer und dunkel, weil die Erfüllung solcher Wünsche in der Grobstofflichkeit liegt. Der Mensch bindet sich danach selbst an Grobes, Irdisches … Wer danach strebt, muß sinken im Gesetz der Schwere.“3 Das Gesetz der Wechselwirkung liegt in der Schöpfung von Urbeginn an und hat die Gestalt eines feinen Nervensystems. Es fördert ein ewiges Geben und Nehmen. Die Wirkung der Tat fällt auf ihren Urheber zurück. Üble Taten lassen folglich den Menschen sinken und gute erheben ihn. Dafür sorgt auch hier das Gesetz der Schwere. „In der unerbittlichen und unverrückbaren Wechselwirkung [kommt] die Vergeltung auf den Urheber zurück …, auf den Ausgangspunkt, sei es nun Gutes oder Böses.“4 Das Gesetz der Anziehung der Gleichheit besagt: „Gleich und gleich gesellt sich gern … Es schwingt sich neben dem Gesetz der Schwere durch die ganze Schöpfung.“5

Existenzielles prägt den Charakter und bleibt als „innerer Kern“ über die verschiedenen Leben bestehen, während alles Körperliche verschwindet. Von Inkarnation zu Inkarnation besteht ein „Entwicklungsprinzip“, bis hin zu einem voll bewussten Zustand. Wer allerdings schon alles besitzt und zu satt ist, entwickelt sich geistig nicht mehr. „Wer in sich festes Wollen zu dem Guten trägt und sich bemüht, seinen Gedanken Reinheit zu verleihen, der hat den Weg zum Höchsten schon gefunden! Ihm wird dann alles andere zuteil.“6 Der Schüssel zur geistlichen Entwicklung liegt in der Nächstenliebe, wie sie von Jesus gelehrt wurde. Es muss eine Verhaltensweise sein, die anderen nützt.

In einem zweiten Teil der Veranstaltung konnten die Teilnehmer Fragen stellen, die vom Referenten und seinen Begleitern ausführlich beantwortet wurden.

Was geschieht nach dem Tod? Der Mensch verlässt seinen grobstofflichen Körper und das Erdendasein, um als Geistkeim in die feinstoffliche Welt einzugehen. Aus diesem großen Kreislauf können die Keime, nachdem sie ein eigenes Bewusstsein entwickelt haben, zurückkehren und an der Entwicklung der Schöpfung weiterarbeiten. Obwohl die Erde ein Umkehrpunkt ist, vollzieht sich auf ihr das authentische Erleben, denn der Mensch hängt zu sehr an seinem materiellen Dasein. Allerdings wirkt der Weltenlauf nicht ewig. Im Unterschied zur Anthroposophie ist das Entwicklungsprinzip begrenzt: Es gibt ein „zu spät“.

Gibt es Vergebung? Damit einem Menschen vergeben werden kann, muss er etwas dafür leisten und sein Leben ändern, z. B. indem er einem anderen Menschen vergibt. Wenn das falsche Handeln selbständig erkannt wurde, muss es keine Rückwirkung geben. Durch das symbolische Handeln wird das karmische Gesetz der Wechselwirkung durchbrochen und aufgelöst. Was für einen anderen getan wird, fällt abgeschwächt auf den Absender zurück. Gott spielt dabei nur eine marginale Rolle, er ist lediglich der Gesetzgeber. Bitt-, Dank- und Fürbittgebete sind demnach gegenstandslos und werden in der Gralsbewegung nicht praktiziert.

Wie lange dauert es bis zur Wiedergeburt? Die Dauer eines Reinkarnationszyklus ist unbekannt. Früher gab es in der Gralsbewegung die Vorstellung von ca. 150 Jahren, aber als Beispiel für eine schnellere Wiedergeburt führt der Referent den Fall der Jenny Cockell an. Sie wurde 1953, 21 Jahre nach dem Tod der 35-Jährigen Marie Sutton geboren, deren Kinder bei ihrem gewalttätigen Ehemann zurückgeblieben waren. Das Leben der beiden Frauen ist nach Auffassung der Gralsbewegung eng miteinander verknüpft. Cockell kann sich nach eigener Aussage seit ihrer Kindheit an die Gefühle und Eindrücke Mary Suttons erinnern und sieht sich als deren Reinkarnation: Sie sei zurückgekehrt aus Sorge um ihre Kinder. Im Alter von 35 Jahren begab Cockell sich auf die Suche nach „ihren“ Kindern, denen gegenüber sie sich durch Alltagserzählungen habe ausweisen können.

Die Ausführungen der Mitglieder der Gralsbewegung an diesem Abend haben deutlich werden lassen, dass die Suche nach einer rational nachvollziehbaren Erklärung für eigenes und fremdes Schicksal ein wesentlicher Aspekt für das Engagement in dieser Glaubensgemeinschaft darstellt. Bei der Antwort auf die Theodizeefrage spielt Gott allerdings fast keine Rolle mehr, weil im System von Oskar Ernst Bernhardt alles nach einem kosmischen Karma-Gesetz abläuft.


Christine Milkau, Leipzig


Anmerkungen

  1. https://gralsbotschaft.org/im-lichte-der-wahrheit-gralsbotschaft  (Abruf 25.11.2017).
  2. Im Rahmen eines Praktikums in der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der sächsischen Landeskirche nahm ich daran teil (März 2017).
  3. Abd-ru-shin, Im Lichte der Wahrheit, Bd. 1, Stuttgart 171990, 148. (Die zitierten Stellen wurden teilweise paraphrasiert vorgetragen, teilweise durch die Autorin dieses Beitrags ergänzend hinzugefügt.)
  4. Abd-ru-shin, Im Lichte der Wahrheit, Bd. 2, Stuttgart 171990, 32.
  5. Ebd., 146.
  6. Ebd., 51.