Efraim Karsh

Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden

Efraim Karsh, Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, 399 Seiten, 24,95 Euro.


Ausgehend von den Geschehnissen des 11. September 2001 setzt sich auch Efraim Karsh, Historiker am King’s College der University of London, mit der Suche nach Gründen und Erklärungen für den religiös begründeten und international agierenden Terrorismus auseinander. Die aktuellen Verhältnisse in den arabischen Ländern sind für Karsh Ergebnis und Ausdruck lang bestehender indigener Entwicklungen, Leidenschaften und Verhaltensmuster, die wesentlich von der imperialistischen Tradition der arabischen Region (Ägypten, Iran, Israel, Syrien usw.) geprägt sind. Die Verantwortung für die Situation der arabischen Länder könne deshalb auch nicht äußeren Ursachen, etwa dem westlichen Imperialismus, zugewiesen werden. Karsh spitzt seine Argumentation dahingehend zu, dass er die Ursprünge des Imperialismus als politischer Strategie im Nahen und Mittleren Osten verortet. Mit der Flucht des Propheten Muhammad aus Mekka im Jahr 622 und dem Aufruf an seine Anhänger, den Islam aus seiner lokalen und regionalen Begrenztheit heraus zu einer universell-grenzenlosen Religion zu führen, sei der Imperialismus als politische Strategie geboren worden. Die Taten eines Osama Bin Laden seien daher auch die „jüngste Manifestation des mehr als tausendjährigen jihad für ein universelles islamisches Reich“ (350). Dieser Traum von einem universellen islamischen Reich, der mit der Vermischung von Religiösem und Privatem in der prophetischen Phase begonnen habe, erlaube es deshalb auch heute noch, unter Berufung auf das Handeln des Propheten „politische Ambitionen in eine Aura des Religiösen zu hüllen“ (15).

Die Kapitel des Buches bieten ein Kaleidoskop der Geschichte der Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Sie beginnt mit dem Leben des Propheten Muhammad und führt über die Expansions- und Rückzugsgeschichte des frühen Islam zu den politischen Erfolgen des Osmanischen Reiches, zur wechselvollen Geschichte des Irans und schließlich zur Geschichte des Panarabismus. Der Traum vom Panarabismus wird an der Politik des ägyptischen Generals und Präsidenten Nasser konkretisiert und über zahlreiche Krisen und Konflikte innerhalb der arabischen Welt bis zu seinem Scheitern herausgearbeitet.

Der jihad sei für die politischen Machthaber zunächst nur untergeordnetes Mittel für die Eroberung der Welt. Nach seinem Einsatz in der prophetischen Phase reaktiviere erst das Gedankengut des Islamisten Mawdudi und des Gründers der ägyptischen Muslimbruderschaft Hasan al-Banna sowie seines ideologischen Nachfolgers Sayyid Qutb die Vorstellung eines jihad, der den Traum einer universellen islamischen Gemeinschaft (umma) erfüllen solle.

Der Kampf gegen Amerika sei deshalb auch, entgegen den religiös untermauerten Begründungen der Islamisten, primär ein Kampf gegen eine Weltmacht, die den islamisch-imperialistischen Bestrebungen im Wege stehe. Die Ursachen des heutigen Terrorismus führt Karsh auf mehrere Faktoren zurück.

Ein Faktor ist das Fehlen eines gemeinsamen Nenners der arabischen Völker, der die Konstituierung eines verbindenden Nationalgefühls erlauben würde. Ein zweiter Faktor ist die dauerhafte Konkurrenz um die regionale Vorherrschaft, die eine politische Einheit zugunsten lokaler Loyalitäten verhindert. Als dritten und letzten Faktor führt Karsh die immerwährend von Akteuren wie Bin Laden geschürte Hoffnung einer universellen islamischen umma an, die den aktuellen Staatszustand aufhebt und den imperialen Traum erfüllt. Für den Autor besteht denn auch in der Dissonanz zwischen der Realität des staatlichen Nationalismus (dem „Gerangel innerhalb des Hauses des Islam“, 348) und einem als vereinte arabische Nation verpackten islamischen Imperiums das größte Problem.

Die Antwort auf die vielgestaltigen und miteinander zusammenhängenden Konflikte kann für Karsh nur von den arabischen Staaten ausgehen und aus der islamischen Gemeinschaft heraus erfolgen. Zu dieser Antwort gehörten auf jeden Fall die Akzeptanz des real vorhandenen staatlichen Nationalismus, die Zuordnung der Religion zum Privatbereich und schließlich die Aufgabe jeglicher imperialistischer Träume.

Karsh bietet mit seiner historischen Darstellung arabisch-imperialistischer Herrschaftsstrategien einen gut lesbaren, klar strukturierten Überblick, der durch seine klar positionierte Herangehensweise nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik und Widerspruch hervorrufen dürfte. Der tausendjährige Weg von den Ursprüngen des Islam bis zu seinen islamistischen Erscheinungsformen heute ist für Karsh weniger lang als vermutet.


Kathrin Boy, Berlin