Islam

Islam-Broschüre der AfD

Die Fraktion der AfD (Alternative für Deutschland) im Thüringer Landtag hat ein rund 140 Seiten starkes Buch zum Islam vorgestellt.1 Mit der Publikation stellt sich die Partei laut Vorwort des Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke „der politischen und kulturellen Problematik des Islam“ (4).

Anfang Mai 2016 hatte die AfD auf ihrem Bundesparteitag in Stuttgart einen deutlichen Anti-Islam-Kurs beschlossen. Mit der Feststellung „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und Verbotsforderungen für Minarette, Muezzinruf und Vollverschleierung ging das erste Grundsatzprogramm der Partei auf Distanz zum Islam und zu Muslimen. Wer nun allerdings eine Hetzschrift erwartet, wird enttäuscht. Das Buch des Politikwissenschaftlers und AfD-Referenten Michael Henkel „Der Islam – Fakten und Argumente“ ist ruhig im Ton, informativ, über weite Strecken sachkundig und auf notwendige Differenzierungen bedacht. Themen sind u. a. die Anfänge des Islam, Sunniten und Schiiten sowie andere islamische Strömungen, einige Glaubensgrundlagen, Scharia, Dschihad, Islamismus, Islam in Deutschland. Bei vielen Passagen, auch zum heutigen Islamismus als spezifisch modernem Phänomen, oder einigen Hinweisen zum Verhältnis von Religion und Politik, zur Philosophie und Rolle der Vernunft mag man wünschen, dass die Islamdebatten in der AfD und drumherum zumindest von diesem Niveau ausgingen.

Auf der anderen Seite sind es die Anlage der Artikel, die vereinfachenden Zuspitzungen und Auslassungen, die subtilen Assoziationen, die vor einer einfachen „Anwendungsnutzung“ der Broschüre warnen lassen. So wird zwar einerseits die historische Komplexität der Kreuzzüge betont (76-79), andererseits „der Islamismus“ allzu einlinig auf „Takfir“ (Für-ungläubig-Erklären, auch anderer Muslime) und militanten Dschihad fokussiert (z. B. 43f). Moscheen werden dann schnell zu vorwiegend politischen Zentren (und sind deshalb abzulehnen). Die Gefährlichkeit des Islam wird durch eine breite und dramatisierende Hervorhebung islamischer Paralleljustiz (73-75) unterstrichen. Es wird zwar bemerkt, dass die „Vorschriften der Scharia“ zum Teil „von den patriarchalischen Traditionen der islamischen Gesellschaften“ überlagert werden (70), zugleich wird die Unverträglichkeit „der Scharia“ mit dem Grundgesetz ausführlich gebrandmarkt. Dass zum Dschihad ausgerechnet Karl Marx mit „permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen“ zitiert wird (35), ist sicher kein Zufall. Besonders negative Noten erhält die Ahmadiyya-Gemeinschaft, was vor dem Hintergrund des Moscheebauprojekts in Erfurt und dem Widerstand der AfD dagegen zu sehen ist.

Man merkt an Formulierungen und der benutzten Literatur (keine originalsprachlichen Quellen; zur Bewertung der Ahmadiyya und Schariafragen wird z. B. Sabatina James, Scharia in Deutschland, zitiert), dass der Autor kein Islamwissenschaftler ist. Besonders schillernd fallen vor diesem Hintergrund die allzu kurzen und daher verkürzenden Bemerkungen zum „ahistorischen Denken“ im Islam (79), zur „‚Anwendung‘ der Aufklärung auf den Islam“ (sic 80-83) und „zur islamischen Theologie“ aus (z. B. 85), die offenkundig ein wertendes essenzialistisches Schema voraussetzen. Richtig ist freilich, dass sich im islamischen Kulturbereich die Philosophie als „unabhängige Größe“ nicht auf Dauer etablieren konnte (83), ebenso kann man argumentieren, dass die Versuche, unter Rückgriff auf ein säkulares Vernunftverständnis eine Reform des Islam anzustoßen, bisher „für die Entwicklung der muslimischen Religion und des islamischen Selbstverständnisses mit Blick namentlich auf die Rolle der säkularen Vernunft im großen Ganzen ohne tiefgreifende Wirkung“ geblieben sind (84).

So bleibt ein durchaus ambivalenter Eindruck. Den Aussagen zu Anspruch und Bedeutung von „Kritik“ als Methode und Modus der geistigen Auseinandersetzung und der Welterschließung etwa könnten wichtige Impulse für gegenwärtige Debatten entnommen werden (Kritik nicht als Schlechtmachen oder Abwerten, sondern als „das reflexive und begründete Beurteilen von Behauptungen, Ansprüchen oder Positionen – ganz im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung des griechischen Ausdrucks ‚krinein‘“, 85f). Am „Raum für einen religiösen Pluralismus“ haben „auch der Islam und die Muslime in Deutschland“ Anteil (61). Allerdings stehen solche Akzente im Zusammenhang einer Diktion, die die Bewahrung der freiheitlichen Ordnung für die Zukunft nur dann gewährleistet sieht, wenn „unsere Leitkultur“ zum Leitfaden deutscher Politik gemacht wird (116). Auffallend treten dabei neben das Grundgesetz und die freiheitliche Ordnung Europas „unsere Traditionen und Lebensweisen“ oder die „tradierten Lebensweisen der Deutschen“ (Vorwort, 3; 116). Es müsse dem politischen Willen um die Bewahrung und Fortschreibung der freiheitlichen Gesellschafts- und Staatsordnung ernst sein (118), was bedeute, gegen eine Toleranz „der Ignoranz“, gegen Werterelativismus und Multikulturalismus eine „kritische Toleranz“ zu setzen (114). Der Islam wird als „durchaus ernste Herausforderung“, aber nicht als „Bedrohung“ (119) charakterisiert. Dennoch stehen derlei Begrifflichkeiten explizit und implizit durchgehend Pate, sodass viele, die von den medial verbreiteten Äußerungen der AfD und ihrer antiislamischen Haltung herkommen, die angebotenen „Fakten und Argumente“ als Unterfütterung für das viel beschworene Bedrohungsszenario betrachten werden.

Dass die Macher wenig Dialogisches im Sinn haben, zeigt sich schon daran, dass sich die AfD inszeniert, als habe eine Debatte um „den Islam“ bislang gar nicht stattgefunden. Sie wurde, so der Anspruch, erst durch die AfD angestoßen – und soll nun durch die kostenlose Verteilung von 100 000 gedruckten Exemplaren der neuen Broschüre tatkräftig unterstützt werden.


Friedmann Eißler, 15.10.2016


Anmerkungen

  1. Michael Henkel, Der Islam. Fakten und Argumente, hg. von der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Thüringer Landtag, Erfurt 2016. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich darauf.