Islamismus an Berliner Schulen?
Ein Hauptsache-Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts hat am 25. Oktober bestätigt, dass die Islamische Föderation Berlin (IFB) ihren Religionsunterricht fortführen darf. In einem Eilbeschluss vom 29. August 2001 hatte das Gericht der IFB einstweilen bereits gegen den Schulsenat Recht gegeben und die Möglichkeit eröffnet, im neuen Schuljahr (ab 3. September 2001) mit dem Religionsunterricht zu beginnen. Von der IFB beauftragte Lehrer unterrichten bereits an einer Kreuzberger und einer Weddinger Grundschule, der Bedarf wurde an zwanzig weiteren Schulen erhoben. Der Berliner “Tagesspiegel” berichtet vom neuesten Urteil unter der Schlagzeile “Islamlehrer dürfen von Verfassung abweichen”. Dies trifft unter geltendem Berliner Recht für den Religionsunterricht auf die Religionslehrenden aller Religionsgemeinschaften zu – der Unterricht auch der evangelischen und katholischen Kirche sowie des Humanistischen Verbandes findet ohne staatliche Kontrolle der Curricula statt. Es hatte allerdings, so ein Sprecher des Schulsenats, nach Stattgabe durch das Oberverwaltungsgericht im Falle des Vorhabens der IFB die Ausnahme gegeben, dass der Rahmenplan im Detail geprüft wurde und nach dreimaliger Ablehnung derzeit zum vierten Mal im Senat vorlag: Der politische Wille, die IFB vor den Türen der Schulen zu lassen, hatte die Schwelle sehr hoch gesetzt. Einige Details des Vorgangs können im Internet eingesehen werden (www.islamische-foederation.de).
Die Kirchen, die seit langer Zeit nachdrücklich für einen Islamischen Religionsunterricht im Rahmen von GG Art. 7 Abs. 4 eintreten, haben sich skeptisch gezeigt. Bis heute bestehen Zweifel, wie weit bei der IFB von Verfassungskonformität auszugehen ist, und auch fühlen sich weite Teile der muslimischen Bevölkerung Berlins im Angebot der IFB nicht aufgehoben. Eine der Kernfragen in der Auseinandersetzung mit dem Schulsenat war die Gleichberechtigung der Geschlechter. Hier hat das Gerichtsurteil relativierend eingeräumt, dass in der katholischen Kirche Frauen nicht zu Priestern geweiht würden. Damit wird aber nur ein Teilaspekt der Frauenfrage im Islam berührt. In einem Vortrag von Burhan Kesici (Vorsitzender des IFB-Verwaltungsrats) über den Rahmenplan heißt es: “Die Mutter vermittelt dem Kind die Grundlagen von Barmherzigkeit, Güte, Hilfsbereitschaft, Verantwortung und Versorgung”. Das ist möglicherweise fortschrittlich gemeint, kann aber auch eine Rollenfestlegung weiter zementieren. Die IFB lädt dazu ein, den Religionsunterricht für Qualitätskontrollen jederzeit unangemeldet zu besuchen. Insgesamt stellt das Urteil ein weiteres wichtiges Argument dar, endlich nicht mehr nur die Möglichkeiten zu bedauern, die die Berliner Version des Religionsunterrichts einräumt, sondern schnell zu einer Reform des Religionsunterrichts in Berlin zu kommen, die staatliche Kontrolle der Curricula im Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes fest verankert.
Das Urteil vom 25. Oktober wurde offensichtlich unbeeindruckt von der Islamismus-Debatte “nach dem 11. September” gefällt. Sicherlich wäre in der Öffentlichkeit ein verzerrter Eindruck entstanden, würden die islamistischen Tendenzen von Teilen der Milli-Görüs-Bewegung mit islamisch etikettiertem Terror in Zusammenhang gebracht. Islamischer Fundamentalismus als zeitgeistliches Phänomen in Reaktion auf die Moderne sowohl in islamisch geprägten Ländern wie auch in der islamischen Diaspora im Westen einerseits und professionell organisierte terroristische Verbrechen unter dem Etikett des Islam andererseits sind zwei unterschiedliche Dinge, die nur Rudimente von weltanschaulichen Gemeinsamkeiten haben. Nach Schätzungen der Verfassungsschutzämter ist der “Islamismus” in Deutschland auf ca. 1% der muslimischen Bevölkerung zu beziffern, wenn man die gesamte Mitgliedschaft der IGMG als islamistisch veranschlagt. Es werden insbesondere die Organisationen ICCB (auch als “Kalifatsstaat” oder “Kaplangruppe” bekannt), Hamas, Hisb Allah, Muslimbruderschaft, Islamische Heilsfront (FIS) und Group Islamique Armé (GIA) genannt, die insgesamt auf ca. 30 000 Mitglieder kommen. Überhaupt nur ca. 36% aller hiesigen Muslime rechnen sich einer Moscheegemeinde zu, die überwältigende Mehrheit ist als weitgehend säkularisiert zu betrachten.
Alle großen islamischen Organisationen in Deutschland haben die Terroranschläge scharf verurteilt und ihre Mithilfe bei der Terrorbekämpfung angeboten. Nichtsdestoweniger sind Muslime und insbesondere muslimische Frauen Opfer der meist unterschwelligen Demagogie der letzten Wochen: Frauen und Mädchen, die es nicht mehr wagen, mit Kopftuch in die Öffentlichkeit zu treten, “irgendwie islamisch aussehende” Männer (u.a. Turban tragende Sikhs), denen hinterher gerufen wird: “noch so ein bin Laden”, islamische Kinder in deutschstämmig dominierten Schulklassen, die nun von den anderen geschnitten werden, dies alles können demonstrativ veröffentlichte Ausnahmen sein, aber auch jede Ausnahme dieser Art ist eine zuviel. Umso dringender bedarf es des verstärkten Dialogs und der kritischen Auseinandersetzung mit Gemeinschaften wie Milli Görüs, die in einer Grauzone zwischen Fundamentalismus und demokratischer Öffnung anzusiedeln sind. Welche Rolle haben Frauen? Welchen Stellenwert haben Äußerungen in “Milli Gazete” (Milli-Görüs-Zeitung) oder anderen Druckwerken, in denen nach der Islamisierung der Welt gerufen wird, antijüdisch geredet wird, pauschale polemische Kritik der westlichen Welt kolportiert wird? Wie dezentral und selbständig sind die Islamischen Föderationen in zahlreichen deutschen Städten gegenüber der Kölner Zentrale? Die zügigen Schritte, die derzeit in der islamischen Welt in Deutschland unternommen werden, um politische Tatsachen zu schaffen, legen nahe, die Klärung dieser Fragen nicht auf die lange Bank zu schieben.
Ulrich Dehn