Gesellschaft

Istanbul: Vertreter des armenisch-orthodoxen Patriarchen durch türkische Behörden abgesetzt

Das niederländische Parlament hat den im Osmanischen Reich an Armeniern begangenen Massenmord im Februar 2018 mit überwältigender Mehrheit als Völkermord anerkannt. Dennoch kündigte die niederländische Regierung nach dem Parlamentsbeschluss an, „Zurückhaltung“ in der Völkermord-Frage zu üben. Sie wird den Völkermord nicht anerkennen, will aber einen Vertreter zur Gedenkfeier in Eriwan am 24. April entsenden. Die Anerkennung als Genozid, so die Befürchtung der Regierung, könnte die ohnehin angespannten Beziehungen der Niederlande zur Türkei weiter verschlechtern.

Bereits im Juni 2016 hatte der Bundestag in Berlin beschlossen, die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich als „Völkermord“ einzustufen. Ankara zog deswegen zeitweise den Botschafter aus Berlin ab. Mit der Erklärung, die Resolution sei nicht rechtsverbindlich, entschärfte die Bundesregierung den Streit später.

Wie sensibel der türkische Staat in dieser Frage reagiert, erfuhr jüngst die armenisch-orthodoxe Gemeinde in Istanbul, deren Statthalter, Erzbischof Karekin Bekdjian, von staatlicher Seite abgesetzt wurde. Bekdjian wurde 1942 in Istanbul geboren. Nach seiner Priesterweihe 1965 verließ er die Türkei und studierte in Deutschland. 1998 wurde er zum Erzbischof der deutschen Diözese der Armenischen Apostolischen Kirche ernannt und 2017 von der Kirchenführung nach Istanbul berufen, um den erkrankten armenisch-orthodoxen Patriarchen Mesrob II. zu vertreten. Erzbischof Bekdjian galt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Mesrob II. In der Vergangenheit hatte er die Massaker an den Armeniern offen als Völkermord bezeichnet. Nach seiner Absetzung durch türkische Behörden kehrte der Erzbischof, der deutscher Staatsbürger ist, nach Deutschland zurück.

Während der türkische Staat die islamische Religionsausübung weitgehend durch die Religionsbehörde (Diyanet İşleri Başkanlığı) regelt, wird die Autonomie nichtmuslimischer Gemeinschaften in der Türkei durch einen komplizierten Rechtsstatus geregelt. Ernennungen von religiösen Würdenträgern innerhalb einer Religionsgemeinschaft müssen daher zum Teil und unter bestimmten Bedingungen von staatlicher Seite bestätigt werden. Auch Absetzungen wie im Falle des Erzbischofs können durch staatliche Behörden erfolgen.

In diesem Zusammenhang erscheint auch eine aufschlusseiche Geste des türkischen Staatspräsidenten von Bedeutung. Recep Tayyip Erdoğan zeigte jüngst auf einer Parteiveranstaltung in Mersin im Süden der Türkei das Handzeichen der faschistischen Grauen Wölfe, den Wolfsgruß. Mittel- und Ringfinger auf den Daumen gelegt, präsentierte der AKP-Chef seinen Anhängern das Symbol der nationalistischen Bewegung. Neben ihm streckte ein anderer Mann auf der Bühne das „R4bia“-Symbol der Muslimbruderschaft in die Luft, das Erdoğan sonst bei seinen Auftritten zeigt.

Die Einbindung radikal-nationalistischer Kräfte durch den „religiösen“ Staatspräsidenten wirkt sich nicht nur auf die Religionspolitik des türkischen Staates und den Umgang mit religiösen und ethnischen Minderheiten in der Türkei aus. Die Auswirkungen dieser Allianz erreichen auch deutsche Moscheen, die innerhalb der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) organisiert und deren Imame der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt sind, deren oberster Dienstherr der türkische Ministerpräsident ist. So soll in deutschen Moscheen zum Gebet für den Sieg der türkischen Armee in Syrien aufgerufen worden sein. Man werde dafür beten, dass „unsere heldenhafte Armee und unsere heldenhaften Soldaten siegreich sein werden“, schreibt etwa ein Imam im baden-württembergischen Bad Wurzach auf seiner Facebook-Seite. Im Zusammenhang mit „Spitzelvorwürfen“ gegen DITIB-Imame, die Namen angeblicher Gülen-Anhänger nach Ankara geliefert haben sollen, ist der Druck auf DITIB in letzter Zeit gewachsen. Das Land Nordrhein-Westfalen drohte mit dem Ende der Zusammenarbeit und verlangte lückenlose Aufklärung der Vorwürfe gegen Imame des größten Islam-Dachverbandes in Deutschland.

In der Zusammenarbeit mit dem Dachverband und seinen knapp 1000 Ortsvereinen muss die Ausrichtung der DITIB an der türkischen Politik im Sinn behalten werden. Es kann auch nicht ohne Konsequenzen für den interreligiösen Dialog bleiben, wenn sich die DITIB zunehmend an einer von islamistischen und nationalistischen Tönen bestimmten Staatsräson orientiert.


Ronald Scholz, Altheim