Andreas Schmetzstorff

Joseph Weißenberg (1855-1941) - Leben und Werk

Andreas Schmetzstorff, Joseph Weißenberg (1855-1941) – Leben und Werk, Schneider Verlag Hohengehren, 1. Aufl. 2004, 3. überarb. Aufl. Baltmannsweiler 2006, 535 Seiten, 29,80 Euro.


Die Johannische Kirche gehört zu den kleineren und eher unbekannten Religionsgemeinschaften in Deutschland. Dabei ist ihre Geschichte interessant und ein Abbild wechselvoller Zeiten des 20. Jahrhunderts. Gründer der Johannischen Kirche war Joseph Weißenberg (1855-1941). Er soll, das zumindest berichten seine Anhänger, über paranormale Fähigkeiten verfügt haben. Prophezeiungen, Trancereden, Heilungswunder verschafften ihm große Popularität. 1903 eröffnete er als „Heilmagnetiseur“ eine Praxis, in der er mittels Handauflegen, Gesundheitstees, weißem Käse und anderen Hausmitteln Menschen heilte. Die (zumeist armen) Patienten wurden zusätzlich zu solchen Verordnungen angehalten, auch das Vaterunser und den 1. Psalm zu beten. (105ff)

Joseph Weißenberg war ein Eiferer, eine kantige und unbequeme Persönlichkeit. Er betrachtete sich als in die Welt gesandt, um den wahren Glauben der ursprünglichen Kirche wieder aufzurichten und die konfessionellen Grenzen zu überwinden. Sein entschiedener Kampf galt der liberalen Theologie seiner Zeit. Er scheute nicht davor zurück, in diversen Schreiben höchste Autoritäten anzurufen und für seine Sache zu agitieren. So forderte er zum Beispiel Wilhelm II. eindringlich auf, die preußische Landeskirche vom Pfad des Liberalismus zurückzuholen, für eine geistige Umkehr zu sorgen oder: „Majestät führen das deutsche Volk in den Abgrund.“ Blieben seine Mahnungen fruchtlos, so prophezeite er dem Kaiser 1903 sogar, werde dieser sein Land in 15 Jahren „am Bettelstab“ verlassen. 1920 sah er eine Inflation kommen und rief seine Anhänger auf, ihr Geld für den Ankauf von Land in den Glauer Bergen südlich von Berlin zu spenden. Hier gründete Weißenberg eine Siedlung unter dem Namen „Friedensstadt“. Diese Siedlung wurde 1938 enteignet und von der SS besetzt. Nach 1945 wechselten die militärischen Besatzer: Die SS zog ab, die „Rote Armee“ kam. Erst 1994 konnte die Johannische Kirche das (inzwischen weitgehend zerstörte) Areal wieder in Besitz nehmen.

Es gibt nur wenige Veröffentlichungen zur Geschichte der Johannischen Kirche und zum Leben ihres Gründers. Einige Aufsätze aus dem Umfeld der Gemeinschaft haben eher den Charakter einer Heiligenlegende und halten wissenschaftlichen Erwartungen nicht stand. Das ist umso bedauerlicher, als die Gemeinschaft über ein umfangreiches Archiv verfügt und durchaus Einblick in die Unterlagen gewährt.

Andreas Schmetzstorff ist es zu danken, dass nun erstmals eine Biographie und zugleich eine Gesamtschau auf das Lebenswerk Joseph Weißenbergs vorliegt. Hervorgegangen ist die Publikation aus einer Promotion, die der Verfasser an der Berliner Universität der Künste eingereicht hat. Die Arbeit ist sehr kenntnisreich und detailliert. Berücksichtigt wird eine Fülle von ungedruckten Quellen und Archivmaterialien. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass, wer sich für die Johannische Kirche interessiert, auf lange Zeit an dieser Arbeit nicht vorbeikommen wird.

Kritisch anzumerken ist, dass der Verfasser zu wenig Abstand zu seinem Thema hält, was eine wissenschaftliche Arbeit jedoch notwendig voraussetzt. Man merkt deutlich, dass Schmetzstorff der Johannischen Kirche nahe steht. So schweigt er höflich, wenn Weißenberg den Blick für die Realitäten verliert. Wenn dieser z.B. 1926 bei seinem Austritt aus der Landeskirche verkündete „Wenn ich ausscheide aus der Kirche, dann werden 15 Millionen die Kirche verlassen“, bleibt diese maßlose Überzeichnung unkommentiert. (326) Aber – dies ist zu würdigen – Schmetzstorff lässt nichts weg und macht der Forschung auch ein solches Zitat zugänglich. Widerspruch regt sich mitunter bei manchen Vergleichen, so wenn der Verfasser die Friedensstadt umstandslos mit den Franckeschen Stiftungen in Halle in eins setzt (261) – dies ist sicher in vieler Hinsicht unangemessen. Ebenso ist die herausgehobene Bedeutung Weißenbergs als Pädagoge (303ff) nicht nachvollziehbar. Schmetzstorff stellt selbst die rhetorische Frage: „Darf man einen Menschen, der keine pädagogischen oder erziehungswissenschaftlichen Schriften verfasst hat, der selbst nicht eine Stunde Unterricht gegeben hat und keine Theorie und Praxis von Erziehung und Bildung formulierte, einen Pädagogen nennen?“ (303) Es entsteht der Eindruck, dass die im Fachbereich Erziehungswissenschaft eingereichte Promotion hier in eine bestimmte Richtung gebogen wurde. Aber dennoch: Mit diesen Unausgewogenheiten kann der Leser leben. Die eigentliche Bedeutung der Publikation liegt in der unglaublichen Fülle von Materialien, die der Verfasser ausgewertet und zugänglich gemacht hat. Schmetzstorffs Buch gehört in jede gute konfessionskundliche Bibliothek.


Andreas Fincke