Islam / Judentum

Jüdisch-Islamische Gesellschaft gegründet

In Nürnberg hat sich am 11. März 2008 die „Jüdisch-Islamische Gesellschaft Deutschland“ (JIG) vorgestellt. Sie will durch kulturelle, musikalische und religiöse Begegnungen aufzeigen, „dass Juden und Muslime sich gemeinsam und freundschaftlich für ein friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft einsetzen“, wie der Sprecher Ali-Nihat Koç mitteilte. Während solche Institutionen in anderen Ländern wie den USA, Großbritannien oder Israel zur Normalität gehören, ist die JIG erstaunlicherweise die erste ihrer Art in Deutschland.

Cemalettin Özdemir, der auch Leiter der Nürnberger „Begegnungsstube Medina“ ist, die seit über 20 Jahren erfolgreich christlich-islamischen Dialog betreibt, vertritt die JIG als erster muslimischer Vorsitzender. Als erster jüdischer Vorsitzender konnte der konservative Rabbiner und israelische Friedensaktivist Jeremy Milgrom gewonnen werden, der seit zwei Jahren außer in den USA auch in Berlin lebt. Das Sprecheramt übernahm Ali-Nihat Koç, der u. a. als Sprecher der „Begegnungsstube Medina“ und als zweiter Vorsitzender im „Koordinierungsrat der Vereinigungen des christlich-islamischen Dialoges in Deutschland“ (KCID) aktiv ist. Aus zahlreichen interkulturellen und interreligiösen Begegnungen von Juden, Christen und Muslimen in der „Begegnungsstube Medina“ während der letzten Jahre erwuchs der Wunsch, der langjährigen islamisch-christlichen Zusammenarbeit ein offizielles islamisch-jüdisches Pendant an die Seite zu stellen.

Die vielseitigen Aufgaben und Angebote der neu gegründeten Gesellschaft sind laut Satzung vor allem kulturelle Begegnungen, Gespräche, Seminare, Vorträge, Koran- und Tora-Lesungen, musikalische Events wie die „Abrahamskonzerte“, sportliche Aktivitäten, aber auch Informationsveranstaltungen über die beiden Religionen sowie eine jährliche Großveranstaltung zur Verleihung eines „Toleranzpreises“. Auch an gegenseitige Besuche ist gedacht – in Moscheen und Synagogen, um die Welt des „Anderen“ besser verstehen zu lernen. Die JIG will mit dem Dialogangebot die Kenntnisse über andere religiöse und kulturelle Lebenskonzepte erweitern, denn dass Unwissenheit Unsicherheit schafft, Kommunikation und Austausch die Menschen aber miteinander verbinden und Vorurteile abbauen, ist die Grundüberzeugung der Vertreter der JIG. (Weitere Informationen: www.jigd.de)

Die Gründung der Gesellschaft wurde deutschlandweit überwiegend positiv aufgenommen. Allerdings beschränkten sich die Pressemitteilungen eher auf die lokalen fränkischen Zeitungen – die Etablierung einer solchen Institution über den örtlichen Kontext hinaus nimmt immer einige Zeit in Anspruch. Es gratulierten unter anderem der Zentralrat der Muslime, die Deutsche Muslimliga und der Jüdische Kulturverein Berlin, vor dem sich die JIG im April präsentiert hatte. Kritisch äußerte sich der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnbergs, Arno Hamburger, der die JIG rundweg ablehnte und mitteilte, dass kein Mitglied der Kultusgemeinde dieser beitreten werde. „Für mich existiert die Gesellschaft nicht“, sagte Hamburger der Nürnberger Zeitung und begründete dies damit, dass angesichts der prekären Lage in Israel / Palästina und der angespannten Situation zwischen Muslimen und Juden die Zeit für eine solche Gesellschaft „noch nicht reif“ sei.

Während die vielen positiven Reaktionen auf die JIG und ihre inhaltlichen Ziele von der dpa größtenteils unterschlagen wurden, wie Sabine Schiffer vom Erlanger Institut für Medienverantwortung mitteilte, wurde über die kritische Haltung Hamburgers ausführlich berichtet. Die Vorgehensweise des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Nürnberg, einer interreligiösen Gesellschaft, die sich für das friedliche Zusammenleben der Menschen und Kulturen einsetzt, die Berechtigung ihrer Existenz mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten und Probleme des Zusammenlebens von Juden und Muslimen im Nahen Osten zu bestreiten, erscheint ebenso fragwürdig wie ihre mediale Weiterverwertung. Mittlerweile gelang es Rabbiner Milgrom sowie dem Sprecher Ali-Nihat Koç, mit Arno Hamburger ins Gespräch zu kommen. Offizielle Verlautbarungen gibt es dazu aber noch nicht.

Die Gründung der JIG ist von christlicher Seite aus positiv zu würdigen, da sie mit ihren Aufgaben und Zielvorstellungen zum friedlichen Miteinander der Kulturen und Religionen in Deutschland beiträgt. Dieses Ziel haben auch die christlichen Kirchen mit ihren interreligiösen Institutionen und Veranstaltungen. Der Unterstützung der JIG sollte von christlicher Seite aus nichts im Wege stehen. Die noch junge JIG wird in den nächsten Jahren zeigen müssen, wie sie islamisch-jüdische Dialogarbeit versteht, welche Frucht diese Arbeit trägt und ob sie Vorbild für ähnliche Gesellschaften in der ganzen Bundesrepublik werden kann.


Torsten Lattki, Berlin